Smarte Maschinen und AGV stehen auf einem intelligenten Boden innerhalb einer Smart Factory.

Bei dem Begriff Smart Factory denken viele an intelligente Maschinen, selbstfahrende Transportmittel, ein Lager, das sich selbst wieder auffüllt und natürlich 5G, Big Data Cloud Computing und so weiter. Nun aber soll es einen intelligenten Boden geben, der sämtliche Gerätschaften nicht nur mit Strom und Medien versorgt, sondern auch die Steuerung übernimmt. - (Bild: Bosch Rexroth)

In der Fabrik der Zukunft sind alle Maschinen und Systeme mobil und modular, jederzeit lassen sich Produktionslinien hinzufügen oder erweitern. Fahrerlose Transportsysteme (AGVs) sorgen dafür, dass alle Waren dorthin gelangen, wo sie benötigt werden. Die Basis dafür: Ein intelligenter Boden als weiterer Baustein von Industrie 4.0.

Sollen auf herkömmlichen Böden Geräte umgestellt werden, müssen entweder neue Kabelkanäle bündig in den Boden eingelassen oder die Kabel gar auf der Oberfläche verlegt werden. Bosch Rexroth und dessen Partner Weidmüller arbeiten an einem Bodensystem, das Geräte und Maschinen erkennt und verwaltet, Daten mit ihnen austauscht und sie nicht nur mit Strom versorgt, sondern auch mit Kühlwasser, Druckluft oder Schmierstoffen.

Flexibilität steigt deutlich an

Key Account Manager Christian Deppermann von Weidmüller sagt: "Hintergrund für die Entwicklung ist die Flexibilität von Produktionslinien und Produktionsmitteln, um auf unterschiedliche Begebenheiten sehr flexibel reagieren zu können. Kleinere Maschinen lassen sich umpositionieren, denn wir sind modularer und mobiler aufgestellt."

„Durch die Flexibilisierung, Modularisierung und Mobilisierung werden Fertigungsprozesse gerade kleiner Losgrößen deutlich effizienter als in derzeit oft noch starren Produktionsumgebungen“, sagt Christian Deppermann.
„Durch die Flexibilisierung, Modularisierung und Mobilisierung werden Fertigungsprozesse gerade kleiner Losgrößen deutlich effizienter als in derzeit oft noch starren Produktionsumgebungen“, sagt Christian Deppermann, Key Account Manager bei Weidmüller. - (Bild: Weidmüller)

Industrie 4.0 stark erweitert

Javier Stillig, Engineering and Solutions for Factory of the Future bei Bosch Rexroth erklärt dazu: "Der Boden wird aus ein Quadratmeter großen Modulplatten zusammengesetzt. Jede von ihnen besitzt ihr eigenes Steuerungssystem. Ein übergeordnetes Steuerungssystem in der Produktionshalle oder in der Cloud, der Grid Controller, berechnet die Anforderungen anstehender Aufträge."

Der Grid Controller simuliere die Zusammenstellung der benötigten Geräte und Maschinen und berücksichtige dabei verschiedene Faktoren wie etwa das Gewicht der Geräte und die Topografie der aktuellen Produktionssysteme.

Mehr Digitalisierung in der intelligenten Fabrik

Da jede Platte die auf sie einwirkende Kraft kontinuierlich überwacht, kann der Boden auf äußere Umstände reagieren und beispielsweise dafür sorgen, dass fahrende Transportgeräte anhalten oder ausweichen, wenn sich ein anderes Objekt nähert.

"Nach Abschluss der Simulation können sich Produktionsmaschinen, gespeist von berührungslosen Energieübertragungseinheiten, selbstständig in die ihnen zugeordneten Bereiche bewegen. Dabei werden sie über den neuen 5G-Mobilfunk drahtlos mit allen nötigen Informationen versorgt.

Die Produktionsmaschinen müssen unterwegs nicht einmal abgeschaltet werden, ein weiteres Plus für die Produktivität", fährt Stillig fort.

Im Untergrund: Strom, Kabel, Leitungen et cetera können im 'doppelten Boden' untergebracht werden.
Im Untergrund: Für den modularen Aufbau des Bodens wird jede Platte autark versorgt und gesteuert. Dafür sorgt die IP65-geschützte FieldPower-Funktionseinheit. Strom, Kabel, Leitungen et cetera sind im 'doppelten Boden' untergebracht und ermöglichen eine freie Oberfläche. - (Bild: Bosch Rexroth)

Technologie macht Fertigung der Unternehmen in Zukunft flexibler

Doch warum sollen sich Maschinen und Roboter überhaupt im Werk bewegen? Dazu erläutert Stillig: "Zukünftige Fertigungen werden aufgrund volatiler Markteinflüsse und technischer Veränderungen des Produkts häufiger als heute verändert."

