Bregenzer Seebühne mit spektakulärer Bühnentechnik 1

Spektakuläre Bühnentechnik macht Oper André Chénier auf der Bregenzer Seebühne zum Highlight 14 Meter hoch, 16 Meter breit und insgesamt 60 Tonnen schwer ist allein der Kopf des Torsos, der in den vergangenen Monaten auf dem Bodensee entstanden ist und als Kulisse der neuen Oper der Seebühne Bregenz dient.

Wie auch in den vergangenen Jahren besticht das Bühnenbild durch seine Technik-Affinität – nicht nur der Kopf kann hydraulisch bewegt werden, auch die weiteren Dekorationselemente werden entweder hydraulisch oder pneumatisch während der Aufführung verändert.

Natürlich spielt die Musik die Hauptrolle bei den Opern-Inszenierungen der Bregenzer Seebühne, die seit 65 Jahren jedes Jahr mehr Besucher mit spektakulären Aufführungen begeistert. Was 1946 als Sommerfestival auf zwei Kieskähnen im Bregenzer Godelhafen begann, hat sich mittlerweile zu einem Opern-Event von internationalem Rang im Drei-Länder-Eck am Bodensee entwickelt.

Die weltgrößte Seebühne – mitten im Wasser gelegen – mit ihrem Spiel auf dem See ist dabei nur eine Attraktion des Bregenzer Festspielhauses, allerdings besticht gerade dieses Ambiente auch durch ihre immer wieder überraschende, und dadurch unvergessliche Bühnentechnik.

Sie erinnern sich bestimmt noch an das überdimensionale Auge der Tosca-Inszenierung auf der Seebühne in 2007 und 2008? Hier spielte ein gigantisches Auge eine Hauptrolle, dessen Iris es in sich hatte: Sie war ein kreisrunder Ausschnitt mit einem Durchmesser von zwölf Metern, der am Kopf eines 20 Meter langen Kranarms befestigt war. Die Plattform konnte um eine mittig gelegene Querachse annähernd in die Horizontale geschwenkt werden.

 

Als schiefe Ebene mit einem Neigungswinkel von zirka zehn Grad bildete diese Iris den Schauplatz für den dramatischen Höhepunkt der Oper. Die Schwenkbewegung des Auges ermöglichten zwei außen an der Querachse verbaute Getriebe GFT 110 von Rexroth, die von je einem Drehstrommotor angetrieben wurden. Das GFT 110 ist ein dreistufiges Planetengetriebe mit einem Abtriebsmoment von 110 kNm – als Fahrgetriebe eigentlich für den Einsatz in hydraulischen Antrieben schwerer Arbeitsmaschinen wie Radlader oder Raupenbagger konzipiert.

Die Anforderungen der Festspieltechniker wie geringer Platzbedarf, hohes Drehmoment und Zuverlässigkeit erforderten jedoch ungewöhnliche Lösungen und Mittel. Qualität und Zuverlässigkeit spielen wichtigste Rolle „Wir stellen sehr hohe Ansprüche an unsere Bühnentechnik“, erläutert Gerd Alfons, Technischer Direktor der Bregenzer Festspiele. Sie müsse absolut unauffällig ihren Dienst tun, also auch im Betrieb weder zu sehen noch zu hören sein. „Das Publikum darf nichts davon mitbekommen.“

Ausfallsicherheit steht dabei an erster Stelle. „Insbesondere für sensible Bereiche wie die Bewegung der Irisplattform spielten Qualität und Zuverlässigkeit der Produkte eine sehr wichtige Rolle“, ergänzt Wolfgang Bruckschwaiger, Leiter Maschinen- und Steuerungstechnik und damals Detailprojektleiter für die Iris-Hubtechnik. In der Ausschreibung der Festspielhaus-Technik und den Bühnenstatikern für den Kulissenbau war das Rexroth-Getriebe daher als Referenz vorgegeben.

