Nordamerika,

Nordamerika, (Bild: Fotolia - Tindo)

Für Hersteller von Produkten für den europäischen Markt gelten eindeutige regulatorische Mindestanforderungen, die europaweit harmonisiert sind. Nachdem der Hersteller das entsprechende Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen und dokumentiert hat, darf dieser sein Produkt konform mit den Anforderungen erklären.

In den meisten Fällen führt der Hersteller diese Bewertung seines Produktes in Eigenverantwortung durch und hält sie in Form einer internen Nachweisdokumentation fest, die dem Kunden beziehungsweise Betreiber nicht zugänglich gemacht werden muss – abgesehen von dem Fall einer bestehenden vorherigen vertraglichen Vereinbarung. Sie muss lediglich zur Einsichtnahme bereitgehalten werden, um bei begründetem Verdacht der Marktaufsichtsbehörde vorgelegt werden zu können. Weiterhin dient sie als Entlastungsdokumentation im Falle eines  Schadens oder Vorkommnis im Zusammenhang mit dem bereitgestellten Produkt. Für besonders gefährliche Erzeugnisse muss für die Konformitätsbewertung zusätzlich eine unabhängige Prüfstelle – eine sogenannte benannte Stelle (notified body) konsultiert werden.

Die Regeln für USA/Nordamerika

Für den Marktzugang von Industrieprodukten in den USA – beziehungsweise Nordamerika – werden an den Hersteller bezogen auf das Inverkehrbringen zunächst keine konkreten gesetzlichen Anforderungen gestellt. Um jedoch ein Industrieprodukt, wie beispielsweise einen Schaltschrank, eine Maschine oder Anlage betreiben zu dürfen, benötigt der Betreiber eine offizielle Erlaubnis der zuständigen Behörde.

Diese Abnahme des Industrieprodukts wird in der Regel durch einen AHJ (authority having jurisdiction – die zuständige Behörde) erteilt. Diese entsprechende Instanz überprüft vor Ort die Einhaltung der wesentlichen Produktanforderungen durch Begutachtung des Produktes sowie unter Berücksichtigung der mitgelieferten technischen Unterlagen und erteilt dem Betreiber bei positivem Verlauf dieser Abnahme die Betriebserlaubnis.

Mitspracherecht - sogar für Städte

Die jeweils gültigen regulatorischen Anforderungen für bestimmte Produktgruppen können von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich sein und im Einzelfall können sogar von der jeweiligen Stadt zusätzliche Auflagen und Vorschriften für das betreffende Produkt erhoben werden. Zwar ist der Betreiber verpflichtet, die Betriebserlaubnis behördlich einzuholen, dennoch müssen die speziellen konstruktiven Anforderungen (Komponenten, Konstruktionsprinzipien, Beständigkeitsanforderungen) bereits vom Hersteller in die Konzeption und Entwicklungsphase des Produktes eingeflossen sein. Weiterhin gibt es in Nordamerika andere Anforderungen an die technische Dokumentation und Sicherheitskennzeichnung, die dem Produkt beigefügt werden müssen. Diese umfassen Sicherheits- und Warnhinweise, technische Angaben auf dem Typenschild und Piktogramme sowie Anleitungen zu Bedienung, Betrieb und Wartung. Anstatt der in Europa verbreiteten Normen EN 82079 und ISO 7010 ist in USA/Nordamerika die Normenreihe der ANSI Z535 für Produktdokumentation und Sicherheitstechnische Aufschriften anzuwenden. jl