Dazu sei eben mehr Wandelbarkeit in den heutigen Produktionsanlagen und -prozessen erforderlich.

"Diese Wandelbarkeit wird unter anderem durch mobile und universell einsetzbare Produktionsmittel erreicht", betont Stillig und fährt fort: "Das bedeutet: Maschinen müssen sich frei auf der Fertigungsfläche bewegen können und werden mit Medien und Material berührungslos versorgt. Daher ist der intelligente Boden als eine offene Infrastrukturplattform für die wandelbare Fertigung konzipiert."

"Zukünftige Fertigungen werden aufgrund volatiler Markteinflüsse und technischer Veränderungen des Produkts häufiger als heute verändert", sagt Javier Stillig.
"Zukünftige Fertigungen werden aufgrund volatiler Markteinflüsse und technischer Veränderungen des Produkts häufiger als heute verändert", sagt Javier Stillig, Engineering and Solutions for Factory of the Future bei Bosch Rexroth.

Doppelter Boden als Clou für die intelligente Fabrik


Während der laufenden Produktion markieren Leuchtstreifen die Wege und Arbeitszonen für Bediener und leiten die AGVs durch die Fabrik. Um weitere Produktionsanforderungen wie Wasser-, Druckluft- und Schmiermittelversorgung zu berücksichtigen, verfügt die intelligente Oberfläche über einen Doppelboden. In dessen Zwischenraum werden die nötigen Versorgungsleitungen verlegt.

Apropos Versorgung: Es gibt einen redundanten Aufbau der 24-Volt-Stromversorgung. Die Planung der Bodenelektrifizierung fällt in das Aufgabengebiet von Weidmüller, wie Deppermann darstellt. "Dazu haben wir unser modulares Fieldpower-System integriert, in dem die komplette Elektronik sitzt."

Digitale Kontrolle via Internet

Der redundante Aufbau funktioniert wie folgt: "Wir haben Schaltnetzteile eingebaut, die vernetzt sind und wir erkennen, wie viel Leistung die Schaltnetzteile abnehmen. Fällt nun ein Schaltnetzteil aus oder in der Box ist ein Fehler aufgetreten, sodass diese Platte durch das eigene Schaltnetzteil nicht mehr versorgt werden kann, schalten sich die anderen in Gänze hinzu", erläutert Deppermann.

Solch ein Fehler werde auch angezeigt und könne nach dem Arbeitsende behoben werden.

Elektronikbauteile für die redundante Stromversorgung
Mit dem redundanten Aufbau der 24 V Last- und Steuerspannung als Smart Factory Grid bietet das FieldPower-System von Weidmüller eine hohe Ausfallsicherheit. - (Bild: Bosch Rexroth)

Industrie 4.0 reicht ins Feld und in den Untergrund

"Wir haben festgestellt, dass die Produktion wesentlich einfacher und reibungsloser funktioniert, wenn mehr Intelligenz aus den Geräten und Maschinen in den Boden verlagert wird, auf dem sie stehen. So können etwa die AGVs auf komplexe Ortungssysteme, große Akkus und leistungsstarke Computer verzichten – sie benötigen lediglich eine Steuereinheit", sagt Stillig.

Dank dieser könnten sie in einem dynamischen Spursystem aus integrierten LEDs navigieren und würden wie an einer 'elektronischen Hundeleine' geführt.

"Derzeit verwenden wir eine einfache Ortungsmethode mit einer Genauigkeit von rund 50 Zentimetern, die auf Gewichtserkennung basiert. Doch durch ergänzende Methoden werden wir in der Lage sein, die Genauigkeit auf weniger als einen Zentimeter zu verbessern", ergänzt Stillig.

Berührungslose Energieübertragung in der intelligenten Fabrik

Ihre Antriebsenergie beziehen die AGV übrigens von kontaktlosen Energieübertragungseinheiten im Boden, wie Deppermann darstellt: "Außerdem verhindert die berührungslose Energieübertragung teure Produktionsausfälle, die durch den Geräteverschleiß entstehen. Denn defekte Kontakte sind ein häufiger Grund für zeitintensive Reparaturen. Für das modulare Ladekonzept im intelligenten Boden verwendet Bosch Rexroth deshalb das FreeCon-Contactless-System von uns“, erklärt Deppermann.

Clevere Lösung für die Smart Factory

Ein Modul liefert derzeit 240 Watt, zwei Module demnach 480 Watt. "Das ist zwar für induktives Laden noch recht wenig, aber unsere Entwicklung ist diesbezüglich noch nicht abgeschlossen. Unterschiedlichste mobile Arbeitsplätze kann ich aber kabellos laden", ergänzt Deppermann.

In Zukunft solle auch die Möglichkeit bestehen, ein AGV zu laden, sobald es halte oder parke. Es müsse somit in keine Ladestation fahren.

