Vier Fragen an Dr. Jochen Köckler, Vorstand Deutsche Messe

In einem Jahr ohne MDA – mit welchen neuen Konzepten wollen Sie Besucher nach Hannover ziehen?
Alle vier Hauptausstellungsbereiche der Hannover Messe 2016 liefern überzeugende Gründe, um bei der weltweit wichtigsten Industriemesse dabei zu sein. Im Bereich der Industrial Automation wird klar, dass die Vision Industrie 4.0 in der Gegenwart angekommen ist. Es gibt jetzt zahlreiche konkrete Anwendungsbeispiele, die wir in Hannover zu sehen bekommen. Im Forum Industrie 4.0 erwarten wir wieder mehr als 6500 Besucher, die über die Digitalisierung der Produktion diskutieren werden. Ein Highlight wird auch die neue Sonderschau zum Thema Predictive Maintenance sein. Sie zeigt Lösungen rund um die vorausschauende Wartung. Außerdem erleben wir die nächste Stufe der kollaborativen Roboter. Und nicht zuletzt lockt das Partnerland USA zum Beispiel mit einer Präsentation des amerikanischen Industrial Internet Consortium.
In den Energy-Hallen erwartet uns eine Premiere: Ein Showcase zeigt dort, wie das Energiesystem der Zukunft im Zusammenspiel zwischen konventionellen und erneuerbaren Energien aussehen kann.
Auch der Bereich der innovativen Zulieferlösungen präsentiert sich stark. Ein wichtiges Thema dort ist der Leichtbau – und zwar das gesamte Spektrum vom massiven Leichtbau bis hin zum Einsatz carbonfaserverstärkter Kunststoffe. Da gibt es eine Reihe von Werkstoffen und Verfahren, die das Potenzial haben, neue Branchen wie Schiffbau, Schienenverkehr oder Bauwesen zu erobern.
Und schließlich möchte ich noch den Bereich Young Tech Enterprises im direkten Umfeld der Forschungs- und Entwicklungshalle nennen. Die Nachfrage nach Startups aus Forschung und verarbeitendem Gewerbe ist größer denn je. Daher haben wir für die industrielle Gründerszene einen Knotenpunkt entwickelt, der das Startup-Geschehen auf der Messe fördert und unterstützt. Junge Industrieunternehmer treffen dort auf Förderinstitutionen, Kooperationspartner, Investoren und etablierte Großunternehmen. Kurzum: Der Weg nach Hannover lohnt sich immer.

Dr. Jochen Köckler
Dr. Jochen Köckler ist seit 2012 Mitglied des Vorstandes der Deutschen Messe AG in Hannover und verantwortet das Ressort Investitionsgütermessen des Unternehmens.

Industrie 4.0 ist ja nun bei den Unternehmen angekommen – ist denn kein neuer Trend in Sicht, den die Hannover Messe verbreiten könnte?
Dass wir weiterhin Industrie 4.0 in den Mittelpunkt stellen, zeigt ganz deutlich, dass es uns nicht darum geht, kurzlebige Trends zu promoten. Unser Leitthema braucht Substanz. Integrated Industry ist mehr als ein Trend, es ist eine Zeitenwende, die wir begleiten und der wir neue Impulse geben. Auch wenn jetzt Anwendungsbeispiele in größerer Zahl zu finden sind, so darf das doch nicht darüber hinweg täuschen, dass in einem überwiegenden Teil gerade kleiner und mittlerer Unternehmen die Vorstellungen noch vage sind, welche Vorteile ihnen die vernetzte Produktion bringt.
Dabei ist Eile geboten. Wer wettbewerbsfähig bleiben will, muss in Sachen Digitalisierung vorn dabei sein. Dabei gilt es natürlich auch, die Dinge differenziert zu betrachten. Fragen der Prozess- und Softwaresicherheit müssen gestellt und beantwortet werden. Dafür ist die Hannover Messe genau die richtige Plattform.
Unter dem Leitthema „Integrated Industry – Discover Solutions“ erleben wir mehr als 100 konkrete Anwendungsbeispiele auf der Messe. Das ist weltweit einzigartig. Damit ist die Hannover Messe der globale Hotspot für alle Themen rund um die Vernetzung in der Industrie. In Hannover erfahren Besucher aus dem produzierenden Gewerbe, wie sie ihre Produktionsanlage zur Industrie-4.0-Fabrik ausbauen und wettbewerbsfähig bleiben.

Die Handelsbeziehungen zum Partnerland USA sind ja nicht ganz unumstritten (TTIP) – werden Sie in Hannover auch politisch brisante Themen diskutieren?
Für Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Obama ist die Hannover Messe die ideale Bühne, um für die Vorteile des transatlantischen Handelsabkommens zu werben. Wir teilen die Meinung des VDMA und ZVEI, dass TTIP dem Maschinenbau und der Elektroindustrie auf beiden Seiten des Atlantiks mehr Wachstum und Arbeitsplätze bringen kann. Das Gelingen von TTIP setzt jedoch eine konstruktive und transparente Diskussion über die Inhalte des Abkommens voraus. Die Hannover Messe versteht sich von jeher als Plattform zur Diskussion der wichtigsten industrierelevanten Fragestellungen. Dazu gehört TTIP fraglos.
Aber auch ohne TTIP kommt das Partnerland USA genau zur richtigen Zeit. Die Vereinigten Staaten haben sich im Zuge ihrer Re-Industrialisierung zu einem höchst attraktiven Geschäftspartner für die Industrie entwickelt und sind etwa für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau mittlerweile Exportmarkt Nummer eins. Die Hannover Messe wird diesen Trend zusätzlich anfeuern. Wir erwarten eine deutliche Steigerung der Besucher- und Ausstellerzahlen aus den USA.

Immer wieder hört man, die Hannover Messe diene Unternehmen nur zu Repräsentationszwecken, konkrete Abschlüsse würden dort nicht getätigt. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?
Nicht nur, sondern auch – das trifft es eher. Einerseits nutzt die deutsche Industrie die Hannover Messe, um ihre Themen auf die politische Agenda zu setzen und sich wie jetzt aktuell im weltweiten Wettbewerb um Industrie 4.0 zu positionieren. Von der Messe geht die Botschaft aus, dass wir hier in Deutschland Vorreiter auf dem Weg zur vernetzten Fabrik sind. Nur in Hannover können sich die Unternehmen dieser Welt über alle Facetten von Industrie 4.0 informieren und die neueste Technik für ihre Produktion einkaufen. Politische Prominenz wie Merkel, Obama, Juncker, Oettinger oder Gabriel und natürlich auch die Zahl von mehr als 2500 Journalisten, die nach Hannover kommen, belegen die Bedeutung der Hannover Messe.
Andererseits ist die Hannover Messe selbstverständlich eine Business-Messe mit konkreten Geschäftsabschlüssen. Von den rund 5000 Ausstellern sind ein Großteil kleine und mittelständische Unternehmen. Denen ist es – salopp gesagt – egal, ob Obama die Messe eröffnet. Für diese Unternehmen zählen nur erfolgreiche Geschäftskontakte. Und hier punktet die Hannover Messe nicht nur mit einer hohen Entscheiderdichte, sondern auch mit dem großen Anteil internationaler Fachbesucher. Von den 220.000 Besuchern der vergangenen Veranstaltung kamen 65.000 aus dem Ausland.

Die Fragen stellte Ingrid Fackler, Redaktion

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