Und trotzdem: Industrieunternehmen sprechen gerne vom Menschen als Dirigent in der Fabrik der Zukunft. Dirigenten spielen aber selbst kein Instrument. Muss einem bei solchen Worten nicht angst und bange werden oder wie ordnen Sie den Begriff ein?

Nein, denn nach wie vor wird auch der menschliche Mitarbeiter ein Bestandteil des Orchesters bleiben. Man sollte an dieser Stelle zwischen der physischen Wertschöpfung einerseits und den Informations- und Kommunikationsprozessen andererseits genau unterscheiden. In der Fertigung wird sich nach meiner Einschätzung aus den genannten Gründen in naher Zukunft im Vergleich zu heute wenig ändern. Hier werden die Maschinen, vor allem Roboter, eine unterstützende Assistenz-Funktion übernehmen – in diese Richtung gehen ja auch viele aktuelle Robotik-Entwicklungen.

Diese Entwicklung brauchen wir unbedingt, auch als Antwort auf den demografischen Wandel. Mit Sicherheit wird es Veränderungen vor allem in der internen Logistik geben, etwa durch fahrerlose Transportsysteme. Aber das ist eher ein evolutionärer Prozess und liegt im Bereich des normalen technologischen Wandels. Selbstverständlich werden Mitarbeiter künftig viel stärker in der Mensch-Maschine-Interaktion involviert sein. Dazu müssen sie über die genannten Fähigkeiten verfügen und vor allem digitale Front-Ends bedienen können. Aus der Beratungspraxis heraus sehe ich hier aber keine großen Probleme.

Gravierend werden dagegen die Veränderungen bei den Informations- und Kommunikationsprozessen sein – hier passt das Bild des Dirigenten besser. Die direkte Kommunikation der Maschinen, Werkstücke und Transportelemente untereinander zu orchestrieren und dazu eine konsequent dezentrale Organisation und Koordination aufbauen: genau das bildet ja den Kern der Industrie 4.0 Ansätze. Zentrale Stellen werden damit in einem großen Umfang obsolet. Damit wird sich sicherlich in IT-Abteilungen, der Disposition und Prozesssteuerung sehr vieles verändern.

Virtual Reality in der Industrie
Welche Industrie-4.0-Elemente sind für das eigene Unternehmen wirklich sinnvoll? Experimentieren ist erwünscht. VR- und AR-Technologien zum Beispiel haben sich jedoch bis heute noch nicht voll in der Industrie durchgesetzt. (Bild: Fraunhofer-Institut für integrierte Schaltungen)

Wie sollten Industrieunternehmen ihre Arbeitnehmer idealerweise auf dem Weg in die digitale Zukunft begleiten?

Sie sollten sie zum Experimentieren ermutigen. Denn heute stehen uns neue Technologien schneller zur Verfügung als neue Ideen zu ihrer Nutzung – das verlangt nach einer hohen Flexibilität im Denken und einem Mut zum Ausprobieren, also auch zum Scheitern und Neustarten.

Als Orientierung empfehle ich den Ansatz des Think Big, Start Small: Der Einstieg in die Digitalisierung bedarf eines neuen Denkens und einer Vision, nicht aber unbedingt der Mammutprojekte und einer bis ins Letzte ausgefeilten Strategie. Wesentlich wichtiger ist es, an konkreten, klar umrissenen Projekten zu testen, welche Industrie-4.0-Elemente für das eigene Unternehmen sinnvoll sind, welcher Mehrwert entsteht, mit welchen Implikationen die Veränderungen verbunden sind. Denn natürlich birgt das Betreten von Neuland – auch technologisch – gewisse Risiken. Mit einem schlanken, gut geplanten und erfolgreichen Start besetzt man das Thema von Beginn an positiv.

Daneben muss der Arbeitgeber seinen Mitarbeitern das nötige digitale Handwerkszeug mit auf den Weg geben. Hierzu bieten sich zielgruppenspezifische Trainingsprogramme an, die auf das Vorwissen und die Bedürfnisse der jeweiligen Gruppen zugeschnitten sind.

Welche Herausforderungen interdisziplinärer Zusammenarbeit warten auf Arbeitnehmer?

An den grundsätzlichen Disziplinen wird sich wenig ändern, auch nicht an der Notwendigkeit zusammen zu arbeiten. Miteinander zu reden wird durch nichts zu ersetzen sein. So wird es auch in Zukunft ein Shopfloor Management geben, bei dem Abteilungsleiter, Meister, Teamleiter und Mitarbeiter gemeinsam an den gleichen Zielen und Aufgaben arbeiten. Allerdings schaffen neue digitale Werkzeuge und Applikationen eine verbesserte Informationsbasis, die das Ableiten zielgerichteter Aktivitäten und Maßnahmen deutlich vereinfacht.

Muss auch ein Umdenken in Studium und Ausbildung erfolgen?

Ja! Für die digitalisierte Arbeitswelt gibt es heute nur sehr wenige relevante Lehrangebote in Ausbildung und Studium. Um diese zu schaffen, bedarf es aber zunächst qualifizierter Lehrer und Professoren. Daneben müssen neue Ausbildungs- und Studienrichtungen geschaffen werden. Wir reden also nicht über Monate, sondern Jahre und Jahrzehnte.

Sie möchten gerne weiterlesen?