Dr. Martin Braun

(Bild: Fraunhofer IAO)

Wie Konstrukteure und Ingenieure ihr Arbeitspensum möglichst optimal mit ihren biologischen Rhythmen in Einklang bringen können, darüber hat ke NEXT mit Dr. Martin Braun vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO gesprochen.

Herr Dr. Braun, Sie beschäftigen sich mit der chronobiologischen Arbeitsgestaltung. Was versteht man darunter?

Sämtliche Funktionen des menschlichen Organismus beruhen auf auf- und abbauenden Prozessen. Diese gegenläufigen Prozesse werden durch Rhythmen strukturiert, deren wir uns oft gar nicht bewusst sind, wie zum Beispiel beim Ein- und Ausatmen. Mit der zeitlichen Organisation solcher physiologischen Prozesse beschäftigt sich die Chronobiologie. Über die verschiedenen Rhythmen kann sie uns Hinweise geben, wie wir die Arbeit optimal gestalten können. Vielleicht noch ein kurzer Hinweis, der oftmals übersehen wird: Wenn ich etwas rhythmisch organisiere, dann bin ich viel leichter in der Lage, mich unterschiedlichen Umweltbedingungen anzupassen.

Gibt es einen bestimmten Tagesrhythmus, der generell auf alle Menschen zutrifft – auch im Hinblick auf die Arbeitszeiten?

Wir müssen zunächst mal unterscheiden: Die Rhythmik der Organfunktionen wird durch eine innere Uhr gesteuert. Je nach Ausprägung dieses endogenen Zeitgebers werden die Menschen in Chronotypen unterschieden: Die „Eulen“ gehen bevorzugt spät zu Bett und haben morgens Schwierigkeiten, früh aufzustehen. Die „Lerchen“ sind früh morgens aktiv, suchen jedoch auch früher am Abend den Schlaf. Darüber hinaus wird die innere Uhr durch exogene Zeitgeber der natürlichen Umwelt auf eine Periodenlänge von 24 Stunden synchronisiert. Zu den wichtigsten exogenen Zeitgebern gehören neben dem Sonnenlicht die sozialen Kontakte, die beruflichen Aktivitätsphasen und der Zeitpunkt der Mahlzeiten.

Und die täglichen Leistungskurven?

Beim der physiologischen, über den Tag verteilten Leistungskurve, findet man übereinstimmende Muster über größere Populationen: Man unterscheidet hierbei eine leistungsorientierte Phase, die üblicherweise von drei bis 15 Uhr mit Höhepunkt am Vormittag reicht, von einer trophotropen Phase, die von 15 bis drei Uhr reicht und in der Regenerationsvorgänge dominieren. Wobei es innerhalb dieser Phasen immer auch wieder Höhepunkte oder Tiefpunkte auch gibt. Zwischen drei und vier Uhr befindet sich der Organismus in einem absoluten Leistungstief. Wenn man sich mal die Unfallstatistiken anguckt – da passieren relativ gesehen die meisten Unfälle. Ein weiterer relativer Leistungsabfall tritt nachmittags gegen 14 Uhr ein. Das ist die Phase, in der wir auch über den Powernap nachdenken.

Gelten denn diese Phasen für Eulen und Lerchen?

Im Grundsatz ja. Allerdings gibt es deutliche Unterschiede mit Phasenverschiebungen von ein bis zwei Stunden. Die Lerchen sind vielleicht eine Stunde früher, die Eulen eine Stunde später dran.

Das heißt, am besten beobachtet man sich selbst, wann man die eigenen Tief- und Höhepunkte hat, zum Beispiel, dass man als Eule erst gegen 16 Uhr ins Tief gelangt?

Ganz genau. Die Leute bemängeln ja immer stärker den äußeren Zeitdruck. Als bewusstes Gegenkonzept dazu eignet es sich, die eigene Selbstwahrnehmung zu stärken und sich zu fragen, was für ein Chronotyp man selbst eigentlich ist.

Das heißt aber auch: Es gibt für anstrengende Tätigkeiten den richtigen Zeitpunkt?

