Kulturen von Keratinozyten,

Tröpfchen für Tröpfchen: Anhand solcher Kulturen von Keratinozyten – mit über 90 Prozent häufigster Zelltyp der oberen Hautschicht – werden auch Textilextrakte auf ihre Hautverträglichkeit hin untersucht. (Bild: Uniklinik Jena/Klinik für Hautkrankheiten)

Laut Bundesgesundheitsministerium sterben bundesweit jährlich bis zu 15.000 Patienten nach Infektionen mit multiresistenten Keimen während eines Klinikaufenthalts. Weil Textilien mit antibakteriell ausgerüsteter Oberfläche dazu beitragen können, die hohen Morbiditätszahlen einzudämmen, wird an Textilforschungsinstituten deutschlandweit mit Hochdruck an der Verbindung effizienter Wirkmechanismen mit textilen Trägerstrukturen gearbeitet.

Um gefährliche Keime abzutöten und die Erregerübertragung zu minimieren, werden beispielsweise Textilien mit biozidwirkenden Silber-, Zink- oder Kupferpartikeln angereichert. Daraus entstehende Produkte finden Verwendung unter anderem als Wundauflagen, Kompressen, Patienten- und OP-Bekleidung, Bettwäsche und Handtücher.

Dr. Roland Aschoff,
Versorgt und erforscht chronische Wunden: Dr. Roland Aschoff mit kommerziell erhältlicher Wundauflage und eingearbeiteten Biosensoren. (Bild: Michael Richter)

Damit die Industrie für den Kampf gegen Keime taugliche Produkte liefern kann, müssen zuvor Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Gegenmittels unabhängig getestet und belegt werden. Mehrere Textilforschungszentren haben deshalb spezielle Testlabors aufgebaut: Die Hohenstein Institute in Bönnigheim beispielsweise untersuchen derzeit gemeinsam mit Kliniken, Pflegeeinrichtungen und Industriepartnern, wie effektiv antimikrobielle Textilien Infektionsketten in Pflegesituationen durchbrechen. Der Direktor des Fachbereichs Hygiene, Umwelt & Medizin, Professor Dirk Höfer, verspricht sich konkrete Erkenntnisse zum hygienischen Zusatznutzen dieser Textilien und klare Vorgaben für die Produzenten.

An der Hochschule Niederrhein wurde 2014 ebenfalls ein mikrobiologisches Prüflabor etabliert, dessen Ausstattung und Organisation die Arbeit mit Infektionserregern der Risikoklasse II gestattet. Dort laufen in Kooperation mit der Uni Witten/Herdecke Untersuchungen zur Wirksamkeit antimikrobieller Substanzen in Abhängigkeit von Umgebungsbedingungen.

Ihr Ziel sind Erkenntnisse dazu, wie die Menge vorhandener Feuchtigkeit die Wirkung von Silber-Ionen gegen unterschiedliche Bakterien beeinflusst. Über vergleichbare Möglichkeiten verfügt das ebenfalls der Sicherheitsstufe II entsprechende Labor des Thüringischen Instituts für Textil- und Kunststoff-Forschung e. V. (TITK).

Bakterienschutz auch nach mehreren Waschgängen

Am TITK gelang kürzlich die Entwicklung einer Basistechnologie zur Mikrobenbekämpfung über die Ausrüstung synthetischer Endlos-Multifasern im Schmelzspinnprozess mittels organisch gebundener bioaktiver Metallsalzverbindungen. Erstmals konnten die vorgenannten Metalle mikrogekapselt mit breitbandbakterizider Wirkung in Kunststoffverbundmaterial eingebettet werden. Der Effekt: hohe Wirksamkeit bei niedrigster Substanzkonzentration.

Für die neue Lösung spricht, dass die Verarbeitungsparameter für die gängige Spinntechnologie einfach übernommen werden können, das Produktionsequipment also nicht modifiziert werden braucht. Auch nach zahlreichen Waschgängen und mechanischer Beanspruchung hemmt die eingebaute Bremse das Wachstum des berüchtigten Bakteriums Staphylococcus aureus effizient. Allergische Reaktionen oder gar Gefahren für die roten Blutkörperchen und Zellschädigungen der Textilnutzer konnten dabei ausgeschlossen werden. Doch auch die Verbesserung von Wundmaterialien spielt bei der medizintextilen Forschung eine Rolle.

Bakterium Staphylococcus aureus,
Stellt auch die textile Oberflächenforschung vor immer neue Herausforderungen: das zunehmend gegen Antibiotika resistente Bakterium Staphylococcus aureus.. (Bild: TITK.)

