Rhetorik-Trainer Günter Seipp verfügt über eine 30jährige Berufserfahrung.

Rhetorik-Trainer Günter Seipp verfügt über eine 30jährige Berufserfahrung. (Bild: gswSeminare)

Vorträge können tückisch sein. Ausführliche Fachgespräche in T-Shirt und kurzer Hose – was Kollegen problemlos verstehen, akzeptieren und respektieren, kann vor der Geschäftsleitung zum Fiasko mutieren. Und zwar spätestens dann, wenn der zu überzeugende Entscheider kein Ingenieur, sondern ein Betriebswirt ist, der von der Kommutierung des bürstenlosen DC-Motors so viel versteht, wie ein Nichtmediziner von Pest und Cholera. Wer weiß, wie er in solchen Situationen seine Ideen richtig verpackt, ist klar im Vorteil. Rhetorik ändert den Inhalt nicht, verpackt ihn aber schön.

Tipp 1: Auf die Angemessenheit achten

Herr Seipp, als ersten Tipp raten Sie Konstrukteuren und Ingenieuren, die Angemessenheit zu beachten. Was bedeutet das konkret?

Bei der Angemessenheit geht es zunächst darum, zu überlegen: Wer ist mein Gesprächspartner? Wenn ich meine Karriere starte, sind meine wichtigsten Gesprächspartner Experten. Das heißt, ihnen gegenüber setze ich mich ins richtige Licht, wenn ich fachlich versiert argumentieren kann. Wenn ich aber in einem größeren Konzern Abteilungsleiter geworden bin, dann ändert sich dies, weil die Menschen, die jetzt über mir stehen, in der Regel keine Ingenieure sind, sondern aus einem anderen Fachgebiet kommen. Ich kann also nicht davon ausgehen, dass meine Gesprächspartner über meinen Wissensstand verfügen. Deshalb muss ich sehr viel einfacher sprechen, damit sie verstehen, was ich meine. Ich muss also meine Rhetorik ändern, wenn ich überzeugen will.

Das gilt aber auch für die Präsentationen von Entwicklungen, in denen man selbst viel tiefer drin steckt als die höheren Unternehmensebenen?

So ist es. Und das ist genau das große Problem. Wenn ich von einer Sache begeistert bin und merke, dass ich mein Gegenüber mit den ersten drei Sätzen nicht überzeugt habe,   dann versuche ich, viele Worte zu machen, um die Vorzüge zu erklären. Diese Tiefe überzeugt aber noch weniger, weil dieser Gesprächspartner meinen Vorschlag schon an der Oberfläche nicht verstanden hat. Das bedeutet, ich muss kurz und knapp sprechen. Und dafür muss ich gut vorbereitet sein und die Relevanz für meinen Gesprächspartner abgeklopft haben. Das heißt, einem kaufmännischen Leiter erkläre ich, welche Kosten wir damit einsparen und einem Kreativdirektor, wie innovativ die Idee ist.

Heißt das, ich muss mich ein Stück weit mit meiner Fachkenntnis zurücknehmen?

Es geht im Wesentlichen darum, die Gedankenwelt meines Gegenübers zu erreichen. Rhetorik hat viel mehr mit Psychologie zu tun als mit Sprache. Ich muss verstehen, wie der andere denkt und tickt. Wenn ich das weiß, dann kann ich auch die richtigen Worte, die richtigen Argumente finden, die ihn überzeugen. Wenn ich nur von mir ausgehe, weil ich so begeistert bin, springt dieser Funke nicht zwangsläufig auf den anderen über. Der hat vielleicht gerade heute Morgen Streit mit seiner Frau gehabt. Wenn ich ihn nicht im Smalltalk frage, ob er bereit zu diesem Gespräch ist, bin ich gescheitert, bevor ich angefangen habe. Das meine ich mit Angemessenheit.

Inwieweit gehört die Kleidung zur Angemessenheit?

Kleidung ist sehr wichtig, weil sie das Erste ist, was wahrgenommen wird. Der erste Eindruck prägt sich in maximal einer Minute ein. Diese Zeit ist sehr kurz. Wenn ich ein fachliches Thema mit praktischer Relevanz angehe, kann ich gerne einen Blaumann anziehen. Denn damit bekomme ich sofort die praktische Kompetenz zugeschrieben. Wenn ich ein visionäres Thema vorstelle, dann sollte ich ein bisschen wie Albert Einstein auftreten. Auf jeden Fall ist in beiden Fällen der dunkle Anzug mit Krawatte und Einstecktuch völlig falsch. Außerdem sieht ein dunkler Anzug bei Menschen, die ihn nicht täglich tragen, häufig ein bisschen aus, als wenn der Konfirmationsanzug aus dem Schrank geholt wurde.

Ein Ingenieur, der seinen Abteilungsleiter von einer neuen Idee überzeugen möchte, sollte sich also zumindest ein besseres Hemd und eine etwas schickere Hose anziehen und nicht das alte T-Shirt und die Löcher-Jeans tragen?

Ja, das ist absolut richtig. Eine Löcher-Jeans oder eine Bermudas – das können Sie vergessen. Wobei: Wenn ich das täglich bei mir in der Firma trage und meine Fachkompetenz anerkannt ist, dann kann ich auch in diesem Aufzug mit einem Geistesblitz zu meinem Abteilungsleiter gehen. Wenn ich meine Idee aber während eines gesondert vereinbarten Termins vor einem Gremium vorstelle, sollte ich daran denken, wie ich wahrgenommen werde. Das heißt, mit welcher Kleidung trete ich auf?

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