Schienenfahrzeuge benötigen aufgrund ihrer großen Masse und der hohen Beschleunigungen und Geschwindigkeiten sehr viel Traktionsleistung“, erläutert Thomas Siegenthaler, Produktionsleiter Traction bei ABB. Die Effizienz, mit der das Antriebssystem die über die Oberleitung zugeführte elektrische Energie in Vortrieb umsetzt beziehungsweise beim Bremsen wieder in die Oberleitung zurückspeist, ist daher ein entscheidender Aspekt bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit.
Die Wandlung zwischen den verschiedenen Spannungen und Frequenzen erfolgt heute mithilfe getakteter Leistungshalbleiter. Diese verarbeiten die verschiedenen im Eisenbahn- und Straßenbahnbereich üblichen Spannungsebenen und setzen diese so um, dass die Antriebsmotoren möglichst geeignet versorgt werden. Mit der Produktlinie Bordline Compact Converter ist ABB imstande, alle weltweit im Schienenverkehr üblichen Bahnstromsysteme – 600, 750, 1.500 oder 3.000 Volt Gleichstrom beziehungsweise 15.000 V / 16,7 Hz oder 25.000 V/ 50 Hz Wechselstrom – zu verarbeiten und daraus Drehstrom mit variabler Frequenz und Spannung für die Antriebsmotoren zu erzeugen.
Dies umfasst auch die von Dieselantrieben oder Hybridlösungen gelieferten Ströme und Spannungen. Zudem versorgt man noch den Bordnetzumrichter sowie Batterieladeeinrichtungen und Energiespeichersysteme.
Herz und Gehirn eines Schienenfahrzeugs
„Unsere Traktionsumrichter können mit allen am Markt gängigen Bahnstromsystemen, Energiespeichersystemen und Antriebsmotoren kombiniert werden“, ergänzt Ramon Stöckli, Mechanical Engineer Development Traction. Um alle Kundenanforderungen zu erfüllen, ist die der Traktionsumrichter – sozusagen Herz und Gehirn des betreffenden Schienenfahrzeugs – deshalb universell konfigurierbar. Die Steuerungseinheit eines Traktionsumrichters verfügt mehr als 60 digitale und analoge Ein- und Ausgänge, zahlreiche Anschlüsse für optische Leiter sowie Schnittstellen für Netzwerkverbindungen. Mithilfe dieser Anschlüsse überwacht und regelt die Steuerungseinheit die gesamte komplexe Energieversorgung eines modernen Zugs mit ihren vielfältigen Sensoren, Aktoren, Leistungs- und Sicherheitselementen.
Die Unterbringung der Leistungselektronik erfolgt in den verschiedensten Gehäuseausführungen, die bezüglich Größe und Ausstattung an das jeweilige Schienenfahrzeugsystem angepasst sind. Diese Gehäuse reichen vom flachen Unterflur- oder Dachgerät zum Beispiel für Straßenbahnen und Metros bis hin zu kompakten Megawatt-Traktionsumrichtern für den Antrieb von Lokomotiven und Hochgeschwindigkeitszügen. Um mit der benötigten Energie so effizient wie möglich umzugehen, arbeitet der Traktionsumrichter unter anderem mit Taktfrequenzen im Bereich einiger Kilohertz, um die gewünschten Hüllkurven möglichst präzise darstellen zu können.
Heute arbeitet das Traktionssystem so feinfühlig, dass ein erfahrener Zugführer seinen Zug rein elektronisch, das heißt ohne Zuhilfenahme der mechanischen Bremsen, bis zum Stillstand abbremsen kann. Die dank dieser präzisen Traktionssteuerung zurückgewonnene elektrische Energie kann je nach Aufnahmefähigkeit des Bahnstromnetzes entweder wieder in dieses zurückgespeist oder fahrzeugintern in Energiespeichersystemen zwischengespeichert werden.
Alles muss reibungslos funktionieren
„Wie bei jedem komplexen System hängt die Zuverlässigkeit von der einwandfreien Funktion aller Einzelteile ab“, verrät Stefan Saur, Senior Component Engineer bei ABB. Schienenfahrzeuge sind durchschnittlich für 30 Betriebsjahre ausgelegt und sollten über den gesamten Zeitraum nur geringe Stillstandzeiten haben. Das bedingt sehr hohe Anforderungen an jedes einzelne Bauteil bis hin zu den Steckverbindern für die Signalübertragung.
Schließlich kann schon ein einziger unzuverlässig arbeitender Kontakt für einen Sensor die Funktion des Gesamtsystems so beeinträchtigen, dass es zu ungeplanten und kostspieligen Wartungsmassnahmen oder gar Ausfällen auf freier Strecke kommt. Deshalb muss sich der Entwickler bei jeder Komponente mit ihrer Langzeit-Zuverlässigkeit beschäftigen.
Die Systeme arbeiten unter außergewöhnlich rauen Bedingungen. Dazu gehören Extremtemperaturen ebenso wie Korrosionsgefahr durch hohe Luftfeuchtigkeit. Besonders kritisch sind hierbei vor allem Steckkontakte für analoge Mess- und Steuersignale, da es hier durch Vibrationen oder die Bildung von Oxidbelägen zu Veränderungen des Übergangswiderstands und damit zu Fehlmessungen kommen kann. Dies hätte unwägbare Konsequenzen für die Funktion des Gesamtsystems. Eine Festverdrahtung – beispielsweise durch Schneidklemmverbindungen oder durch Verlöten – kommt dennoch nicht infrage, da Diagnosen, Wartung oder ein Komponentenaustausch möglichst einfach und schnell erfolgen müssen.