Beispiele für bedeutende US-Vorschriften

Der National Electric Code (NEC) stellt eine verbindliche Vorschrift für Elektroinstallationen dar. Der NEC ist vergleichbar mit den europäischen Anforderungen nach IEC 60364-1, besser bekannt als VDE 0100-Reihe. Im NFPA 79 sind die Sicherheitsanforderungen für Industriemaschinen reguliert. NFPA steht für National Fire Protection Association und ist das Pendant zur europäischen Norm EN 60204-1 (elektrische Ausrüstungen von Maschinen). Schaltschränke unterliegen wiederum den Anforderungen der UL508A. Diese Norm ist vergleichbar mit der IEC 61439. Hierbei bedeutet vergleichbar jedoch nicht, dass Bewertungsgrundlagen und Herangehensweisen der normativen Anforderungen ähnlich oder technisch vergleichbar sind. Der Vergleich dient lediglich der besseren Einordnung der US-Vorschriften. Aus der Sicht der für den Arbeitsschutz zuständigen Behörde OSHA (Occupational Safety and Health Administration) bestehen in USA/Nordamerika gemäß 29 CFR 1910.147 – The control of hazardous energy (lockout/tagout) – spezielle Anforderungen an die sichere Abschaltung und Energietrennung. Sogenannte logout and tagout placards sowie procedures sind erforderliche Übersichtstafeln oder Kennzeichnungen an der Anlage, Maschine oder dem Industrieprodukt, welche die am Produkt vorherrschenden Energien, Medien und deren zugehörigen Trennvorrichtungen und Abschaltmöglichkeiten kennzeichnen und deren Anwendung beschreiben.

Unterschiede der UL508A und IEC 61439

Die technischen Bewertungsgrundlagen und Sicherheitsanforderungen der beiden Normen unterscheiden sich wesentlich. Übertragen in die Praxis bedeutet dies, dass entweder die Anforderungen der UL508A oder die der IEC 61439 bei der Konstruktion berücksichtigt und angewandt werden können. Es gibt somit keinen konstruktiven Aufbau, der gleichermaßen vollumfänglich die Anforderungen beider Normen erfüllt. Von einem Kombinieren und Vermischen beider Anforderungen wird abgeraten.

Konstruktive Besonderheiten der UL508A

  • Komponenten müssen unter Berücksichtigung der Vorgaben aus dem UL-file oder dem UL-Prüfbericht ausgewählt werden.
  • Leitungen und Geräte müssen gemäß Einteilung in Abzweigkreis (Branch Circuit) und Verteilerstromkreis (Feeder Circuit) abgesichert werden.
  • Hauptschalter müssen verriegelt sein (elektrisch, mechanisch oder beides).
    Gehäuse müssen nach Gehäuseschutzarten (Enclosure Types) anstatt nach IP-Schutzarten (IEC 60529) bemessen werden.
  • Motorabzweige müssen besondere Anforderungen erfüllen.
  • Die Herangehensweise zur Bestimmung der Kurzschlussfestigkeit (Short Circuit Current Rating) unterscheidet sich zum Verfahren der IEC 61439.

Fazit

Für jedes Industrieprodukt, das für einen Betrieb in USA/Nordamerika bestimmt ist, muss also eine Betriebserlaubnis von der zuständigen Behörde eingeholt werden, ungeachtet der Wahl des Abnahmeverfahrens. Eine pauschale Aussage zum einzig und allein richtigen Weg zum konformen Industrieprodukt mit Betriebserlaubnis für den US-/nordamerikanischen Einsatz ist nicht möglich.

Weiterhin gestaltet es sich schwierig, eine Antwort auf die Frage des schnellsten und kostengünstigsten Abnahmeverfahrens zu finden. Herstellern obliegt die Wahl des Abnahmeverfahrens, dieses sollte individuell und mit Berücksichtigung folgender Einflussfaktoren ermittelt werden:

  • die Höhe der Stückzahlen
  • Verschiedenartigkeit der Produkte
  • UL-Kenntnisse (wenig oder fortgeschritten).

Hiermit gibt der Beitrag einen groben Überblick über die regulatorischen Grundanforderungen, deren Zusammenhänge und Gegensätze in Bezug auf das Bereitstellen von Industrieprodukten auf dem europäischen sowie US-/nordamerikanischen Markt und basiert auf branchenüblichem Vorgehen sowie dem Erfahrungsaustausch mit international agierenden Produktherstellern, Mitarbeitern aus der Normung und Fachkollegen.

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