Maschinen der Zukunft: Die Vision von echter Modularität 1

Das Baukastenprinzip bietet Lösungspotenzial für den nächsten Umbruch in der Produktion. Indem das Detail das Ganze und das Ganze das Detail mitdenkt, wird das System flexibel und intelligent. Diese Tiefenschärfe ist anspruchsvoll zu erarbeiten, aber einfach zu benutzen. Es ist eine Denkweise, bei der sich Maschinenbau und Design beispielhaft treffen.

Wer heute im Maschinenbau die Richtung vorgibt, kennt das Konzept der Modularität seit den 1970er-Jahren. Der Begriff hat keinen Trend-Appeal mehr, und trotzdem gehörte er beim Workshop „Maschine 2020“ für Fachleute verschiedener Branchen ganz selbstverständlich zum Maschinenkonzept der Zukunft. Modularität ist deswegen nie erledigt, weil es ein Naturprinzip ist. Jede Generation findet zu ihrer eigenen Interpretation. Die ist umso ausgefeilter, je mehr Gestaltungsspielraum die aktuellen Technologien bieten.

Neue Automatisierungskonzepte, die auf den Einsichten der Mechatronik und einer explodierten Rechnerleistung basieren, haben die Möglichkeiten für Modularität im Maschinenbau um Lichtjahre über das Niveau der 70er-Jahre hinaus katapultiert. Der nächste Schub, ausgehend vom Potenzial der Cloud, wird bis zum Jahr 2020 aller Voraussicht nach möglich sein.

Maschine 2020

Im Mai 2012 veranstalteten Design Tech und das Landesnetzwerk Mechatronik in Stuttgart einen Innovationsworkshop zum Thema „Maschine 2020“: Welche erfolgsorientierten evolutionären oder revolutionären Schritte wird es im Maschinenbau geben? Die Diskussion wurde unabhängig von Anwendungen branchenübergreifend geführt. Unter anderem haben Vertreter von Aradex, Festo, KBA, Schnaithman teilgenommen. Eine Dokumentation kann unter info@designtech.eu angefordert werden.

So kann die Zukunft aussehen: Eine modulare Werkzeugmaschine, die für den konkreten Anwendungsfall individuell zusammengestellt, angepasst oder aufgerüstet werden kann.

So kann die Zukunft aussehen: Eine modulare Werkzeugmaschine, die für den konkreten Anwendungsfall individuell zusammengestellt, angepasst oder aufgerüstet werden kann.

Modularität greift für die verschiedensten Aspekte der anstehenden Herausforderungen. Eine modulare Maschine ist der ideale Ausgangspunkt für Produktions-Netzwerke, in denen Aufträge durch situatives Aggregieren der Funktionen erledigt werden. Mit dem Baukasten-System werden Anlagen schneller konfiguriert und in Betrieb genommen. Wartung, Reparatur und Retrofit, alles macht die portionierte Technik einfacher. Das hat wiederum eine positive Rückkopplung auf die Lebenszykluskosten. Das Baukastensystem zwingt zum strukturierten Vorgehen in der Entwicklung, sonst passt es am Ende nicht. Das schützt vor Overengineering.

Module sind zudem ein guter Ausgangspunkt für eine deutliche Bedienkommunikation. Indem sie eine genau abgegrenzte Aufgabe oder Funktion erfüllen, zeigen sie nach außen eine große Klarheit und Einfachheit – unabhängig davon, wie hochkomplex die Erfüllung dieser Aufgabe oder Funktion innen ist.

Modularität und Industrie 4.0 bei Phoenix Contact:

http://youtu.be/W0USosT209I

Ein uraltes Prinzip

Was die Modularität im Design angeht, spannt sich die Entwicklungslinie von der antiken Tempelfassade bis zu den jüngsten Gestaltungsvorschlägen für eine Massenfertigung, die sich der Individualität des Konsumenten annähert. Auch die Designer gewinnen stetig wirksamere Hebel für ihre Formulierung des modularen Prinzips, durch innovative Materialien, Herstelltechniken und leistungsfähigere Software für Konstruktion und Visualisierung.
Genau wie im Maschinenbau startet Modularität im Design lange bevor es um Fragen der konkreten Formgebung geht. Die Aufgabe wird auf ihre Grundfunktionen herunter gebrochen und dann wieder individuell so zusammengesetzt, dass die Lösung möglichst effektiv, effizient und für die Benutzung attraktiv ist: für den Auftraggeber des Designs und für die Kunden des Auftraggebers. Damit diese Annäherung an die Fragestellung gelingt, benötigt der Designer einen Beratungsweg, der zu den richtigen Kernfragen in exakter Formulierung führt.
Was leistet Design für einen Maschinenbauer bei der Modularisierung? Eine gute Gestaltung verhilft dem Baukasten-Prinzip der Maschinentechnologie zu besserer Wirkung. Im Formangebot ist im Detail das Ganze mitgedacht. Zum Beispiel für die Service-Dimension: Für Kunden in den neuen Märkten müssen die Verschleißteile aus Materialien sein, die nicht nur in Europa kurzfristig beschafft werden können. Wenn das Design in einem additiven, offenen Formvokabular technologische Entwicklungen und Wachstum antizipiert, müssen die Module nicht bleiben, wie sie heute sind. Die Gestaltung kann die Idee des Baukastens kommunizieren, sodass dem Gehäuse eine visuelle Anleitung zur Anlagen-Konfiguration eingeschrieben ist.

