Wirbelsäulen-Belastungssimulator

Modell von der Wirbelsäule im Wirbelsäulen-Belastungssimulator: Forschungen an diesem Körperteil haben in Ulm eine lange Tradition. Seit über 20 Jahren testet man dort am Wirbelsäulen-Belastungssimulator. (Bild: Leuze electronic GmbH)

Im Zentrum der Forschung steht ein Bandscheiben-Belastungssimulatur. Optische Abstandssensoren messen die Auslenkung der drei Achsen, die für die Scherkräfte am Wirbelsäulenmodell zuständig ist.

Verletzungen und Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparats gehören zu den häufigsten schweren gesundheitlichen Störungen des Menschen. Nahezu jeder wird im Laufe seines Lebens daran leiden. Die Überalterung der Gesellschaft verstärkt das Problem. Mit diesen Themen beschäftigt sich im Universitätsklinikum Ulm das Zentrum für Muskuloskelettale Forschung Ulm (ZMFU), zu dem auch das Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik (UFB) gehört.

Die Leistungen und Expertisen des Forschungsbereichs Wirbelsäule im UFB, das auch Teil der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm ist, sind weltweit gefragt, vor allem wenn es um Grundlagenforschung, chirurgische Verfahren, Operationstechniken oder Wirbelsäulenimplantate geht. Dort forschen die Mitarbeiter nach den Ursachen von Erkrankungen des Bewegungsapparats und sie entwickeln und prüfen neue Therapieverfahren. Zu diesem Zweck haben Ärzte und Wissenschaftler im Sommer 2014 einen sogenannten Bandscheiben-Belastungssimulator in Betrieb genommen.

Professor Dr. Hans-Joachim Wilke, stellvertretender Institutsdirektor und Leiter des Forschungsbereichs Wirbelsäule im Institut erläutert den Zweck des Apparats: „Bandscheibenvorfälle treten zwar recht häufig auf, man weiß aber nicht genau, wo und wieso sie entstehen. Wir wollen mit dem Simulator gezielt ihre Ursachen herausfinden.“

Dr. Hans-Joachim Wilke
Professor Dr. Hans-Joachim Wilke geht den Ursachen von Bandscheibenvorfällen am Wirbelsäulen-Belastungssimulator nach. (Bild: Leuze electronic GmbH)

Messen mit High-Tech-Sensoren

Belastungssimulator
Den Bandscheiben-Belastungssimulator im Hintergrund haben die Ärzte und Wissenschaftler im Sommer 2014 in Betrieb genommen. Im Gegensatz zum Wirbelsäulen-Belastungssimulator können hier Teile der unteren Wirbelsäule dynamisch so belastet werden, wie sie bei den verschiedenen Dreh-, Beuge-, und Hebebewegungen beim Menschen vorkommen. (Bild: Leuze electronic GmbH)

Im Gegensatz zum sogenannten Wirbelsäulen-Belastungssimulator, der seit 20 Jahren für Forschungen an der Wirbelsäule eingesetzt wird, können im Bandscheiben-Belastungssimulator Teile der unteren Wirbelsäule dynamisch so belastet werden, wie sie bei den verschiedensten Dreh-, Beuge- und Hebebewegungen beim Menschen vorkommen. Nikolaus Berger-Roscher, Doktorand im UFB sagt hierzu: „Der Apparat bringt unterschiedliche Kompressions-, Dreh- und Scherbelastungen auf Bandscheiben auf, um klären zu können, wie sich bestimmte Belastungen in Form dynamischer Bewegungszyklen auf die Bandscheibe und ihre Gewebestruktur auswirken.“

Hierzu belasten die Fachleute in Ulm die Bandscheibenpräparate in relativ kurzer Zeit mit vielen Zyklen, sodass die gewünschten Schäden bereits an einem einzigen Tag auftreten, während es im Realfall beim Menschen Jahre dauert. Das Bandscheibenpräparat wird über zwei Flansche eingespannt. Die Maschine kann nun das Präparat in allen drei rotatorischen als auch translatorischen Freiheitsgraden belasten, und zwar sowohl einzeln als auch in beliebigen Kombinationen. Zudem kann auch die Drehgeschwindigkeit und damit der jeweilige Lastwechsel variiert werden. Im Simulator sind axiale Belastungen bis 10.000 Newton möglich, das entspricht einer Last von einer Tonne – ein Horrorszenario für den bandscheibensensiblen Betrachter.