Den Zuschlag für Konstruktion und Aufbau des Iris-Hubs bekam die Firma Steurer Maschinen und Seilbahnen in Doren in Vorarlberg, traditionell einer der wichtigsten Lieferanten für die verschiedenen Aufbauten auf der Seebühne. Insgesamt waren sechs Unternehmen an Bühnenbild, Konstruktion und Technik für die Inszenierung der Tosca beteiligt.

Aktuell ist gerade wieder eine neue Inszenierung in Vorbereitung: Wenn am 20. Juli 2011 die Premiere der neuen Oper bei Einbruch der Dämmerung beginnen wird, dann kann sich das Publikum auf eine weitere herausragende Vorstellung freuen: André Chénier, das berühmteste Werk des italienischen Komponisten Umberto Giordano, ist ein historisches Drama von brillanter Schärfe und eine menschliche Tragödie von erschütternder Intensität. Gezeichnet vor dem Hintergrund der französischen Revolution ist die Oper gleichermaßen packend – ein leidenschaftliches Liebesdrama und ein historischer Krimi.

Im Zentrum der Oper steht der gleichnamige französische Dichter, eine historische Figur, die in den Wirren der französischen Revolution vom glühenden Anhänger zum erbarmungslos Verfolgten wird und am Ende selbst auf der Guillotine endet. Der Revolutionär und Dichter wurde 1762 in der Nähe von Konstantinopel (heute Istanbul) geboren und 1794 in Paris auf der Guillotine hingerichtet. Frankreich im Jahr 1789. Der Adel feiert, die Bürger murren. Und zwischen allen Stühlen: der Dichter André Chénier. Geliebt von den Reichen für seine einfühlsamen Verse, im Herzen aber ein Revolutionär. Komponist Giordano ließ historische Tänze und Märsche aus der Zeit vor der Französischen Revolution genauso in seine Musik einfließen wie bekannte Revolutions–Klänge, darunter das „Ça ira“ und die „Marseillaise“. Sie stehen neben bewegenden Arien und mitreißenden Duetten, die der Oper ihren einzigartigen Charakter verleihen.

„Es ist, als sei André Chénier nur für die Bregenzer Seebühne komponiert worden. Diese Oper bietet die perfekte Mischung für diesen Ort: Eine packende Handlung und vier starke Charaktere, gefangen zwischen den Exzessen des Ancien Régime und dem Terror der französischen Revolution. Da sind André Chénier, der idealistische Poet, und sein Gegenspieler Carlo Gérard, einst Diener und nun revolutionärer Rädelsführer. Und da ist die junge Adelige Maddalena, die auf der Flucht vor den Aufständischen ist, unterstützt von ihrem Dienstmädchen, die sich als Prostituierte verdingt, um ihrer Herrin den Lebensunterhalt zu ermöglichen. Giordanos Musik ist Verismo allererster Güte und treibt den hoch spannenden Plot mit atemberaubender Geschwindigkeit voran“, schwärmt der Intendant David Pountney.

Bühnenmodell aus dem 3D-Drucker

Regisseur Keith Warner und Bühnenbildner David Fielding wählten mit „Der Tod des Marat“ das bekannteste Gemälde des Revolutionsmalers Jacques-Louis David als Basis für das Bühnenbild der leidenschaftlichen Oper, das somit erstmals an eine historische Darstellung angelehnt ist. Für den Bühnenentwurf beschritten die Bregenzer Festspiele völlig neue Wege: Das Gemälde wurde gemeinsam mit CAD-Designern digitalisiert und angepasst. Mittels dieser Daten entstand ein erstes CAD-Modell des Bühnen-Torsos am Bildschirm, in dem jedes Detail des Bühnenbildes abgebildet, angesehen, vermessen und verändert werden konnte. Aus dem Raster der Digitalisierung wurde dann die Treppenlandschaft entwickelt, welche den Oberkörper Marats an der Vorderseite gleichzeitig aufbricht, aber auch zusammenhält. Die gewonnen Daten wurden von einem 3D-Drucker im Modell 1:50 dreidimensional ausgedruckt, die Modell-Skulptur dann vom Bildhauer Frank Schulze überarbeitet und erneut eingescannt.

