Die Steuerung PSSuniversal PLC ist der Allrounder des Automatisierungssystem PSS 4000. Die SPS ist

Die Steuerung PSSuniversal PLC ist der Allrounder des Automatisierungssystem PSS 4000. Die SPS ist in den Hauptsprachen der EN/IEC 61131-3 für Sicherheit und Automation programmierbar. - (Bild: Pilz)

Automatisierungstechnik ist vielerorts im Einsatz, manchmal auch dort, wo man sie nicht sofort vermutet. Zum Beispiel in einer Seilbahn. Ein Blick über den Tellerrand – beziehungsweise in die Tiefe der bayerischen Alpen…

Versiert hängt der junge Mann die Seilrolle über mir ein, auf der ich gleich in einem Sitzgeschirr mit bis zu 80 km/h auf einem Drahtseil über Almwiesen in die Tiefe rauschen soll. Auf 650 Meter Seil-Länge mit einer Höhendifferenz von 142 Metern. „Keine Sorge“ sagt er, „die Rollen haben für Ihr Gewicht passende Wirbelstrombremsen, Sie werden schon nicht zu schnell.“ Klar. Aber was, wenn die Seilbahn noch nicht frei ist oder die Bremsvorrichtung im Tal nicht in Bereitschaft? Sause ich dann ungebremst in die Talstation? „Keine Sorge“ wiederholt mein Flight Instructor, während er den Auslöseknopf betätigt. „Die Anlage ist automatisch elektronisch gesichert.“ Und schon fliege ich wie in einem Hängegleiter talabwärts. Noch während ich die gigantische Aussicht über die Alpen rund um das bayerische Oberaudorf genieße, beschließe ich, mir das Sicherheits- und Automatisierungssystem genauer anzusehen.

Im „Oberaudorfer Flieger“, einer Flying-Fox-Anlage, kommt Automatisierungstechnik von Pilz zum Einsatz.

Im „Oberaudorfer Flieger“, einer Flying-Fox-Anlage, kommt Automatisierungstechnik von Pilz zum Einsatz.

Sicher wie die fliegenden Bauten

Die Seilbahn nach dem Flying-Fox-Prinzip ist ein Rope Runner der Firma Engineering-Mechatronics aus dem österreichischen Piesendorf, und die eingesetzte Steuerungs- und Sicherheitstechnik stammt von Pilz aus Ostfildern. Mit deren Automatisierungssystem PSS 4000 werden alle relevanten Parameter überwacht und gesteuert: die Abflugregelung am Start, die Streckenüberwachung inklusive Windgeschwindigkeitsmessung und das talseitige Bremssystem. Auch Betriebsdaten wie Flug- und Bremszeit und die Zahl der Flüge sammelt die Steuerung und gibt sie an ein Visualisierungssystem weiter.

Die Anlage in Oberaudorf gilt derzeit als sicherste der Welt. Sie ist die erste Flying-Fox-Bahn, die nach der Norm für fliegende Bauten vom Tüv zertifiziert wurde – also nach den Regeln, denen sich auch Achterbahnen und sonstige Fahrgeschäfte unterwerfen müssen. Üblich ist das bislang nicht, Seilfluganlagen wurden bislang nach den Richtlinien für Klettersportgeräte abgenommen, bei denen unter anderem eine Streckenfreigabe per Sprechfunk zwischen Berg- und Talstation möglich ist.
Bei fliegenden Bauten ist das anders: Hier muss die Sicherung automatisch zwangsgesteuert erfolgen und vom System sicher überwacht werden – was beim Oberaudorfer Flieger bedeutet, dass mit der Pilz-Technologie ein Sicherheitsniveau von SIL3 gemäß IEC61508 respektive Kat. 4/Performance Level e nach EN ISO13849-1 erreicht werden musste. Die doppelt ausgeführten Halteschranken für den Roller an der Bergstation werden erst freigegeben, wenn alle relevanten Teilsysteme der Bergstation über eine sichere Kommunikation die Freigabe erteilt haben.

8 Products Pilz

Das umfangreiche Pilz-Portfolio umfasst neben Sicherheitstechnik auch komplette Automatisierungslösungen.