Die Beanspruchung des Präparates auf Scherkräfte sowie Kompression erfolgt über eine Vorrichtung unterhalb der Einspannung in Form eines XYZ-Tisches. Jede der drei Achsen wird über einen separaten Motor angesteuert und erzeugt so die gewünschte Belastung. Die Auslenkung, zuständig für die Scherkräfte, wird mit mehreren optischen Abstandssensoren vom Typ ODSL 9 gemessen. Diese Sensoren von Leuze Electronic bringen aufgrund ihrer Auflösung bis 0,01 Millimeter sehr hohe Genauigkeiten selbst über große Reichweiten.

Da eine relative kleine Auslenkung am Messtisch erfasst werden soll, kann die Kennlinie vom Analogausgang des ODSL 9 auf den tatsächlich relevanten Messbereich angeglichen werden. Somit erzielt man für den geforderten kleinen Messbereich eine höhere Auflösung. Die Parametrierung der analogen Schnittstelle erfolgt komfortabel per Teach oder über das Sensordisplay, das auch zur Messwertvisualisierung dient. Unterstützt wird die Präzision der Sensoren durch den hochgenauen Digital-Analogwandler. Abstandssensoren wie der ODSL 9 zeigen vor allem an den digitalen Schnittstellen ihr Potenzial an Präzision.

Denn die digitalen Schnittstellen verhindern Verluste beim Umwandeln der Signale im Sensor, in der Steuerung und bei der Messdatenübertragung. Der Sensor mit Lichtfleckabmessungen von 1x1 Quadratmillimetern, einer kurzen Messzeit von zwei Millisekunden und Schnittsstellen für IO-Link sowie RS 232 und RS 485 kommt häufig bei der Positionierung von Aktoren, zum Beispiel im Roboterbereich, zum Einsatz. Er ist der prädestinierte Sensor für Durchmesserermittlungen sowie Höhen- und Breitenvermessungen. Zur Auswertung der im Simulator gewonnenen Daten kommt eine spezifisch programmierte Software von MTS zum Einsatz.

Überraschende Erkenntnisse

eingespanntes Testobjekt
Der Bandscheiben-Belastungssimulator mit Nahaufnahme des eingespannten Testobjekts. Unterhalb der Einspannung befindet sich der XYZ-Tisch. Separate Motoren steuern die drei Achsen an. (Bild: Leuze electronic GmbH)

Fast vier Jahre hat es gedauert bis aus den ersten Konstruktionsentwürfen und nach mehreren Optimierungsläufen der jetzt offiziell in Betrieb genommene Simulator aus poliertem Stahl und Aluminium entstand. Es ist eine Spezialanfertigung der uni-eigenen Wissenschaftlichen Werkstatt Feinwerktechnik (WWF), die mit 60 Mitarbeitern eine beachtlich große Abteilung innerhalb der Universität Ulm darstellt.

Im Projekt arbeiten Ingenieure des Forschungsbereichs Wirbelsäule eng mit Medizinern, Informatikern, Molekularbiologen, Chemikern, Physikern und anderen Naturwissenschaftlern interdisziplinär zusammen. So werden zum Beispiel die künstlichen Bandscheibenverletzungen mit einem hochauflösenden Kernspinresonanztomographen in der sogenannten Core-Facility-Kleintierbildgebung der medizinischen Fakultät analysiert.

