Wie verkauft man das richtig?

Indem man versucht ihnen näherzubringen, dass man das Rad nicht zweimal erfinden muss, wenn es nicht nötig ist. Allerdings muss man auch die Zeit für kreatives Schaffen einräumen. Man muss also den nächsten Schritt machen, um Marktführer zu werden oder seine Marktführerschaft noch weiter auszubauen. Das verstehen dann insbesondere die jungen Ingenieure. Aber auch die Älteren kann man mitnehmen, wenn man ihnen den Mehrwert an ein, zwei Pilotprojekten gezeigt hat. Das ist der Start eines richtigen Changeprozesses, in dem man Veränderungsbereitschaft erzeugen muss. Viele unterschätzen das.

Wie ist denn das Feedback von Unternehmen: Funktioniert diese Überzeugungsarbeit?

Das kommt darauf an: Sicherlich gibt es auch Fälle, in denen ein Baukasten scheitert, weil es am Top-Management Support und der entsprechenden Konsequenz in der Durchhaltung der gesetzten Standards mangelt oder ein Projektteam nicht darauf geachtet hat, den Baukasten frühzeitig zu kommunizieren und in die Organisation zu integrieren. Es ist auch schon passiert, dass ein Baukasten nicht funktioniert, weil er einfach nicht verwendet wird. Aber es gibt auch genügend Firmen, die ihre Leute von Anfang an mit einbezogen haben. Man darf nicht erwarten, dass die erste Generation die ist, in der alle Probleme gelöst werden. Es ist ja auch ein Lernprozess. Aber man merkt, dass die meisten nach einiger Zeit den Mehrwert erkennen und dann funktioniert es. In manchen Unternehmen werden auch firmeninterne Marketingkampagnen gestartet, in denen die Geschäftsführung sagt, wie wichtig der Baukasten ist und dass er ein wesentlicher Beitrag zum Erfolg der nächsten Jahre sein wird. Der Baukastenmanager ist immer auch ein bisschen Marketingmensch, er muss den Baukasten auch verkaufen können.

Wie lange dauert die Entwicklung eines Baukastens?

Das erste grobe Konzept mit den Anforderungen des Marktes, mit den Standards und den Differenzierungen kann man je nach Produkt und Markt sicherlich innerhalb eines Jahres entwerfen. Aber bis man die gesamte Vielfalt in Modulen abgebildet hat, dauert es bestimmt zwei, drei Jahre oder noch länger. Das hängt auch stark von der Einführungsstrategie und der investierten Manpower ab. Man muss sich die Baukastenentwicklung wie eine Vorentwicklung vorstellen: Erst einmal muss ich mir die Marktseite anschauen und festlegen, welcher Teil des Produktportfolios in den Baukasten mit aufgenommen werden soll. Die nächsten Fragen sind: Welche Anforderungen muss ich abdecken, wo kann ich Standardisieren und wo ist Differenzierung unabdinglich und wie sieht die modulare Struktur grundsätzlich aus. Das Rollout eines solchen Baukastens läuft insbesondere im Projektgeschäft typischerweise so ab, dass ich Projekt für Projekt umstelle und den Baukasten nach und nach auskonstruiere. Oft kann nur so ein solches Projekt gestemmt werden

Was sind die häufigsten Fehler und größten Schwierigkeiten bei der Gestaltung?

Der erste große Fallstrick, und den kann man nicht genug betonen, ist die Marktsicht, die nicht ausreichend berücksichtigt wird. Oft setzt sich die Technik im stillen Kämmerlein mit einer rückwärtsgerichteten Betrachtung des Engineerings hin, bezieht vielleicht noch die internen Prozesse wie die Produktion mit ein und überlegt sich einen Baukasten, ohne die Marktsicht - vor allem im Hinblick auf die Zukunft - in Betracht zu ziehen. Aber es kann natürlich sein, dass sich der Markt verändert. Dann habe ich am Markt vorbeientwickelt und die ganzen Sachen, die ich mir überlegt und konstruiert habe, sind obsolet. Ist der Baukasten einmal erfolgreich eingeführt, stellt die fehlende Konsequenz in der Umsetzung die größte Gefahr dar. Sonderprojekte dürfen dann nicht zwanghaft in den Baukasten integriert werden. Entweder man lehnt sie ab, oder sie haben einen eigenen Prozess, der die Vorteile der Auftragsabwicklung über den Baukasten nicht beeinträchtigt. Häufig unterschätzen Unternehmen aber hier auch die Möglichkeiten, den Kunden im Verkaufsprozess über die Vorteile hin zu einer Baukastenmaschine zu lenken.

Und der zweite große Fehler?

