Sicherheitstechnik im Maschinen- und Anlagenbau 1

Die neuen Maschinenrichtlinie bietet viele Vorteile. Doch oftmals sind Schutzmaßnahmen heutzutage übertrieben und verursachen unnötige Kosten. Die klar strukturierte Vorgehensweise der Risikobeurteilung gibt Sicherheit und hilft, Kosten zu senken.

Autorin: Stefanie Warmerdam Wer Maschinen und Anlagen in Europa in Verkehr bringen will, muss die Anforderungen der neuen Maschinenrichtlinie 2006/42/EG für die funktionale Sicherheit erfüllen.

Diese fordert, im Verfahren zur Konformitätsbewertung eine Risikobeurteilung durchzuführen: „Der Hersteller einer Maschine oder sein Bevollmächtigter hat dafür zu sorgen, dass eine Risikobeurteilung vorgenommen wird, um die für die Maschine geltenden Anforderungen bezüglich Sicherheit und Gesundheit zu ermitteln.“

Die Einhaltung der Maschinenrichtlinie und ihrer Bestimmungen stellt hingegen die Exportfähigkeit von Maschinenherstellern auf dem europäischen Markt sicher und sorgt für Haftungssicherheit bei Herstellern wie Betreibern.

Der beste Weg zur Vermeidung von Haftungsansprüchen ist die Verbesserung der Produktsicherheit selbst. Ein Hersteller, der über eine gute Sicherheitsstrategie verfügt und diese anwendet, kann Haftungsansprüche weitgehend abweisen.

Ein zentraler Bestandteil dieser Strategie ist die konsequente Implementierung eines CE-Konformitätsprozesses und der Aufbau einer normgerechten Dokumentation im Unternehmen, entsprechend den Anforderungen der einschlägigen Richtlinien und Normen.

CE-Konformitätsprozess schafft Klarheit

Nach den geltenden EU-Richtlinien müssen Maschinen mit der CE-Kennzeichnung versehen werden. Je nach Aufbau, Einsatz und Komplexität der Produkte müssen jedoch auch die Anforderungen weiterer zutreffender Richtlinien erfüllt werden.

Der CE-Konformitätsprozess betrifft den gesamten Produktlebenszyklus, so wie er in der Maschinenrichtlinie definiert wurde. Die Schwerpunkte liegen jedoch in den Abschnitten Planung, Konstruktion, Bau und Inbetriebnahme.

Dies sind auch die Abschnitte, in denen Fehler besonders große Auswirkungen auf die Sicherheit der Maschine haben können. Der CE-Konformitätsprozess lässt sich in mehrere Phasen unterteilen: In Phase eins werden zunächst grundsätzliche Fragen geklärt.

Wie ist das Produkt definiert? Welchen EU-Richtlinien unterliegt es und welche grundlegenden Anforderungen ergeben sich aus diesen? In Phase zwei erfolgt die Festlegung des Verfahrens zur Konformitätsbewertung: Jede Richtlinie und die darauf basierenden nationalen Regelungen beschreiben den Bereich und den Inhalt möglicher Konformitätsbewertungsverfahren.

Harmonisierte Normen helfen, die MRL zu erfüllen

Zur Präzisierung der grundlegenden Anforderungen der Maschinenrichtlinie können die harmonisierten europäischen Normen herangezogen werden. Welche davon zur Anwendung kommen, wird in Phase drei festgelegt. Von diesen geht die sogenannte Vermutungswirkung aus.

Das heißt, werden sie zur Konstruktion herangezogen, vermuten die Behörden, dass die Anforderungen der Richtlinien erfüllt werden. Da die Anwendung von Normen nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, kann das Schutzziel der EU-Richtlinien auch auf andere Weise erreicht werden.

Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass die harmonisierten Normen den Stand der Technik widerspiegeln und im Schadensfall der Nachweis der Einhaltung der Richtlinien ohne deren Anwendung schwierig wird. Mit anderen Worten: Der einfachste Weg zur Erfüllung der EG-Richtlinien ist die Einhaltung der darunter harmonisierten Europanormen.