Industrie 4.0 benötigt weniger Sensoren

Künftig sollen AGV auch mit weniger Sensoren auskommen können, sie benögtigten letztlich nur noch eine Steuereinheit. Das mache die AGV günstiger. Warum das - trotz zunehmender Intelligenz im Rahmen von Industrie 4.0 - möglich sei, erklärt Stillig:

"Wir gehen davon aus, dass in der Fabrik der Zukunft der Mensch weiterhin eine zentrale Rolle im Produktionsprozess spielen wird. Daher müssen Mensch und Maschine, insbesondere hinsichtlich in ihrer Position zueinander bekannt sein. Dies kann beispielsweise durch die Objektdetektionsfunktion im intelligenten Boden erfolgen, sodass Kollisionen durch frühzeitige Routenänderung des AGV vermieden werden können."

Dazu ergänzt Deppermann: "Die Wiegefunktion ist nicht nur dafür gemacht, Kollisionen zu vermeiden. Sie erkennt auch, wie viel Stück Ladung ein AGV transportiert, sobald das Einzelgewicht der Komponenten bekannt ist."

Javier Stillig (links) und Christian Deppermann bei Funktionstests auf dem intelligenten Boden.
Javier Stillig (links) und Christian Deppermann bei Funktionstests des 'FreeCon Contactless'. Dieses bietet kompakte Abmessungen und hohe Effizienz für eine zuverlässige und berührungslose Übertragung von bis zu 240 W Leistung. - (Bild: Bosch Rexroth)

Dezentrale Versorgungs- und Steuereinheiten und integriertes Smart Factory Grid

Konkret sieht die Produktion in der Fabrik der Zukunft so aus: Ein übergeordnetes System in der Produktionshalle oder in der Cloud wertet die anstehenden Auftragslose aus. Dann verschiebt und platziert es die Geräte und Maschinen entsprechend. Auch Ad-hoc-Veränderungen von Logistikwegen sind möglich.

Die sich wandelnden Arbeitszonen werden durch Leuchtstreifen markiert, damit sich Bediener und Fahrzeuge stets sicher durch die Fabrik bewegen.

Technik für die Smart Factory im Untergrund

Hierbei setzt Bosch Rexroth auf das Field-Power-Konzept. Es bietet eine modulare und dezentrale Plug-and-Play-Bereitstellung der benötigten 400 Volt Versorgungs- und 24 Volt Last- und Steuerspannung. Für seinen Einsatz unterhalb des Bodens erfüllt das Field-Power-Gehäusesystem Schutzklassen bis IP65.

Individuelle Einsatzmöglichkeiten für die Industrie in der Smart Factory

Die Unternehmen können den schlauen Fußboden zunächst auch nur in Teilbereichen einer Produktion einführen: Falls nicht der komplette Raum eine berührungslose Energieübertragung benötigt, werden in Randbereichen oder auf definierten Wegen Kacheln ohne Funktionen verlegt.

"Die Bodenplatten lassen sich individuell und gezielt für eine bestimmte Funktion konfigurieren. So benötigen möglicherweise nicht alle Platten die Elemente für kontaktlose Energieübertragung oder Medienzufuhr", sagt Stillig.

Der intelligente Boden beim Testaufbau.
Der intelligente Boden beim Testaufbau. - (Bild: Weidmüller)

Unternehmen können Innovation schrittweise einführen

Dies ermögliche dem Unternehmen, schrittweise auf flexible Fertigungskonzepte umzustellen und so die Investitionskosten zu verringern. „Durch die Flexibilisierung, Modularisierung und Mobilisierung werden Fertigungsprozesse gerade kleiner Losgrößen deutlich effizienter als in derzeit oft noch starren Produktionsumgebungen“, erklärt Deppermann.

Übrigens könnten auch Sperrzäune wegfallen, indem erlaubte Wege signalisiert und Sperrzonen definiert werden. Aktuell biete der Untergrund eine Traglast von 1,5 Tonnen pro Quadratmeter, da arbeitet Rexroth aber dran, diese noch zu erhöhen.

Fazit der intelligenten Lösung im Boden

Unabhängig davon, ob intelligente Böden in Etappen oder in einem Schritt verlegt werden, ihre Vorteile im Rahmen einer Smart Factory liegen auf der Hand: Sie machen Planung wie Produktion unabhängiger und können mit IoT-fähigen Geräten interagieren, um etwa Mitarbeitern das Auffinden in Produktion befindlicher Chargen zu erleichtern.

Sie können zur Darstellung und Optimierung der Arbeitsabläufe verwendet werden und ermöglichen die Visualisierung des Maschinenstatus durch Farbe und/oder Größe der LED-Anzeige. Und nicht zuletzt können die im Boden eingelassenen LEDs als Markierung der AGV-Routen die Sicherheit in der Fabrik erhöhen.

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