Info: Design Tech

Design Tech ist ein Unternehmen der Design­branche, das sich konsequent auf den Bereich Maschinenbau konzentriert.  Mit seiner eigens dafür entwickelten Innovationsstrategie „Design to success“ unterstützt die Firma Marktführer und solche, die es werden wollen bei unternehmerischen Herausforderungen – weit über die Gestaltung der Maschinen hinaus. Der Dipl.-Designer Jürgen Schmid ist seit 1983 mit dem Design Tech in Ammerbuch bei Tübingen selbstständig und hat für die von ihm gestalteten Produkte wichtige Design-Preise erhalten.

So sieht die Studie die Bedienerseite einer Fertigungsstraße. Die sicherheitstechnische Abtrennung des Automationssystems zum Bediener erfolgt über die Maschinen und die Komponenten selbst. Eine zusätzliche Abschirmung ist dadurch nicht mehr erforderlich.

So sieht die Studie die Bedienerseite einer Fertigungsstraße. Die sicherheitstechnische Abtrennung des Automationssystems zum Bediener erfolgt über die Maschinen und die Komponenten selbst. Eine zusätzliche Abschirmung ist dadurch nicht mehr erforderlich.

 

Vision Maschinen-Cloud

Einige dieser Aspekte sind in den Abbildungen zu diesem Beitrag visualisiert. Sie deuten das Zukunftsszenario einer modularen Werkzeugmaschine an. Die Anregungen dazu stammen von den Teilnehmern des Workshops „Maschine 2020“, den Design Tech zusammen mit dem Kompetenznetzwerk Mechatronik BW veranstaltet hat. Was diese Anlage leistet, kann Wirklichkeit werden – wenn auch manches erst nach dem Jahr 2020, wie die Teilnehmer betonten. Die Einzelmaschine stellt der Maschinenbauer per Konfigurator individuell für den Kunden zusammen. Die Module bestehen aus recyclebaren, intelligenten Textilien und Leichtbaumaterialien. Die Verkleidung ist Teil des Baukastensystems.
An ihrem Bestimmungsort in der Produktion des Kunden werden die Einzelmaschinen über eine Fördereinrichtung mit einzeln steuerbaren Fördercontainern (Werkstücke, Späne) verbunden. Die Bearbeitungseinheiten und die Container rüsten sich selbsttätig um. Es ist keine zusätzliche Abschirmung erforderlich, weil die Maschinenfront den Bediener von der Bearbeitung trennt. Mit Eingabe der Daten des Fertigungsauftrags läuft die Produktion in der Maschinen-Cloud selbsttätig ab. Der Maschinenpark organisiert sich selbst. Die Anlage ist mit Redundanz ausgestattet, beschädigte Module werden automatisch erkannt und über die Fördereinrichtung ausgetauscht. Für zusätzliche Funktionen fragt der Kunde beim Maschinenbauer neue Module an, die innerhalb 24 Stunden geliefert werden. wk

Autor: Dipl.-Designer Jürgen Schmid, Design Tech

Das denkt der Redakteur

ke-NEXT-Chefredakteur Wolfgang Kräußlich

ke-NEXT-Chefredakteur Wolfgang Kräußlich

Was für eine Kombination: Automatisierte Modularität
Jetzt fangen wir einmal an zu träumen: Was, wenn nicht nur die Maschine modularisiert und automatisiert wird, sondern auch die Produktion? Wenn sich also der Maschinenpark je nach Fertigungsauftrag zu der jeweils passenden Fertigungsstraße „zusammenrottet“, vernetzt und passend produziert. Mobile, selbstfahrende Maschinenmodule könnten sich selber organisieren, Werkzeuge wechseln und geeignete Förderstrecken zwischen den Stationen könnten kooperativ durch Roboter, Förderbänder und fahrerlose Transportsysteme entstehen. Was für die Massenfertigung in Millionenstückzahl nicht unbedingt nötig ist, kann sich bei kleinen Losgrößen, häufigen Modellwechseln und flexibler Auftragslage als großer Vorteil herausstellen. Technisch ist schon heute vieles möglich – limitierender Faktor ist wohl eher der Mensch.

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