Frank Maier,
„Je kleiner die Losgrößen werden, desto weniger wollen Sie als Mensch in den Prozess eingreifen. Deshalb muss die Maschine selber entscheiden.“
Frank Maier, Lenze (Bild: Lenze)

Was veranlasst Sie zu der Aussage, dass die Smart Factory keine Utopie mehr ist?

Ich halte Industrie 4.0 technisch gesehen für kein revolutionäres Ding. Ich sehe es eher als eine Entwicklung, die sich schon seit der Erfindung des Transistors in die Automation bewegt. Seit 40 Jahren wird die Fabrik smarter und smarter. Es gibt nicht diese eine Zäsur, ab der sie smart ist und vorher war sie dumm. Klar ist natürlich, dass durch die Entwicklung neuer Techniken, also schneller Busse, hoher Rechenleistung, auch cloudbasiertem Computing, mehr und mehr Möglichkeiten bestehen, über Vernetzung, Algorithmen und künstliche Intelligenz die Entscheidungsfindung vom Menschen auf die Maschine zu verlagern.

Was heißt das genau? Was macht eine Fabrik in Ihren Augen smart?

Wir haben schon heute die Möglichkeit, bestimmte Entscheidungsprozesse in der Fabrik zu automatisieren, etwa in Dispositionssystemen. Ein SAP zum Beispiel hat relativ komplexe Algorithmen im Bauch – Warenabfluss, Wiederbeschaffungszeit, Preise – in denen die Intelligenz der früheren Disponenten ins System verlagert wurde. Heute macht die Software einen Vorschlag, den ein Mensch am Ende absegnen muss. Der Unterschied bei einer smarten Industrie-4.0-Fabrik ist, dass wir es schaffen, über die Korrelation von Daten und Informationen Entscheidungen, die früher der Mensch hat machen müssen, in die Selbstkonfiguration zu bekommen. Da stehen wir durchaus noch am Anfang.

Löst die Selbstorganisation das bisherige Losgröße-1-Dogma der Industrie 4.0 ab?

Diese beiden Fragestellungen hängen sehr eng zusammen. Es ist ja nicht so, dass man alles digital machen muss, was digital geht. Da steckt auch eine ökonomische Dimension dahinter. Wann lohnt es sich, einen Prozess, den bisher ein Mensch gemacht hat, zu automatisieren? Je kleiner die Losgrößen werden, desto weniger wollen Sie als Mensch in den Prozess der Fabrik eingreifen. Angefangen von der Materialbeschaffung über die Konfiguration der Maschine über die Rüstung der Maschine und so weiter. Je kleiner die Losgrößen werden, desto weniger Zeit, Energie, Geld dürfen Sie in diese Art von Prozessen stecken. Denn jeder Aufwand geht als Kosten geteilt durch die Losgröße in die Kalkulation des Produktes ein. In anderen Worten: In der Produktion sollten die Kosten dieser Prozessschritte methodisch für sich betrachtet gegen null gehen. Bei der Massenfertigung wurde das dadurch gelöst, dass diese Kosten durch eine große Zahl geteilt wurden. Dann waren sie fast null. Bei Losgröße 1 teilen wir es durch eins, also müssen diese Prozesskosten nahe null sein. Deshalb muss die Maschine selber entscheiden, selber umrüsten, automatisiert sein.

Dafür, dass Industrie 4.0 keine Utopie ist, gibt es aber nur wenige smarte Fabriken ...

Stimmt. Es gibt ein paar Vorzeigefabriken, zum Teil mit universitärem Charakter, die gerne als Showcase genannt werden. Aber in der Breite findet sich das noch nicht. Über allem steht eben die Frage: Wo steckt der Effizienzgewinn? Wir haben die Ideen. Wir haben an vielen Stellen die technischen Konzepte. Und mittlerweile wissen wir auch, wie man Daten aus der Fabrik in die Cloud bekommt und danach weiterverarbeitet, um mal ganz konkret zu sein. Aber die spannende Frage: Wo ist jetzt der Kundenmehrwert dieser Daten oder der Korrelation dieser Daten? Diese Frage ist noch offen. Da müssen wir sicherlich an verschiedenen Stellen noch Beweise antreten. Ich habe einen großen Kunden, der fest überzeugt ist, dass er die Fertigungskapazität um fünf bis zehn Prozent steigern kann, ohne ein Stück Hardware zu ändern. Nur indem wir die Daten, die im Fertigungsprozess anfallen, aus den Maschinen herauslösen und richtig verarbeiten. Dazu braucht es künstliche Intelligenz und Machine Learning – nicht umsonst wurden diese Themen von der Regierung als Kernthemen der Industrie 4.0 neu definiert.

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