Was kann derjenige stattdessen tun?

Möglicherweise gibt es die Chance, sich eine andere Rolle zu suchen. Also nicht in der Entwicklung, sondern im Vertrieb oder an der Schnittstelle zum Kunden. Die wird in Zukunft immer wichtiger werden, hier gibt es heutzutage viel zu wenig Mitarbeiter, die in der Lage sind, die Kundenbedürfnisse wirklich zu verstehen und die Kommunikation zwischen Kunden und Entwicklungsabteilung zu managen und zu gestalten. Das sind alles Felder, in denen momentan sehr viel passiert und in denen auch ganz neue Aufgabenfelder entstehen, die möglicherweise für solche Menschen interessant sein könnten.

Das heißt, für ältere, erfahrene Konstrukteure, die nicht agil entwickeln möchten, könnte dies ein gutes Betätigungsfeld sein?

Definitiv! Bei allem Digitalisierungshype: Die Umsetzung der Ideen in echte Produkte erfolgt heute in der Regel noch durch die Erfahrenen. Der Input der Erfahrenen ist aus meiner Sicht ganz  wichtig dafür, um aus den Ideen Substanz zu erzeugen. An dieser Stelle werden wir niemals auf Erfahrung verzichten können. Die Erfahrenen, die schon erlebt haben, wie Dinge schief gegangen sind und wissen, wie das Unternehmen tickt, sind dafür gut, die Balance zwischen der ganzen Agilität und Geschwindigkeit und der Stabilität zu schaffen. Weil wenn das Pendel komplett nur noch Richtung Geschwindigkeit geht, dann habe ich irgendwann keine stabilen funktionierenden Produkte mehr. Das kann ja auch nicht das Ziel sein.

Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass sich Ältere mit Veränderungsmanagement schwerer tun oder ist das einfach eine Charakterfrage?

Ich würde das gar nicht auf das menschliche Alter, sondern auf die Dauer der Unternehmenszugehörigkeit stützen. Je länger man im Unternehmen ist, je mehr man sich in diesem Unternehmen erarbeitet und etabliert hat, desto mehr hat man natürlich zu verlieren. Jemand, der gerade von der Universität kommt und ohnehin in seinem Leben vorhat noch fünf andere Jobs zu machen, der hat eine ganz andere Art mit Veränderungen umzugehen als jemand, der seit 25 Jahren im Unternehmen ist und sich im Schweiße seines Angesichts hochgearbeitet hat. Vor allem, wenn derjenige feststellen muss, dass die ganze Architektur des Unternehmens ins Wanken kommt und möglicherweise alles, was er sich in den 25 Jahren erarbeitet hat, hinfällig wird und er von vorne anfangen muss. Dann kommt natürlich dazu, dass ältere Mitarbeiter in der Regel mehr Verantwortung im privaten Umfeld tragen. Die können gar nicht mehr so schnell reagieren und zum Beispiel einfach mal schnell umziehen, wie es junge Menschen tun können.

Soll ein Konstrukteur, der sich mit Vorschlägen in den Veränderungsprozess aktiv einbringen möchte, zunächst auf seinen Chef zugehen?

Das hängt von der Unternehmenskultur ab. In einer klassischen Hierarchie wird er nicht drum herum kommen, mit seinem Chef zu reden. Im besten Fall hat er sich vorher Verbündete für seine Idee innerhalb seines Teams geschaffen und geht dann in den klassischen Regelmeetings, die ja immer noch stattfinden, auf den Chef zu. Ein Chef, der ein modernes Veränderungsmanagement lebt, wird über den Veränderungsvorschlag nachdenken. Und wenn er seinen Job gut macht, wird er die weitere Entwicklung dieser Idee zurück ins Team geben. Ich würde auf jeden Fall - wir sind ja im Maschinenbau-Umfeld mit klassischen Hierarchien -  die Idee durchdenken, möglicherweise auch einen Sparringspartner suchen, mit dem ich sie diskutieren kann und dann definitiv auf meinen Chef zugehen.

Es gibt also schon etliche Maßnahmen, die ein Konstrukteur ergreifen kann, um mit einem Veränderungsprozess gut umzugehen.

Ja, aber noch eines vorweg: Es muss jeder akzeptieren, dass es die Zeiten, als man einen Beruf erlernt und dann 30 Jahre so ausgeübt hat, nicht mehr gibt. Es wird nicht mehr passieren, dass sich jemand sich über sein komplettes Berufsleben nicht mehr verändern muss. Das heißt, ich muss mich damit abfinden, dass ich immer wieder neue Dinge lernen und immer wieder Veränderungen akzeptieren muss. Sonst werde ich irgendwann Dampfmaschinen bauen, wenn schon der Düsenjet erfunden ist.

Über den Interviewpartner

Martin Beims ist Impulsgeber für Service Management und Service Innovation in Deutschland. Er ist Gründer und Geschäftsführer von Aretas in Aschaffenburg und des Online Magazins „Der Servicekompass“. Bis zur Unternehmensgründung im Jahr 2010 war er in führenden Beratungsunternehmen für Service Management als Bereichsleiter, Berater, Trainer und Coach tätig. Martin Beims ist Autor des Bestsellers „IT Service Management in der Praxis mit ITIL“ und Mitautor weiterer Fachbücher rund um das Thema Service Management. Neben seinen Büchern schreibt er auch immer wieder zu aktuellen Themen. Im ITSMF Deutschland e.V. trägt er als Leiter des Regionalforums Frankfurt/Main zur Verbreitung innovativer Ideen im Service Management als Beitrag zur fortschreitenden Digitalisierung bei.

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