Ja. Es gibt gewisse Erfahrungen hinsichtlich der physiologischen Leistungsbereitschaft, die man empirisch durch Befragungen ermittelt hat. Danach lässt sich sagen: Morgens, wenn man ins Büro kommt, benötigt man die erste Stunde, um warm zu werden. Etwa zwischen zehn und elf Uhr – immer mit einer gewissen Schwankungsbreite – sind die Voraussetzungen für Kurzzeitgedächtnis, Konzentration und Kreativität gut. Es ist zweckmäßig, anspruchsvolle Aufgaben, falls möglich, auf diesen Zeitpunkt zu legen. Dann sinkt die Leistungsfähigkeit über die Mittagsphase wieder ab. Das hat auch etwas mit Ernährung zu tun: Sie essen – der Organismus konzentriert sich auf die Verdauung. Etwas später, so gegen 14 bis 15 Uhr, hat man wieder gute Voraussetzungen, um beispielsweise in Gespräche zu gehen. Das sind Empfehlungswerte – natürlich muss jeder in sich selbst reinhören. Die andere Frage lautet: Inwieweit lässt sich das umsetzen? Denn die freien Wahlmöglichkeiten sind möglicherweise, je nach Berufsbild, beschränkt.

Aber wenn man seine Hochphasen kennt, könnte man beim Chef ungestörte Ruhearbeitszeiten anregen?

Da stimme ich Ihnen völlig zu. Aber es geht ja auch darum, ein Bewusstsein dafür zu bekommen, dass alles seine Zeit hat. Wenn man beispielsweise noch abends anregende Tätigkeiten ausübt, findet man schlechter in den Schlaf rein. Und am nächsten Morgen oder spätestens, wenn man das zwei Abende lang gemacht hat, ist man unkonzentriert.

Also halten wir fest: Es gibt zwei Leistungshöhepunkte am Tag, die man gezielt für schwierige Aufgaben nutzen kann?

Ja, aber es kommen natürlich noch eine Reihe anderer Einflüsse hinzu. Ich war neulich in einem Großraumbüro bei Ingenieuren und Konstrukteuren. Die haben sich über die Lautstärke beklagt. Das relativiert es natürlich ein bisschen. Wir können noch so gut über die Zeit nachdenken – wenn ich ansonsten ungünstige Bedingungen habe, dann hilft auch das wenig. Spätestens dann brauchte ich für konzentriertes Arbeiten einen Rückzugsraum. Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt.

Welchen?

Perzeptive und kognitive Leistungen werden im Tagesverlauf durch den „Basic Rest Activity Cycle (BRAC)“ geprägt. Während einer Zeitspanne von etwa 90 Minuten aktiviert der BRAC den Organismus für jeweils etwa 70 Minuten. In dieser Aktivitätsphase fällt es leichter, die Aufmerksamkeit zu fokussieren, um konzentriert eine Aufgabe zu bearbeiten. Anschließend folgen etwa 20 Minuten eines rezeptiven Zustands. Hier dominieren intuitive Leistungen. In der passiven Phase werden Anspannungen abgebaut, Desynchronisationen ausgeglichen und Ressourcen regeneriert. Bei regelmäßig entspanntem Organismus steigt die Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten und zu speichern, signifikant an. Diese Einteilung in 90-Minuten-Phasen wäre für einen Konstrukteur ebenfalls ein interessanter Aspekt: 75 Minuten ist man relativ aktiv und 15 Minuten sollte man sich eine Passivitätsphase gönnen, also mal die Gedanken schweifen lassen.

Gibt es auch die richtigen Zeitpunkte für Routinearbeiten? Sie haben vorhin gesagt: Die erste Stunde im Büro braucht man zum Warmwerden. Was mache ich da am besten?

E-Mails anschauen, sich orientieren, Prioritäten für den Arbeitstag setzen. Was ich bei offeneren Bürostrukturen auch wichtig finde, ist der persönliche Kontakt. Dafür eignet sich die erste halbe Stunde. Als zweite gute Phase für Routinearbeiten eignet sich die Mittagsphase. Da kann man vielleicht noch mal Mails anschauen, organisieren, planen oder andere Aufgaben erledigen, die nicht die größte Aufmerksamkeit erfordern. Und dann sollte man wieder die Hochphase ab 15 Uhr nutzen, möglicherweise auch für kommunikative Aufgaben.

Auf welche Uhrzeit legt man am besten Besprechungen?

Das kommt drauf an, was man besprechen will. Wenn es sich um etwas Anspruchsvolles handelt, würde ich das in die Hochphasen legen. Ein geselliges Teammeeting könnte man hingegen auch gleich nach der Mittagspause veranstalten. Hier schwanken aber die persönlichen Erfahrungen.

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