Turbo für Forschung und Entwicklung

"Hoch brisant und verdammt schwierig", so bezeichnet Johann Soder, Geschäftsführer Technik bei SEW-Eurodrive, die Situation, wenn es um schnellere Entwicklungsprozesse geht. Unternehmen würden dieses heiße Eisen nur ungern anpacken. Soder weiß warum: „Entwicklungsbereiche haben in Unternehmen meist eine besondere Stellung, was dort passiert, gilt per se als gut und richtig."

Was Entwickler gar nicht mögen, ist Transparenz und das Messen einer kreativen Leistung. Aber in Zeiten der Globalisierung verdient in aller Regel nur der an einer Innovation, der als Erster auf dem Markt ist. Soder erklärt: „Wir müssen deshalb die Zeit von der Produktidee bis zur Serienreife, Produktion und Vermarktung enorm verkürzen.“ Zumal andere im globalen Wettbewerb deutlich schneller seien. Es trifft aber nicht nur den Bereich F&E, vielmehr „müssen wir unsere gesamte Wertschöpfungskette, vom Anruf des Kunden bis zum Produktlebensende, so gestalten, dass wir eine bereichsübergreifende, intelligente, leistungsfähige Zusammenarbeit realisieren“.

 Johann Soder, SEW-Eurodrive
Wir müssen die Zeit von der Produktidee bis zur Serienreife, Produktion und Vermarktung enorm kürzen.“ Johann Soder, SEW-Eurodrive

2007 wurde Johann Soder zum Geschäftsführer Technik berufen, zuvor verantwortete er die Produktion. Eine glückliche Konstellation, denn so konnte er mit Unterstützung der Unternehmensberatung Staufen in der Produktion längst gängige Lean-Grundsätze auf Forschung und Entwicklung übertragen: „Ich habe gesagt, lasst uns erst Produkte definieren und so gestalten, dass man sie wirtschaftlich und effizient produzieren kann, nicht umgekehrt.“ Die größte Hürde war es, die F&E-Mitarbeiter zu überzeugen. „Wir mussten von einer funktionsorientierten Denke zu einer prozessorientierten gelangen. Das erforderte den Wandel vom Macht- zum Willens-Unternehmen, in dem Ziele klar definiert sind und sich alle danach ausrichten“, erklärt Soder.

Es scheint gelungen. Heute sei SEW-Eurodrive ein durch und durch wertstromorientiertes Unternehmen mit einem Wertschöpfungssystem als Regelwerk, das die Grundlage für alle Geschäftsprozesse im Unternehmen bildet. Trotzdem darf „geträumt“ werden, wie Soder betont: „Die Phase des Träumens steht vor der Entwicklungsphase und endet mit einem Muster, in dem alle Funktionen dargestellt werden.“ Der Erfolg und die Kreativität sei über zwei Kenngrößen messbar: Aus dem Umsatz mit neuen Produkten aus den letzten drei Jahren – er wurde seit 2007 verdreifacht – und an eingereichten und zugeteilten Patenten.

Mit Lean den Schalter umgelegt

Lean Development war auch die Lösung bei Albrecht Jung, einem Hersteller von Premium-Lichtschaltern. Das Unternehmen mit 700 Mitarbeitern tat sich trotz vieler Erfolge schwer, auf das zunehmende Innovationstempo und komplexere Produktanforderungen neue Antworten zu finden. Man verfiel in Aktionismus und startete Hunderte von meist wenig aufeinander abgestimmten F&E-Projekten.

Wechselnde Prioritäten und fehlende Transparenz führten schnell zur Unzufriedenheit. Dann riss man in voller Fahrt das Lenkrad herum. Die Zahl der Entwicklungsprojekte wurde auf unter 100 reduziert und eine umfassende Neuausrichtung der F&E-Abteilung eingeleitet. Was Produktioner seit jeher kennen, die Messung ihrer Leistung, musste den F&E-Kollegen erst nahe gebracht werden. Sie wurden von Anfang an eingebunden – durch Workshops, Planspiele, Einbeziehen angrenzender Unternehmensbereiche. Und so entwickelte das Unternehmen dank dem Lean Development einen vergleichbaren Prototypen in der Hälfte der Zeit. Die Mitarbeiter waren stolz: ihr Unternehmen wurde mit dem Plus-X-Award als innovativstes Unternehmen und ein neues Raumbediengerät als Produkt des Jahres ausgezeichnet.