Im Schaltschrank der Talstation laufen in der Steuerung PSSuniversal PLC des Automatisierungssystems PSS 4000 sämtliche Daten der Streckenüberwachung zusammen. Dezentral an der Bergstation sind sichere PSSuniversal-E/A-Stationen installiert. Die Kommunikation zwischen den Stationen läuft im Echtzeit-Ethernet-Protokoll SafetyNetp in einem Blitzschlag- und wetterfesten Lichtwellenleiter, der im Tragseil integriert ist. Diese vollautomatische Streckenüberwachung stellt sicher, dass erst dann, wenn ein Fluggast das Landepodest in der Talstation verlassen hat, der nächste oben starten kann.
Dass auch das Gurtzeug und die mit integrierten Wirbelstrombremsen versehenen Seilrollen Tüv-geprüft sind, ist selbstverständlich. Um die Geschwindigkeit am Seil in den nötigen Toleranzgrenzen zu halten, stehen vier Roller-Größen für Gewichtsklassen von 30 bis 125 Kilogramm zur Verfügung. Ich musste vor dem Start also auf die Waage…

Der mechatronische Ansatz

In einer Seilbahn – noch dazu einer so einfachen, in der es nur abwärts geht – ist ein System wie PSS 4000 im Grunde fast schon überdimensioniert. Hier geht es vor allem um die Sicherheitsfunktionalität und die Möglichkeit, die Intelligenz dezentral, in Berg- und Talstation, zu verteilen.
Genau diese Dezentralität und Modularität ist es aber, die das Automatisierungssystem von Pilz auszeichnet und von klassischen Automatisierungssystemen unterscheidet. PSS 4000 ist ein Multimaster-System, bei dem sich die Leistung nicht in einer zentralen, dicken CPU bündelt. Der Ansatz ist vielmehr, Performance und Logik über einen echtzeitfähigen Bus dorthin zu verteilen, wo sie im Feld am Ende auch benötigt werden. Und das für Automation ebenso wie für Sicherheitstechnik. Was bei einer einfachen Abkantpresse vielleicht nicht unbedingt nötig ist, wird bei größeren, verteilten Anlagen zu einem deutlichen Vorteil. Nicht nur Performance und Verfügbarkeit lassen sich steigern, auch die Inbetriebnahme verkürzt sich, weil einzelne Module vorab engineered und getestet werden können. Auch in puncto Erweiterbarkeit hat ein modulares Sytem offenkundig mehr Optionen.

Über das Echtzeit-Ethernet SafetyNetp lässt sich die sichere Kommunikation auch drahtlos aufbauen.

Über das Echtzeit-Ethernet SafetyNetp lässt sich die sichere Kommunikation auch drahtlos aufbauen.

Manche Vorteile des dezentralen mechatronischen Ansatzes sind wiederum nicht selbsterklärend. Denn es ist notwendig, das gesamte Engineering auf das neue Konzept umzustellen. Wenn beispielsweise ein Software-Entwickler sein über die Jahre immer weiter optimiertes Stück Code für einen Single-Core-Prozessor auf einen Mehrkern-Prozessor überträgt, dann bleibt das Ergebnis zu Beginn meist hinter den Erwartungen zurück. Er muss seine Programmstrukturen für die Architektur des Multi-Core-Prozessors anpassen, um das Potenzial der Parallelverarbeitung wirklich nutzen zu können. Ähnlich verhält es sich im Vergleich von zentralen zu dezentralen Automatisierungsprojekten. Der große Nutzen des mechatronischen Ansatzes ist die erhöhte Wiederverwendbarkeit der erstellten Programme, die sich ausschließlich an den Grenzen der Funktionsmodule orientiert.

Ausbilden für die Zukunft

Im klassischen Workflow interessiert sich derjenige, der das Programm schreibt, nicht für den Aufbau der Mechanik. Als SPS-Spezialist soll er die Kiste im Grunde nur ans Laufen bringen. Aber genau diese Denkweise ist im Zuge von Industrie 4.0 zu ändern. Erst, wenn der Ingenieur die Vorteile der Modularität in seinen Projekten anhand belastbarer Faktoren erkennt, wird Modularität auch angenommen. Erst dann wird es eine einvernehmliche Zusammenarbeit zwischen Elektronikern und Mechanikern und IT-Leuten geben. Aus diesem Grund bietet Pilz nicht nur die Komponenten und passende Tools an, sondern auch ein umfangreiches Programm an Schulungen und Services. Ich wiederum freue mich heute einfach darüber, dass Pilz auch die Seilbahnbauer beraten hat und ich sicher noch eine weitere Runde runtersausen kann.

„Wir beherrschen die komplette Automatisierung“

Lange Zeit hatte Pilz den Ruf, ein reiner Anbieter von Sicherheitstechnik zu sein. ke NEXT sprach an der Seilbahnanlage Oberaudorf mit Bernd Issler, der bei Pilz im Customer Support tätig ist, über die gar nicht so neue Ausrichtung von Pilz.

Pilz ist bekannt als Anbieter für Sicherheitstechnik. Jetzt legen Sie sehr viel Wert auf die allgemeine Automatisierung. Warum?

