Wie weit ist der 3D-Druck auf seinem Weg zur Großserienfertigung? Wir wollten es wissen und haben bei führenden Anbietern additiver Verfahren nachgefragt...
Jedem Kunden sein individuelles Auto: Im 3D-Druck stellt man bei Mini Blenden mit vom Käufer gewünschten Schriftzug her. Bild: BMW
Der 3D-Druck ist in der Fertigung angekommen. Das ergab vor kurzem eine aktuelle Studie des VDI Vereins Deutscher Ingenieure in Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen. EOS ist in Deutschland Vorreiter in Sachen additiver Verfahren auf Kunststoff- und Metallbasis. Nikolai Zaepernick verantwortet als Senior Vice President die Region Zentraleuropa. Er bezeichnet den industriellen 3D-Druck mittlerweile sogar als „einen der Taktgeber der Digitalisierung“. Immer häufiger entstünden auf den EOS-Anlagen Komponenten und Endteile in Serie. „Mit der stetigen Optimierung der Technologie in puncto Automatisierung, Produktivität, reproduzierbarer Bauteilqualitäten und entsprechender Qualitätssicherung sowie reduzierten Stückkosten werden immer größere Stückzahlen hergestellt.“ Noch drei bis fünf Jahre, schätzt Zaepernick, dann stehe eine lückenlose, effiziente Integration in bestehende Produktionsumgebungen zur Verfügung – inklusive Datenfluss.
Serien von über 1000 Produktionsteilen bezeichnet Stefan Holländer als mittlerweile realistisch. Der Managing Director EMEA bei Formlabs, Hersteller von Desktop-Druckern, sagt: „Kompakte, zugängliche Desktop-3D-Drucker sind leistungsfähiger geworden und analog zur Serverfarmen der IT-Industrie können diese durch den Parallelbetrieb einfach und kostengünstig skaliert werden.“ Dadurch sei der Einstieg in den 3D-Druck wesentlich wirtschaftlicher geworden.
Entscheidend für eine Serienproduktion ist neben der Zuverlässigkeit und den Kosten die Produktionsgeschwindigkeit. Hier sieht sich Hewlett Packard (HP) mit seinem Schichtverfahren Multi Jet Fusion gut aufgestellt. „Damit sind wir bis zu zehnmal schneller als vergleichbare Verfahren“, erklärt Lars Bertenbreiter, Sales Manager HP Deutschland für den 3D-Druck. Das erlaube die wirtschaftliche Herstellung mehrerer tausend Bauteile. Eine weitere Voraussetzung für den Seriendruck ist die Vielfalt der Materialien. Über eine Materialplattform von HP können die Kunden zertifizierte Materialien von Partnern wie BASF, Henkel, Lubrizol, Lehmann & Voss und Evonik ordern.
Mit Kunststoffen kennt man sich bei Arburg naturgemäß gut aus. Seit einigen Jahren beschäftigt sich der Spritzgussmaschinenhersteller auch mit additiven Verfahren und bietet den Freeformer an. Lukas Pawelczyk, zuständig für dessen Vertrieb, sieht die additive Fertigung aktuell als „ein ergänzendes Verfahren zu den bekannten Urformverfahren wie dem Spritzgießen“. 3D-Druck komme immer dann zum Zug, wenn Bauteile konventionell nicht produzierbar seien.
Ein Beispiel für den Serieneinsatz mit metallischen Werkstoffen nennt Damien Buchbinder, Leiter Produktmanagement Additive Manufacturing bei Trumpf Laser- und Systemtechnik. „Unsere 3D-Druck-Anlage Truprint 1000 baut cirka 80 Zahnprodukte in zwei bis drei Stunden auf.“ Ein Zahntechniker benötigt etwa 20 Minuten pro Stück. „3D-Druck ist hier also effizienter und wirtschaftlicher.“ Trumpf bietet zwei für Metall wichtige Verfahren: Laser Metal Fusion (LMF) und Laser Metal Deposition (LMD). Ersteres eignet sich vor allem für komplexe Bauteile, letzteres bietet eine hohe Prozessgeschwindigkeit und ermöglicht große Bauteile.
Wie Prozessketten für additive Verfahren mit Pulverbett und Pulverdüse heute schon funktionieren können, zeigt der Werkzeugmaschinenhersteller DMG Mori auf der EMO in Hannover. Die Pulverbettmaschinen der Lasertec SLM-Baureihe zielen auf die produktive Herstellung komplexer Werkstücke. Der Pulverwechsel mittels Replug-Pulvermodul benötigt weniger als zwei Stunden, die Optomet-Software berechnet in kurzer Zeit die Prozessparameter.Eine Lasertec 65 3D Hybrid ermöglicht zudem den Aufbau von Werkstücken mittels Laserauftragsschweißen und Fünf-Achs-Simultan-Fräsbearbeitung in einer Aufspannung und in Fertigteilqualität. Dadurch lassen sich unterschiedliche Materialien anforderungsgerecht in einem Werkstück vereinen. Überwachungs- und Kalibriersensoren erhöhen darüber hinaus die Prozesssicherheit und Qualität der additiv gefertigten Bauteile.
Der Prototypenbauer freut sich über ein Teil, das genau den Vorgaben entspricht. Der Serienfertiger fordert das auch beim tausendsten Teil und darüber hinaus. Christoph Hauk ist der für AM zuständige Geschäftsführer von MBFZ Toolcraft, einem Dienstleister im Metallbereich. Dort hat man etwa zwölf Millionen Euro in AM investiert und sich zertifizieren lassen. Auch er attestiert den Verfahren Reife für Klein- und Mittelserien. „Hierzu trägt auch die steigende Zahl an Normen und Zertifizierungen bei.“ Wo es noch klemmt?
