Prof. Dr. Werner Bick, ROI Management Consulting. -

„Für den Entwickler steht das Funktionieren des Gerätes, das man baut, im Vordergrund. Über interkulturelle Komplikationen macht er sich keine Gedanken. Darauf käme es aber an.“, Prof. Dr. Werner Bick, ROI Management Consulting. - (Bild: ROI)

Herr Prof. Bick, laut der ROI-Studie reicht die technologische Kompetenz alleine für nachhaltige Erfolge nicht mehr aus, obwohl diese den deutschen Maschinenbau in die weltweite Vorreiterrolle gebracht hat. Warum ist das so?

Die Technik ist leider nicht mehr alles in der heutigen Welt. Wichtig ist, dass man Produkte und Service aus Kundensicht definiert und dass man vor allen Dingen die Rahmenbedingungen, die in den weltweiten Märkten vorhanden sind, versteht. Darunter fallen zum Beispiel gesetzliche Regularien. Wir Deutsche neigen dazu, die Dinge von der komplexen und aufwendigen Seite anzugehen, während andere Länder gerne einen anderen Weg beschreiten. Das Stichwort an dieser Stelle heißt Reverse Engineering.

Das bedeutet ...?

Dass man unter den Gegebenheiten, die man lokal in einem Land vorfindet, das dort sinnvoll zu Machende tut. So kommt man auf Lösungen, die genauso gut funktionieren, aber bei Weitem nicht so aufwendig sind wie die hochtechnologisierten deutschen Produkte. Will heißen: Man muss einfach stärker den Blick weiten und nicht nur das Ganze aus dem technologisch-verspielten Kontext sehen, sondern auch mal ein Stück weit aus Kundensicht denken. Die Amerikaner sind in der Breite produktionstechnisch nicht mal annähernd auf unserem deutschen Niveau. Aber bei der Idee, sich in den Kunden hineinzuversetzen und zu überlegen, was er alles braucht, sind sie uns um Meilen voraus. Das Hineindenken in die Kundenperspektive ist nach meinem Dafürhalten bei aller technologischen Kompetenz das Feld, wo wir am meisten an uns arbeiten müssen. Das ist Punkt Nummer eins.

Und Punkt Nummer zwei?

Punkt Nummer zwei ist, dass Faktorkostenvorteile auch in der Entwicklung eine Rolle spielen. Es geht nicht immer nur um die technologische Kompetenz, sondern man muss auch wissen, wo man etwas entwickelt, weil das einen auf der Kostenseite entweder nach vorne bringen oder auch zurückwerfen kann. Ein Beispiel ist die Softwareentwicklung in Indien. Außerdem spielt die Agilität heute eine sehr große Rolle. Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen. Deshalb ist die Nähe zu den Märkten, deren Verständnis und eine schnelle Umsetzung der Marktanforderungen ein sehr wichtiges Thema.

Heißt das, dass unsere Anlagen- und Maschinenbauer zu ingenieurslastig denken und zu wenig BWL- und Marktkenntnisse sowie zu wenig interkulturelle Fähigkeiten besitzen?

Ja, genau das! Ich will nicht alle über einen Kamm scheren. Es gibt bestimmt auch viele, die das richtig gut können. Aber ich bin selber gelernter Konstrukteur und Entwickler und ich weiß, wie die konditioniert sind. Zunächst steht das Funktionieren des Gerätes, das man baut, im Vordergrund. Über irgendwelche interkulturelle Komplikationen macht sich der Ingenieur dabei keine Gedanken. Das ist aber genau der Punkt, auf den es ankäme. Wir Deutsche definieren die Anforderungen gerne aus der eigenen inneren Sichtweise und weniger marktgetrieben. Das Reverse Engineering widerstrebt dem deutschen Ingenieur. Der sagt nicht: Ich muss schauen, wie ich das Vorhandene in ein Produkt gießen kann. Der sagt: Was brauche ich und wie kann ich das möglichst gut und umfassend lösen?

F&E-Standorte in Zukunft
Die Grafik zeigt, wie sich die F&E-Standorte in Zukunft entwickeln: Die Bedeutung von Brasilien, China, Nordamerika und Osteuropa wird zunehmen. (Bild: ROI Management Consulting, ROI Management)

Wie erwirbt man denn solche fehlenden Kompetenzen?