Diese elektronischen Modelldaten bildeten die Grundlage für die Werkstattpläne der ausführenden Firmen und waren zugleich die Basis für die Oberflächengestaltung der 24 Meter hohen Skulptur. Ihre Form wurde in vielen Teilen grob mittels CNC aus Styropor gefräst und dann von den Theaterbildhauern in Handarbeit weiter bearbeitet.

Der riesige Kopf ist natürlich nicht statisch – er kann hydraulisch nach hinten geklappt werden und gibt dann den Blick auf das „Gehirn“ der Figur frei: Ein sieben Meter hoher Stapel überdimensionaler Bücher dient ebenso als Spielfläche wie die Treppen auf der Vorderseite des Torsos. Weitere Requisiten wie ein goldener 19 Meter hoher und sieben Meter breiter Spiegel, der ebenfalls als 3D-Modell aus Styropor gefräst wurde, ein altes Buch, ein Brief, den der tote Marat in seiner Hand hält: Auf den vielen Bühnenelementen tummeln sich neben den Sängerinnen und Sängern auch zahlreiche Statisten und Stuntmen.

Alle Teile sind beweglich – ob hydraulisch oder pneumatisch angetrieben. So sorgen insgesamt sechs Hydraulikzylinder, die mit zwei Hydraulikaggregaten betrieben werden, in der Konstruktion für die Kippbewegungen des Kopfes, sowie dafür, dass das Messer aus dem Wasser gezogen werden kann, für die Drehbewegung und die Hebe- und Senkbewegung der Karte.

Aus dem Kopf können 33 Stacheln geschoben werden, mit einem drei Meter langen Verfahrweg, angetrieben von kolbenstangenlosen Pneumatikzylindern von Norgren. Die Aufgabe der Lintra-Zylinder besteht darin, in der Abschlussszene über 3 m lange Nadeln aus dem Kopf der Figur auszufahren. Der Zylinder bewegt die Nadel hierfür über den gesamten Hub. Darüber hinaus übernimmt er alle an der Nadel auftretenden Kräfte und Momente, die zum Beispiel durch Windeinflüsse oder Auskragung entstehen. Der Zylinder ist konstruktiv so ausgelegt, dass er Witterungseinflüssen (Wind, Schnee, Regen, usw.) problemlos standhält. Die kompakte und schlanke Bauform eignet sich optimal zur Integration in das Bühnenbild. Dank des zentralen Luftanschlusses am Boden und der Luftzufuhr innerhalb des Profils entfallen störende Verschlauchungen. Die umlaufende Staubabdichtung gewährleistet einen problemlosen Betrieb.

Festo-Pneumatik sorgt für die Verriegelung des Messers, nachdem es ausgefahren wurde. Kleine Pneumatikzylinder dienen als Löser für eine rund 1000 qm großes Tuch, das den Kopf verhüllt. Ebenfalls pneumatisch funktionieren die Lippenbewegungen und die Augenöffnung. Aus der Torso-Schulter wird ein Rundsteg herausfahren, bewegt durch einen Zahnstangenantrieb.

Auch an der Realisierung dieser beweglichen Bühnenkostruktion, also Marats Kopf, Schulter und Unterbau, dem Buch, Brief, Tuch, dem Spiegel mit den Kerzen und dem Messer waren neun Detailprojektleiter als Schnittstelle zwischen den Künstlern, den Bregenzer Festspielen und den Herstellern beteiligt. „Somit stellen wir sicher, dass mittels Ausschreibungen immer wieder neue Auftragnehmer zum Zug kommen, und wir wirtschaftlich arbeiten können“, betont Technikleiter Alfons.