Mathematische Modelle erklären die Schwachstellen

Der Sensor
Der Sensor: Präzise, schnell und vorbildlich in punkto Usability durch Teach-Buttons und Display. (Bild: Leuze electronic GmbH)

Auf Basis der dort erstellten Aufnahmen fertigen die Wissenschaftler wiederum 3D-Rekonstruktionen der verletzten Bandscheibe an. Damit können sie die Art und den Verlauf der Verletzung optimal beurteilen. Mit mathematischen Modellen lassen sich theoretische Bandscheibenschwachstellen und ihre Entstehungsgeschichte meistens fundiert klären. Die Ergebnisse aus den Untersuchungen sind nicht selten auch für die Fachwelt überraschend – und manchmal nicht im Einklang sondern sogar im Gegensatz zu etablierten Erkenntnissen und landläufigen Meinungen.

So wurde aufgrund der Angaben von Patienten lange angenommen, dass beispielsweise eine Rotationsbewegung unter Belastung, etwa wenn man sich nach vorne beugt, schlecht sei und zu Bandscheibenvorfällen führen könnte. Aktuelle Experimente haben aber gezeigt, dass dies nicht so einfach angenommen werden kann und einige Theorien angepasst oder erweitert werden müssen.

Lichtfleck des Sensors
Gut sichbar: der Lichtfleck des Sensors. Die Lichtfleckabmessung beträgt 1x1 Quadratmillimeter. (Bild: Leuze electronic GmbH)

Die Ulmer Forscher sind davon überzeugt, dass bei einem Bandscheibenvorfall die Gewebedefekte entsprechend der sogenannten Faserring-Hypothese nicht nur von innen nach außen auftreten können, sondern auch im Übergangsbereich zwischen Bandscheibe und Wirbelkörper. Diese als Deckplattentheorie bekanntgewordene Hypothese hat in der Fachwelt neue Diskussionen ausgelöst, unter anderem wie Bandscheibenvorfälle frühzeitig erkannt und behandelt werden können. Zudem reift die Erkenntnis, dass nur zehn Prozent der gesundheitlichen Störungen, die sich zum Beispiel als Rückenschmerzen äußern, auf eine falsche Haltung zurückzuführen sind. Über 30 Prozent der Vorfälle könnte durch die Genetik begründet sein.

Auch diese Erkenntnisse sind relativ neu und haben dazu geführt, dass grundsätzliche Überlegungen und entscheidende Schlussfolgerungen sich seit den letzten 30 Jahren maßgeblich verändert haben. aru

War dieser Beitrag für Sie nützlich? Schreiben Sie uns!

Ihre Meinung an: leser@konstruktion.de, www.xing.com/net/ke, www.facebook.com/ke.next

Das bleibt hängen

Die Auslenkung der Scherkräfte messen

  • Um herauszufinden, wo und wie Bandscheibenschäden entstehen, hat Diplom-Ingenieur Nikolaus Berger-Roscher, Doktorant am Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik (UFB) im Universitätsklinikum Ulm einen Bandscheiben-Belastungssimulator entwickelt.
  • Das Bandscheibenpräparat wird über zwei Flansche eingespannt. Innerhalb eines Tages können die Forscher die gewünschten Schäden an der unteren Wirbelsäule provozieren.
  • Die Beanspruchung des Präparates auf Scherkräfte sowie Kompression erfolgt über eine Vorrichtung unterhalb der Einspannung in Form eines XYZ-Tisches. Jede der drei Achsen wird über einen separaten Motor angesteuert und erzeugt so die gewünschte Belastung. Die Auslenkung, zuständig für die Scherkräfte, wird mit mehreren optischen Abstandssensoren vom Typ ODSL 9 gemessen. Diese Sensoren von Leuze Electronic bringen aufgrund ihrer Auflösung bis 0,01 Millimeter sehr hohe Genauigkeiten selbst über große Reichweiten. Da eine relative kleine Auslenkung am Messtisch erfasst werden soll, kann die Kennlinie vom Analogausgang des ODSL 9 auf den tatsächlich relevanten Messbereich angeglichen werden. Somit erzielt man für den geforderten kleinen Messbereich eine höhere Auflösung.

Sie möchten gerne weiterlesen?