Man muss den Mut haben, wenn man beispielsweise in einem Entwicklungsverbund arbeitet, aktiv auf die ausländischen Kollegen zuzugehen, und darf nicht versuchen, im stillen Kämmerlein die eigene Lösung zu definieren. Dies entspricht aber nicht dem eher introvertierten Naturell eines Entwicklers. Deshalb liegt eine der zentralen Herausforderungen für  Führungskräfte darin, die Leute zusammenzubringen. In solchen internationalen Entwicklungsverbünden schlummert ein riesiges Potenzial.

Für Unternehmen, die international erfolgreich sein wollen, wäre es also gut, ihre Entwicklungsingenieure für eine gewisse Zeit ins Ausland zu schicken?

Absolut. Interkulturelles Verständnis kann man nur dadurch aufbauen, dass man mal in einer fremden Kultur lebt und selbst der Ausländer ist. Ich kenne viele Fälle von Firmen, die ihre Entwickler für zwei, drei Jahre oder noch länger ins Ausland schicken. Das merkt man sofort, wenn man mit denen redet. Sie verfügen über ein ganz anderes Verständnis und wenn die in internationalen Entwicklungsnetzwerken arbeiten, funktioniert das gleich ganz anders.

Gibt es denn auch Branchen, in denen diese eben kritisierten Punkte schon gut funktionieren?

Bei dem Ausnutzen der Faktorkostenvorteile, der notwendigen Agilität im Markt, und dem schnellen Reagieren auf Kundenbedürfnisse ist die Automobilbranche seit Jahrzehnten vorne mit dabei. Wir stellen fest, dass viele andere Branchen, und da zähle ich auch den Maschinenbau dazu, so an Fahrt bisher noch nicht aufgenommen haben, dass sie sich aber über kurz oder lang den gleichen Fragen werden stellen müssen.

Laut der Studie vernachlässigen die deutschen Unternehmen das globale Management ihrer Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Was verstehen Sie konkret darunter?

Bei den Maschinenbauern wird in vielen Fällen noch zu sehr aus der reinen Headquarter-Sicht gedacht und zu wenig auf die Perspektive und die globale Verteilung der Kunden eingegangen. Die zentrale Frage lautet: Wie können Maschinenbauer den Weg weg von der Fixierung auf die reine Fachkompetenz hin zur interkulturellen Managementkompetenz schaffen? Da sollte man den Blick auf die Automobilindustrie richten und schauen, wie die das gemanagt haben. Die sind da teilweise schon richtig gut aufgestellt.

Welche Schritte kann ein Entscheider denn unternehmen, um die angesprochenen Punkte zu ändern?

Selbsterkenntnis ist immer der erste Schritt zur Besserung. Man muss erkennen, dass es so ist. Das fällt vielen übrigens gar nicht leicht. Anschließend muss ich die zentralen Schwachstellen herausfinden: Sind es die Prozesse, ist es die R&D-Organisation oder woran liegt es? Oft sind die Ursachen trivialer als man glaubt. Man braucht sich nur mal ein Kommunikationsszenario anschauen. Da treten all die Gesetzmäßigkeiten, warum eine Kommunikation am Ende nicht funktioniert, gnadenlos zu Tage.

Jetzt haben Sie mich aber neugierig gemacht. Könnten Sie bitte ein Beispiel nennen?

Zum Beispiel, wenn ein Amerikaner und ein Japaner miteinander kommunizieren. Beide haben völlig unterschiedliche Vorstellungen. Ich überspitze mal zur Verdeutlichung: Beim Amerikaner geht es um das gute Ergebnis im Quartalsbericht. Beim Japaner geht es darum, dass ein Prozess gut läuft. Dafür nimmt er auch billigend in Kauf, dass das Ergebnis nicht so passt, wenn er weiß, dass sich der stabile Geschäftsprozess über längere Sicht gesehen auszahlt. Der eine versteht also nicht, was der andere will. Das andere Problem ist das Vokabular. Wörter sind in unterschiedlichen Sprachen unterschiedlich belegt. Diese Feinheiten bekommt man in einer Fremdsprache nicht abgebildet. Eine unvollständige Kommunikation ist aber der ideale Nährboden für Frustration und Konfrontation.

Wie lässt sich das Problem lösen? Mit einem Dolmetscher oder besseren Sprachkenntnissen?

Keine Chance! Ich muss schauen, dass ich mich in die Kultur reindenke und sie verstehe. Und da sind wir wieder bei dem Punkt von vorhin: Wenn ich mal zwei bis drei Jahre im Ausland gelebt habe, kann ich mich in andere Kulturen viel besser einfühlen.

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