Risikobeurteilung ist Pflicht

Der Hersteller von Maschinen ist verpflichtet, eine Risikobeurteilung vorzunehmen, um alle mit seiner Anlage verbundenen Gefährdungen zu identifizieren, ihre Risiken einzuschätzen und zu bewerten, sowie die Anlage unter deren Berücksichtigung zu entwerfen und zu bauen. Die Durchführung der Risikobeurteilung (Phase vier) ist als konstruktionsbegleitender Prozess zu verstehen und durch Experten verschiedener Fachrichtungen durchzuführen.

Risikobeurteilung heißt Teamarbeit und bedarf der Berücksichtigung einer Vielzahl von Aspekten. Die Einbindung unabhängiger Sachverständiger mit profunder Normenkenntnis und langjähriger Branchenerfahrung ist dabei zu erwägen. Hilfestellung hierzu bieten die in den Phasen davor definierten Anforderungen sowie die Norm DIN EN ISO 14121-1 und -2. Diese beschreibt ein iteratives Verfahren zur Risiko-beurteilung (siehe Grafik oben).

Im ersten Schritt der Risikobeurteilung werden die Grenzen der Maschine festgelegt. Anschließend werden mögliche Gefahren an der Maschine identifiziert und dokumentiert. Sind alle Gefährdungen ermittelt, erfolgt im dritten Schritt die Risikoeinschätzung und anschließend die Bewertung der Risiken.

Nach der Risikoeinschätzung muss eine Risiko-bewertung durchgeführt werden, um zu entscheiden, ob eine Risikominderung notwendig ist. Dazu zählen konstruktive Maßnahmen, technische Schutzeinrichtungen, sowie Schulungsmaßnahmen für Benutzer.

Im letzten Schritt werden für jede mögliche Gefährdung einer Maschine oder Anlage Maßnahmen zu deren Minimierung definiert, zum Beispiel Sicherheitsfunktionen.

Sie dienen dazu, einen sicheren Zustand der Anlage zu erhalten oder herzustellen (Funktionale Sicherheit). Bei der Ausführung und Beurteilung von Sicherheitsfunktionen unterstützen EN ISO 13849-1 sowie DIN EN 62061.

Zusätzlich umfasst diese Definition immer die Angabe der aus der Risikoeinschätzung geforderten Sicherheitsintegrität als Performance Level (PL gemäß EN ISO 13849-1) oder aber als Sicherheitsintegritäts-Level (SIL gemäß EN 62061).

Aus der Risikobeurteilung wird also deutlich, welches Maß an Sicherheit für eine Maschine zu erfüllen ist. Nicht immer sind Sicherheitsfunktionen für höchste Ansprüche nach SIL 3 oder Pl d erforderlich. In sehr vielen Fällen kann das Risiko durch wesentlich günstigere Maßnahmen minimiert werden.

Die beabsichtigte Lösung der Sicherheitsfunktion mit Hardware- und gegebenenfalls Softwarekomponenten wird anschließend überprüft und bewertet und in einem iterativen Prozess erst abgeschlossen, wenn die in der Risikobeurteilung geforderte Sicherheitsintegrität durch die Lösung erreicht wird.

Die Sicherheitsfunktionen können nach den Berechnungsmethoden der EN 62061 oder EN ISO 13849-1 bewertet werden. Hierbei können Bewertungstools unterstützen, wie das TÜV-geprüfte Safety Evaluation Tool von Siemens.

Sicherheit auf der ganzen Linie

Die Maschinenrichtlinie fordert, die Durchführung der Risikobeurteilung in der technischen Dokumentation der Maschine zu beschreiben und in der Betriebsanleitung zu erwähnen. Danach kann die Konformitätserklärung oder Einbauerklärung erstellt werden.

Abschließend kann vor dem In-Verkehr-Bringen des Produkts die CE-Kennzeichnung auf dem Produkt oder seinem Typenschild angebracht werden. Bei einer Serienproduktion sind die beiden folgenden Phasen, nämlich die Qualitätssicherung und die Produktbeobachtung für die laufende CE-Kennzeichnung der Serienprodukte insbesondere zu beachten.

Die Anforderungen der neuen Maschinenrichtlinie, darunter auch die Risikobetrachtung, bedeuten zunächst Aufwand. Aber auf längere Sicht bieten sie entscheidende Vorteile wie Haftungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit, sowie oftmals sogar Kosteneinsparung durch Anwendung optimierter Sicherheitsmaßnahmen.

www.siemens.de

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