Auch wenn das Wesentliche in den Köpfen der Menschen stattfinden muss, es gibt durchaus hilfreiche Werkzeuge, die den Prozess unterstützen. Ein gutes Beispiel ist die neue Plattform 3D-Experience von Dassault Systèmes. Sie integriert 3D-Modellierung, Simulation und Datenintelligenz, bringt vor allem aber abteilungs- und unternehmensübergreifend alle beteiligten Menschen zusammen. Ähnliche Ansätze verfolgen mittlerweile auch andere Hersteller von Product-Lifecylce-Management-Systemen (PLM-Systemen).

Vernetzung spart Zeit und Geld

Welche Potenziale in einer solchen Vernetzung noch schlummern, zeigt eine Analyse von ROI Management Consulting in München. Danach nutzen weniger als ein Drittel aller Fertigungsunternehmen die Effizienzvorteile von Simultaneous Engineering konsequent. Sie könnten damit ihre Projektlaufzeiten mehr als halbieren und bis zu einem Drittel der bislang benötigten Ressourcen einsparen. Consultant Wilfried Gassner dazu: „Oft stoßen Unternehmen an ihre Leistungsgrenze, weil zwar Einzelabteilungen ihren Output bei der Entwicklung innovativer Produkte erbringen, aber der wechselseitige Informationsaustausch zwischen den Abteilungen und Personen nicht mehr ausreicht.“

Interessant: Auch bei Dassault Systèmes erkennt man die Größe Mensch als entscheidend an und bestätigt damit die Erfahrungen des Praktikers Soder. Schlüssel für den notwendigen Wandlungsprozess sei eine veränderte Sichtweise bei den Abteilungsverantwortlichen in Fertigungsunternehmen. Typisch sei immer noch, nur nach abteilungsbezogenen Einzellösungen zu suchen. Gassner nennt das einen „Abteilungs-Silo“, der optimiert werde. „Trotz hervorragender Einzellösungen bleibt der Gesamt­erfolg aber oft aus“, so seine Erfahrung.

Der Grund: Wertstromanalysen werden nicht konsequent über Abteilungsgrenzen hinweg durchgeführt. Sie verdeutlicht, dass der Geschäftserfolg etwa von einer intelligenten Verknüpfung der Werkzeuge und Mitarbeiter in mehreren Abteilungen abhängt. Verschärft wird die Problematik durch „aktuelle Innovationsnotwendigkeiten, die im Zuge einer veränderten Produktionslandschaft auf die Unternehmen zukommen. So erfordere „die zunehmend vernetzte Produktion unter der Industrie 4.0, die Verbindung von Elektrik, Elektronik und Software sowie der Einsatz neuer Materialien und ein abteilungsübergreifendes Denken“.

Gassner kommt in Unternehmen herum. Dabei stellte er fest, dass in vielen Firmen noch immer die üblichen Gräben zwischen Abteilungen existieren und sich Mitarbeiter zu wenig austauschen. „Es nützt das schönste Werkzeug nichts, wenn die gemeinschaftliche Sichtweise fehlt und so die Elektronikentwickler, die Hydrauliker, die Produktionsfachleute, die Produktsicherheitsleute mit ins Boot kommen“, betont Gassner.

Eine wesentliche Voraussetzung sei die anschauliche und verständliche Darstellung von Entwurfsständen, Simulations- und Testergebnissen sowie Freigaben für alle Beteiligten und über Abteilungsgrenzen hinweg. Genau das sei die Grundidee der 3D-Experience-Plattform. Die Experten bekommen damit eine für alle gültige, aktuelle Datendrehscheibe des entstehenden, virtuellen Produkts. hei

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