Autorin Ingrid Fackler, Redakteurin fluid

Gerd Alfons„Wir brauchen etwas fürs Auge auf der Bühne“

Interview mit Gerd Alfons, dem Technischen Direktor der Bregenzer Festspiele

fluid: Ihre Bühnenbilder bestechen durch sehr viel Technik. Weshalb realisieren Sie überwiegend hydraulische Lösungen?
Seit unserem Bühnenbild für den „Fliegenden Holländer“ 1989 setzen wir auf die Hydraulik; denn die bietet uns größere Bandbreiten. Wir fahren ja mit niederigen Betriebsdrücken, meist um die 120 bar, könnten aber – bei Bedarf – auch kurzfristig sehr viel höhere Drücke erzeugen, um größere Lasten zu bewältigen. Das muss dann aber musikalisch kaschiert werden; denn das würde natürlich lauter werden.

fluid: Kommen die Hydraulik-Zylinder immer wieder zum Einsatz?
Wir sorgen dafür, dass wir die gleichen Werkzeuge mehrmals verwenden können. So haben die gleichen Zylinder, die bei der Tosca-Inszenierung die Absenkung des Auges auf einer Fläche von 40 mal 23 Metern in dreieinhalb Minuten von der Vertikalen in die Horizontale unterstützt haben, bei der Aida-Aufführung die Fackel aus dem Wasser heraus bewegt. Auch die Hydraulik-Aggregate und Steuerungen verwenden wir mehrmals.

fluid: Viele der Bewegungen finden ja auch unter Wasser statt. Setzen Sie ein besonderes Hydraulik-Öl ein?
Wir setzen mit dem Castrol Carelube HTG 32 ein biologisch abbaubares Mehrbereichs-Hydrauliköl ISO VG 32 auf Naturesterbasis – HVLP ein, das als nicht wassergefährdend eingestuft ist. Sollte mal der unwahrscheinliche Fall eines Ölaustritts ins Wasser eintreffen, dann wäre das nicht so tragisch.

fluid: Arbeiten Sie direkt mit den Antriebs-Firmen zusammen?
Wir sind die Spezialisten im Transfer zwischen dem Künstler und den ausführenden Firmen – geht nicht, gibt‘s nicht, wir setzen die künstlerischen Ambitionen technisch um. Deshalb arbeiten wir mit unterschiedlichen Detailprojektleitern zusammen, die dann ganze Bauteile in Auftrag geben, nicht nur bei Veranstaltungsfachfirmen, sondern auch Spezial-Unternehmen, etwa aus dem Seilbahnbau. Aber immer Firmen, die über das neueste Know-how in Sachen Hydraulik oder Pneumatik verfügen. Da gibt es wahrscheinlich keine Hydraulikfirma in Mitteleuropa, deren Komponenten bei uns nicht zum Einsatz kommen könnten.

fluid: Sie sind also unabhängig von einzelnen Anbietern?
Von unserem Leading-Team kommen die Vorgaben, welche Funktionen die einzelnen Requisiten ausführen sollten. Das können ganz große Firmen sein, aber auch ganz kleine und ungemein spezialisierte Unternehmen, die von den beauftragten Planungsbüros einen Entwicklungsauftrag erteilt bekommen. Wir brauchen etwas fürs Auge auf der Bühne – nur diese Vorgabe setzen wir als riesige, unabhängige Werkstätte um. fluid: Ihre Bühnenbilder sind immer wieder originell! Da wir nicht hinter einem Vorhang umbauen können, müssen wir, um umzudekorieren, ein Bühnenbild entwerfen, das die Zuschauer immer wieder überraschen kann. So, wie die beiden Liebherr-Krane bei der Aida-Inszenierung, die während der Aufführung die Requisiten bewegt haben.

fluid: Waren das gesponserte Komponenten?
Einer dieser Krane gehört uns, den anderen haben wir von Liebherr gemietet, damit diese symbolisch, quasi als moderne Elefanten während der Aufführung ihre Arbeiten verrichten konnten. Mit dieser Zusammenarbeit haben wir sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: dank der sehr angenehmen Partnerschaft war uns beiden geholfen. Das war eine ideale Sponsorship-Situation; denn weit über die finanzielle Seite hinaus haben sich unsere Unternehmenskulturen gegenseitig befruchtet.

www.bregenzerfestspiele.com

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