Der zweite Fallstrick ist mangelnde Flexibilität, also das Standardisierungspendel zu weit ausschlagen zu lassen und das Produkt in Bereichen zu standardisieren, wo es für den Kunden eine wirkliche Einschränkung bedeutet. Der dritte Fallstrick ist die richtige Festlegung der internen Variantenvielfalt, also sauber abzuleiten, wie viele Varianten ich von bestimmten Komponenten haben darf und das dann durch eine organisatorische Verankerung auch durchzuhalten. Die technische Umsetzung ist sicherlich schwierig, aber sie ist das, was die deutschen Ingenieure am besten können. Am Ende scheitert ein Baukasten eher am unsauberen Ableiten der Differenzierungs- und Standardisierungsstrategie, der fehlerhaften organisatorischen Verankerung und der Kommunikation gegenüber dem Kunden.

Das ist aber schade, wenn es an sowas scheitert!

Ja, sicherlich. Aber daran denkt man nicht unbedingt. Bei dem Thema Baukasten, so unsere Erfahrungen aus den Projekten, Seminaren und vom Kongress, fühlen sich zu 90 Prozent Ingenieure angesprochen. Im Endeffekt ist es aber ein bereichsübergreifendes Thema! Bei den Automobilherstellern setzen sich die Baukastenteams aus Produktmanagern, Entwicklern, Produktionern und sogar aus den Service-Mitarbeitern zusammen, die alle diskutieren, wie die Module aussehen müssen und welche Vielfalt sich das Unternehmen leisten kann. Wenn das nur einzelne Bereiche festlegen, dann fehlt die Sicht der anderen und die müssen es am Ende dann ausbaden. Insbesondere, wenn die Bereiche Produktion und Service, die mit dem Baukasten täglich arbeiten, nicht ausreichend eingebunden sind, hapert es bei der Umsetzung. Dann habe ich zwar aus Techniksicht einen schönen Baukasten entwickelt, aber keiner nutzt ihn.

Was sind denn die Erfolgsfaktoren für einen gelungenen Baukasten?

Wir haben im Jahr 2014 zusammen mit einem Konsortium ein Benchmarking zum Thema Baukasten- und Variantenmanagement abgeschlossen, und dazu über 130 Firmen befragt. Dabei haben wir zwischen den Top-Performern, also den 20 besten Firmen, und den 110 Followern unterschieden und geschaut, was die Top-Performer besser lösen als die Follower. Daraus haben wir zehn Kernthesen dafür aufgestellt, was für einen erfolgreichen Baukasten wichtig ist.

Der erste wesentliche Erfolgsfaktor ist die teamübergreifende Zusammenarbeit bei der Baukastengestaltung. Die erfolgreichen Firmen haben zum Beispiel das Controlling deutlich intensiver mit eingebunden.

Ein weiterer wesentlicher Punkt ist das saubere Festlegen der Differenzierung und Standardisierung und die entsprechende Kommunikation an die Mannschaft. Die Ingenieure wissen damit genau, wann sie den Standard verwenden sollten und wann sie etwas individuell konstruieren können. Beim Controlling des Baukastens waren die meisten Firmen noch nicht so richtig erfolgreich.

Auch die Abkündigung von Varianten ist wichtig. Als Automobil-OEM fällt es natürlich leicht zu sagen, dass es ein bestimmtes Auto jetzt nur noch in der neuen Version gibt, die auf dem Baukasten basiert. Im Maschinen- und Anlagenbau ist es deutlich schwieriger, dem Kunden zu sagen, dass ich eine neue Produktfamilie aufgesetzt habe und er die alten Sachen nicht mehr bekommt. Das heißt, man benötigt eine konsequente Auslaufstrategie, damit am Ende nicht die alte Variante neben der neuen, baukastenbasierenden Variante parallel läuft. Auch hier hapert es noch bei vielen Firmen.

Die organisatorische Verankerung ist ebenfalls sehr wichtig. Wir haben das so genannt: Der Baukasten braucht ein Budget und eine Stimme, also jemanden, der auch mal den Finger hebt und sagt: „Nein, lieber Produktlinienverantwortlicher, du musst dich an das halten, was wir im Baukasten definiert haben!“

Über Michael Schiffer

  • Dr. Michael Schiffer ist Prokurist der Complexity Management Academy, die 2014 gegründet wurde.

  • Die Complexity Management Academy stellt die individuelle Weiterbildung im Komplexitätsmanagement, einer Disziplin, die sich nicht streng nach Plan erlernen lässt, in den Mittelpunkt. Dazu bietet sie offene Seminare und spezifisch an Unternehmen angepasste Inhouseseminare an. In der Complexity Community, einem Netzwerk aus Experten dem zahlreiche große Unternehmen angehören, entwickelt die Academy stets neue Erfolgsmuster für das Komplexitätsmanagement.

  • Am 17. November 2015 hat die Complexity Management Academy den ersten Complexity Management Congress zum Thema „360° Baukastengestaltung - Im Prinzip gleich, im Detail verschieden!“ veranstaltet. Die Teilnehmer erhielten so einen Überblick über Best-Practices zur Baukastengestaltung aus den unterschiedlichsten Branchen.

  • Der diesjährige Complexity Management Congress am 16. November 2016 stellt anknüpfend an diese Übersicht die Erfolgsmuster für eine bereichsübergreifende Baukastengestaltung vom Markt bis zur Produktion in den Fokus.

Sie möchten gerne weiterlesen?