Einige Prozessschritte seien sehr umständlich und nur manuell zu erledigen. Bis zur Großserie müssten wohl „ganze Fertigungsschritte neu gedacht“ werden, schreibt er den Maschinenherstellern ins Lastenheft. Dr. Ralf Gärtner ist ebenfalls Anwender. Der Geschäftsführer des 3D-Dienstleisters Protiq, einem Tochterunternehmen von Phoenix Contact, hat sein Unternehmen auch zertifizieren lassen. Voraussetzungen hierfür seien „höchste Qualitätsansprüche, sicherste Arbeitsbedingungen und bis ins Detail definierte Prozesse“. Modernste Anlagentechnik wie Computertomografie für die berührungslose Qualitätssicherung seien dafür nötig. Außerdem unterstütze man in Arbeitsgruppen und Gremien die Entwicklung sinnvoller Normen für eine zuverlässige Produktion.
Einer der Pioniere auf Anwenderseite ist BMW. Dort beschäftigte man sich schon Anfang der 1990er Jahre mit additiver Fertigung für den Prototypenbau. „Wir haben bereits 2010 angefangen, kunststoff- und metallbasierte Verfahren auch in kleineren Serien einzusetzen“, erinnert sich Dr. Jens Ertel, Leiter des Additive Manufacturing Centers. Los ging es mit Wasserpumpenrädern für den Motorsport. Für den BMW i8 Roadster werden eine Halterung der Verdeckabdeckung aus einer Aluminiumlegierung und eine Fensterführungsschiene aus Kunststoff in Serie additiv gefertigt. Neuester Coup: kundenindividuelle Kunststoffblenden für den Mini. Doch BMW sieht sich keineswegs nur als Anwender. Gemeinsam mit externen Partnern und Startups arbeitet man an neuen Technologien und in einem externen Netzwerk von Anlagenlieferanten, Hochschulen und Forschungsinstituten an der Weiterentwicklung der gesamten Prozessketten. Der Werkzeughersteller Mapal hat den 3D-Druck ebenfalls realtiv frühzeitig für sich entdeckt - und zwar für die Herstellung von Sonderwerkzeugen. Dr. Dirk Sellmer, Vice President Research & Development: „In Summe haben wir bisher rund 30.000 Werkzeuge additiv gefertigt, diese Zahl setzt sich aus etwa 700 verschiedenen Typen und Varianten zusammen.“ Für Prototypen werde AM nur eingesetzt, wenn das Werkzeug nachher auch additiv gefertigt wird.
Kunststoffhersteller Murtfeldt ist sowohl Materialanbieter als auch Anwender von 3D-Technologien. Ralf Burghoff, technischer Assistent der Geschäftsführung, sieht Ansätze für größere Stückzahlen durch Skalierung der Druckerzahlen oder leistungsfähigere Drucker. Er gibt aber zu bedenken, dass „die Idee der Mass Customization und des absolut individuellen Einzelstückes, welches im additive Manufacturing keinen Mehrpreis kostet, vielleicht die bessere Alternative“ ist. Ebenfalls im Kunststoffbereich unterwegs ist Igus. Tom Krause, er leitet dort den Geschäftsbereich Additive Fertigung, sieht in der Kombination verschiedener Herstellungsverfahren großes Potenzial. Ein Beispiel: „Der SLA-Druck ermöglicht die Herstellung von individuellen Werkzeugformen, die dann auf unseren über 450 Spritzgussmaschinen genutzt werden können.“ Das ist wesentlich günstiger als die Fertigung von Spritzgusswerkzeugen aus Stahl und geht schneller. aru
Herr Dr. Broos, wo stehen additive Verfahren auf dem Weg in die Serie? Druckerfarmen ermöglichen ja bereits größere Stückzahlen.
Noch ist die Großserienfertigung sicher nur in Sonderfällen sinnvoll, beispielsweise für sehr kleine Bauteile, für Geometrien, die auf anderem Wege nicht zu fertigen sind, oder für individualisierte Bauteile. Außerdem ist Additive Manufacturing interessant, wenn die teure Technologie für ein Bauteil einen ungleich größeren Hebeleffekt für den effizienten Betrieb mit sich bringt, etwa Treibstoffersparnis in der Luftfahrt. Ob Druckerfarmen die Zukunft sind, muss sich noch zeigen. In jedem Fall birgt 3D-Druck die Chance, neben den veränderten Prozessketten auch neue Geschäftsmodelle zu etablieren.
Welche Vorteile ergeben sich aus der Kombination verschiedener Bearbeitungsverfahren und Materialien?
Die Kombination in einer Maschine ermöglicht vielfach erst die wirtschaftliche Herstellung größerer Bauteile mit komplexen Geometrien. So lassen sich im Werkzeug- und Formenbau durch Fräsen Kühlkanäle in ein Grundwerkstück einbringen und anschließend mit additiven Verfahren eine Deckschicht aufbringen. Durch Auftragsschweißen lassen sich komplexe Geometrien an Bauteilen anbringen, die in die Arbeitsräume gängiger Additiv-Maschinen nicht hineinpassen. Ob sich eine Kombination in einer Maschine lohnt, hängt vom Einzelfall beziehungsweise vom Bauteil ab. Ein Multimaterialdruck ermöglicht anforderungsgerechte Werkstoffeigenschaften in Abhängigkeit von der Position im Werkstück. Pyper
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