Schiessstand,

Jan Lochbihler ist mehrfacher Europa- und Weltmeister und seit Ende 2016 Profisportler im Schweizer Nationalkader. In Studien mit hochauflösenden Kraft-Momenten-Sensoren von Schunk hat sich gezeigt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der Streuung der Kraftwerte an der Schulter und dem Ergebnis gibt. (Bild: Schunk)

Über Minuten, manchmal auch über Stunden hinweg verharrt der Schweizer Olympiaschütze Jan Lochbihler beim Training in stoischer Ruhe, konzentriert sich allein auf den eigenen Atem und auf das mit bloßem Auge kaum erkennbare Ziel. Mit maximaler Köperbeherrschung sucht der durchtrainierte Athlet den entscheidenden Moment bis er regungslos den Abzug drückt – und trifft. Hochauflösende Sensoren im Gewehr erfassen in sechs Achsen sämtliche Kräfte, die vor, während und nach dem Schuss auf das Sportgerät wirken. Jeden Pulsschlag der Halsschlagader, jede noch so geringe Unruhe, die die Position oder Lage der Luftdruckwaffe beeinflussen, werden unaufhörlich am Kontrollmonitor protokolliert. Das Ziel ist der perfekte Schuss. Immer und immer wieder.

Jan Lochbihler,
Vollste Konzentration auf ein winziges Ziel: Im Match gibt Jan Lochbihler in 75 Minuten 60 Schuss ab. (Bild: Schunk)

Das Ziel: Es hat die Größe eines Stecknadelkopfs

75 lange Minuten dauert in der Disziplin „10 Meter Luftgewehr“ ein olympischer Wettkampf. Für Jan Lochbihler heißt das 75 Minuten annähernd regungslos stehen, um in dieser Zeit 60 Schuss auf einen zehn Meter entfernten Zielkreis mit 0,5 Millimetern Durchmesser abzugeben. 0,5 Millimeter – knapp so groß wie der Kopf einer Stecknadel.

In der Liga, in der Jan Lochbihler schießt, trifft jeder die Zehn. Jedes Mal. Die Zehn ist bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften längst nicht mehr das Ziel. Hier geht es ausschließlich um die Nachkommastellen, im besten Fall um die 10,9, und zugleich darum, sich in der kompletten Serie keinen einzigen Ausrutscher zu erlauben. Schwere Hosen, Jacken und Schuhe sorgen für einen stabilen Stand; genormte Stirnbänder mit Abdeckscheiben für das Auge für klare Sicht; feinst ausgebildete Muskulatur für ein ruckfreies Verharren in der Nullposition; und ein computergestütztes Videotracking des anvisierten Ziels für maximale Transparenz vor, beim und nach dem Schuss.

An der Uni Bern geht man jetzt noch weiter: Hochauflösende, industrielle Kraft-Momenten-Sensoren, die vor allem in der Robotik, mittlerweile aber auch zunehmend in der Medizin und Reha-Technik zum Einsatz kommen, sollen Licht in das Kräftespiel am Gewehrschaft bringen.

Technologische Anleihe beim Maschinenbau

„Die grundlegende Frage des Projekts war, wie man einen Präzisionssport wie das Sportschießen noch weiter optimieren kann“, erläutert Projektleiter Dr. Ralf Kredel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sportwissenschaft der Universität Bern. „Und zwar unter Berücksichtigung des menschlichen Körpers, der ein redundantes System darstellt und eben nicht die Präzision einer Maschine aufweist.“ Dass gerade der Maschinenbau hier einen wichtigen Beitrag leisten kann, mag auf den ersten Blick verwundern.

Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass beide, Mensch und Maschine, längst einen Annäherungskurs fahren. Spätestens seit dem Boom der Service- und Assistenzrobotik verschwimmen die Grenzen zwischen beiden. Aus dem abgegrenzten Nebeneinander wird ein Miteinander. Jeder macht genau das, was er am besten kann und wird dabei vom Gegenüber, im Fall des Schweizer Olympiateams, vom Sensor unterstützt. Letzterer verleiht schon seit längerem industriell eingesetzten Robotern das immer häufiger notwendige Fingerspitzengefühl. Weshalb also nicht den Spieß umdrehen und den Fingerspitzen der Schützen den technologischen Vorteil der Maschine angedeihen lassen?  

Forscher nehmen Kontaktkräfte ins Visier

„Wenn es gelingt, die Präzision zu erklären, kann man diese Erkenntnisse direkt zur Trainingsverbesserung einsetzen“, skizziert Kredel. Denn ob ein Schuss trifft oder nicht, hinge letztlich von der Gewehrposition und der Ausrichtung des Gewehrs zu einem bestimmten Zeitpunkt ab. Dabei spielen die Kräfte, die an den erlaubten Kontaktpunkten der beiden Hände, der Backe und der Schulter auf das Gewehr wirken eine entscheidende Rolle. „Die Kontaktkräfte entstehen aufgrund der Körperstellung – das ist die passive Kraft – sowie der zusätzlich aufgebrachten aktiven Kraft auf das Gewehr“, unterscheidet der Wissenschaftler. Beide bestimmen das Ergebnis und werden von physiologischen Einflüssen, wie Atmung und Herzschlag ebenso beeinflusst wie von psychischen Faktoren, beispielsweise Angst oder Erregung.

Was theoretisch klingt, hat praktische Auswirkungen: So zeigt sich immer wieder, dass die Leistungen der Athleten im Training signifikant von den Leistungen im Wettkampf abweichen. Das Ziel des digitalen Kräftemessens ist damit klar umrissen: Es geht darum, möglichst exakt herauszufinden, wo mögliche Fehler herrühren, um gezielt daran zu arbeiten.

Sensorgewehr,
Wo liegen mögliche Fehler? Um das herauszufinden, werden jede kleinste Regung und sämtliche Kräfte am Gewehr beim Training mit dem Sensorgewehr von den hochsensiblen Messsystemen erfasst und visualisiert. (Bild: Schunk)

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