Historisch gesehen sind wir eigentlich ein Steuerungsunternehmen. Der Sohn des Firmengründers, Peter Pilz, hat eine der ersten Speicherprogrammierbaren Steuerungen überhaupt konzipiert, basierend auf der damals neuen Steuerungstechnik von Texas Instruments. Die Vermarktung der Steuerungen wurde aber vertriebsseitig nicht mehr besonders weiterverfolgt, auch weil die Sicherheitstechnik so erfolgreich war. Spätestens 2009 hat sich das geändert, als wir mit unserem Automatisierungssystem PSS 4000 der Sicherheit die Automation an die Seite gestellt haben. So gesehen: die komplette Automation gehörte immer schon zu Pilz.

Mit Ihrem dezentralen Automatisierungssystem propagieren Sie modulare und nach einem mechatronischen Ansatz aufgebaute Anlagen. Aber sieht wirklich jeder Anwender die Vorteile des Konzepts?

Sehen Sie, wir haben mit PSS 4000 ganz bewusst nicht nochmal eine der üblichen SPS-Lösungen auf den Markt gebracht. Wir haben gesehen, dass auch viele Maschinen und Anlagen mittlerweile einen modularen Aufbau haben. Die verteilte Intelligenz war daher unsere Steuerungsphilosophie, auch schon bevor das Ganze durch Industrie 4.0 populär geworden ist. Allerdings: Wie jeder Vorreiter haben wir die Situation, dass Kunden vor allem am Anfang erst einmal das bevorzugen, was sie kennen. Also eine leistungsstarke SPS mit einer eher passiven Peripherie. Wir sehen es jetzt als unsere Aufgabe, die Vorteile des dezentralen, modularen Automatisierungssystems zu vermitteln.

Dann nennen Sie doch mal ein paar davon…

Pilz bietet mit dem System PSS 4000 mehr Funktionen und ein anderes Ineinandergreifen der prozesstechnischen und sicherheitstechnischen Aufgabenstellungen. Unser Ansatz reduziert Schnittstellen, optimiert das Zusammenspiel. Es gibt außerdem eine gemeinsame Engineeringplattform, eine einheitliche Diagnose, eine Prozessvisualisierung und vieles mehr. Und weil wir von der „sicheren Seite“ kommen, können wir die Gesamtlösung gleichermaßen und gesamthaft in den relevanten Punkten der Sicherheit und der Funktion bewerten. Anwender schätzen diese Kompetenz und die Qualität unserer Beratung.

Gibt es schon Vorstellungen, wie sich das Automatisierungssystem PSS 4000 weiterentwickeln lässt?

Nun, schon seit der Markteinführung hat Pilz das Automatisierungssystem im engen Kontakt mit Anwendern immer weiterentwickelt. Dieses Jahr, 2014, haben wir uns die Internationalisierung auf die Fahnen geschrieben: Das heißt neue Editorsprachen, die das komplette Hilfemenü, die Installationsunterstützung, die gesamte Systembeschreibung und das Sicherheitshandbuch umfassen. Italienisch, Chinesisch, Spanisch, Französisch, Japanisch und Portugiesisch sind aktuell dazugekommen.

An der Talstation sprach Chefredakteur Wolfgang Kräußlich mit Bernd Issler aus dem Customer Support von Pilz über die eingesetzte Automatisierungstechnik.

An der Talstation sprach Chefredakteur Wolfgang Kräußlich mit Bernd Issler aus dem Customer Support von Pilz über die eingesetzte Automatisierungstechnik.

Außerdem haben wir die Anbindung neuer Kommunikationsprotokolle wie Ethernet/IP oder Ethercat vorangetrieben und die Integration neuer Editoren wie den Editor für Ladder Diagram (Kontakt Plan, PAS LD). Für Ende 2014 ist die nächste Entwicklungsstufe in den Startlöchern: unsere neue Visualisierungssoftware PASvisu.

Wann wird sich die neue Software denn begutachten lassen?

Diese neue Software zeigen wir bereits auf der Automatisierungsmesse SPS IPC Drives Ende November in Nürnberg. Wir stellen damit die enge Verzahnung der Prozessschritte Programmierung und Diagnose/Visualisierung in den Vordergrund. Zum Beispiel ist PASvisu in der Lage, direkt auf alle bestehenden Steuerungsvariablen zuzugreifen – Fehlermöglichkeiten und Doppeleingaben gehören damit der Vergangenheit an. Gleichzeitig hat PASvisu eine moderne Oberfläche und man kann das Programm unabhängig von den Endgeräten verwenden.

www.pilz.de

Von Wolfgang Kräußlich
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Wolfgang KräußlichWolfgang Kräußlich
Leitender Chefredakteur
Konstruktionsmedien

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