Wenn bei Dr. Uta-Christiane Hipler das Telefon klingelt, sind mitunter Textilforscher am Apparat, die wissen wollen: „Lässt sich dieses oder jenes Textil problemlos auf die Haut bringen?“ Die Leiterin des Routine- und In-vitro-Forschungslabors der Klinik für Hautkrankheiten am Universitätsklinikum in Jena bekommt zur Beurteilung kleinste Proben von Fasern, Vliesen und Textilstücken auf den Tisch. Derzeit arbeitet die studierte Chemikerin mit Forschern des TITK an der Verbesserung antibakterieller Fasern zur Herstellung medizinischer Textilien wie Patientenbekleidung, Bettwäsche und Wundauflagen.

Dabei besteht die Hauptaufgabe Hiplers und ihres Teams darin, die Fasern hinsichtlich ihrer Wirkung auf verschiedene Bakterien zu untersuchen. Ziel ist es, künftige Patientenbekleidung durch Zugabe bestimmter Wirkstoffe so auszustatten, dass diese bei chronischen Hauterkrankungen wie Neurodermitis praktisch von alleine weiteren Entzündungen vorbeugt und den Juckreiz lindert. Bisher werden für einen ähnlichen Effekt über einen längeren Zeitraum wiederholt feuchte Umschläge und wirkstoffreiche Salben und Cremes aufgebracht. Durch diese Form neuer Oberflächenfunktionalisierung bewährter Materialien ließe sich laut Dr. Hipler die Heilung speziell von chronischen Wunden deutlich beschleunigen. Die Verbesserung der Wundheilung ist ein Ansatz, der auch am DWI–Leibniz-Institut für Interaktive Materialien in Aachen verfolgt wird.

Hydrogel auf textiler Oberfläche

Dort läuft unter dem Stichwort „bioaktive Ausrüstung“ derzeit ein Forschungsvorhaben, bei dem der traditionelle Kunststoff Polycaprolacton (PCL) als Faser-Ausgangsmaterial für die Entwicklung von Wundabdeckungen für Brandwunden dient. Den Anstoß des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts gab eine schon vor einigen Jahren publizierte Erkenntnis, die Prof. Dr. Andrij Pich vom DWI so zusammenfasst: „In Brandwunden finden sich vermehrt Metall-Ionen wie Calcium, Zink und Magnesium, was darauf hindeutet, dass der Körper damit die Heilung beschleunigt.“

Kleine Geschichte der textilen Wundversorgung
Ist die Haut verletzt, wird zur Versorgung der Wunden vor allem auf textile Produkte zurückgegriffen: Pflaster, Kompressen, Mullbinden und Wundauflagen verschließen die Wunden, schützen und verbessern den Heilungsverlauf. Schon die Ägypter verwendeten zur Wundversorgung faserige Materialien. So fanden Wissenschaftler auf 4000 Jahre alten Papyri schriftliche Überlieferungen zu Therapien mit in Öl oder Honig getränkten Leinentüchern. Um 600 v. Chr. gelangte das umfangreiche Medizinwissen der Ägypter nach Griechenland, wo etwa Hippokrates Anleitungen zu Kompressen aus Scharpie, also gezupften – jedoch selbst nach Auskochen nie keimfreien – Leinenresten, verfasste. Im 13. Jahrhundert setzte über Byzanz und Konstantinopel der Know-how-Transfer nach Europa ein, wo es ab dem späten 19. Jahrhundert eine Reihe medizintextiler Durchbrüche gab. Ein Tübinger Chirurg entfettete 1870 Baumwolle, wodurch sie saugfähig wurde; im Jahr darauf lief die Wundwatteproduktion an; mit der Lister’schen Carbolgaze gab es 1874 einen ersten keimabtötenden Wundverband; 1882 erhielt Beiersdorf das Patent für selbstklebende Heilpflaster – und seit 1922 ist „Hansaplast“ auf dem Markt.

In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Medizinischen Hochschule Hannover und der Universität Duisburg-Essen entwickelten Pich und sein Team auf Basis dieser natürlichen Körperreaktion seit etwa vier Jahren eine spezielle Wundabdeckung. Dabei wird die textile Oberfläche mit einer permanenten hydrogelen Schicht überzogen. Das verhindert zunächst ein Verkleben der Wunde. Andererseits sind in der Hydrogelbeschichtung Nanopartikel aus desinfizierenden Zink-Ionen enthalten. Sie werden nach dem Auftragen auf die Brandverletzung gezielt freigesetzt, um aufgrund ihrer bakteriziden – also Bakterien tötenden – Eigenschaften aktiv zur Wundheilung beizutragen.

Der in makromolekularer Chemie habilitierte Pich betreut DWI-seitig im Rahmen des Projekts die Entwicklung des Hydrogels und die Freisetzungsgeschwindigkeit der Zink-Ionen. Er zeigt sich im vierten Forschungsjahr überzeugt, dass die faserbasierten Abdeckungen Brandwunden künftig schneller heilen lassen werden: „Derzeit laufen Wundheilungstests, die uns sehr zuversichtlich stimmen.“ Textilforscher in Dresden fragen sich derweil: Wie lassen sich Sensoren in Wundmaterialien integrieren?

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