MINT Cross Mentoring

Strahlende Gesichter: Bettina Klaas-Heisener (ganz links in der ersten Reihe) mit Teilnehmern des letzten MINT Cross Mentorings, an dem bei Harting auch Männer mitmachen dürfen. (Bild: Harting Technologiegruppe)

Frau Klaas-Heisener, aus welchem Grund setzt sich Harting dafür ein, dass mehr Frauen ein technisches Studienfach ergreifen?

Klaas-Heisener: In Zeiten von Fachkräftemangel und demografischem Wandel stehen alle Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt in großem Wettbewerb, sowohl in der Region als auch überregional und international. Das heißt, im Grunde gehen allen Unternehmen die männlichen und die weiblichen Ingenieure aus. Wir von Harting halten Frauen bezüglich der MINT-Berufe für genauso clever und motiviert wie Männer und haben längst das Potenzial von Frauen in naturwissenschaftlich-technischen Fächern erkannt.

Aber auch wenn viele von ihnen die richtigen Voraussetzungen mitbringen, sind sie leider immer noch völlig unterrepräsentiert. Deshalb haben wir uns entschlossen, aktiv zu werden. Dazu kooperieren wir bereits eng mit Schulen und Hochschulen und engagieren uns, um Mädchen und Frauen für technische Berufe zu begeistern.

Klaas-Heisener
„Wir von Harting würden gerne mehr Ingenieurinnen einstellen, weil uns die Vielfalt der Mitarbeiter unglaublich wichtig ist. Leider gibt es zu wenige.“ Bettina Klaas-Heisener, HR Professional Talent Management bei Harting. (Bild: Harting Technologie Gruppe)

Wieso sagen Sie, dass Sie gerade auch die Frauen brauchen?

Klaas-Heisener: Das würde ich gerne noch globaler beantworten wollen. Wir brauchen interkulturelle Menschen, weil wir international aufgestellt sind. Wir brauchen beide Geschlechter und auch die verschiedenen Altersklassen, weil alle diese Menschen unterschiedliche Blickwinkel für Lösungen oder die Entwicklung eines Produktes mitbringen. Frauen gehen häufig viel praktischer an Dinge heran. Deshalb ist uns die Mitarbeitervielfalt unglaublich wichtig.

Was machen Sie denn in den Schulen und Hochschulen genau? Werben Sie für ein Praktikum im Unternehmen?

Klaas-Heisener: Ja, man hat als Hochschulstudent oder Schüler die Möglichkeit, bei uns jederzeit ein Praktikum zu machen. Außerdem bieten wir Betriebsbesichtigungen mit einem Einblick in die Ausbildung, in das duale Studium oder die Fertigung an. Daneben bieten wir sechs Schulen in Espelkamp eine Art Baukasten zur Erstellung von Bauwerken an. Zum Beispiel sollen die Schüler mit umweltschonenden Energien ein kleines, selbst gebautes Windrad antreiben. Mit dem Ergebnis bewerben sich die Schüler anschließend um den Harting-Forscherpreis.

Verzeichnet die viele Arbeit, die Sie reinstecken, Erfolge?

Klaas-Heisener: Wenn man sich Statistiken zu den MINT-Berufen, die von verschiedenen Zentren in Deutschland veröffentlicht werden, anschaut, sieht man deutlich, dass in den letzten Jahren viel mehr Frauen ein Ingenieursstudium aufnehmen. Es halten noch nicht alle bis zum Ende durch und sicherlich gehen auch nicht alle später in den Beruf. Aber die Anfängerzahlen sprechen auf jeden Fall dafür, dass sich etwas bewegt.

Welchen Umkreis klappern Sie bei den Schulen und Unis ab?

Klaas-Heisener: Wir streben nationale Kooperationen an. Wirklich gut funktionieren Kooperationen im Umkreis von circa 200 Kilometern, also in Bielefeld, Osnabrück, Hannover, Paderborn. Denn da können Sie für eine Aktion auch einmal schnell hinfahren.

Wie organisieren Sie dieses arbeitsintensive Engagement?

Klaas-Heisener: Es gibt im Ausbildungsbereich bei Harting ein bis zwei Personen, die mit dem Ausbildungsmarketing beauftragt, jedoch nicht speziell dafür freigestellt sind, und diese Aktionen betreuen. Außerdem gibt es anderthalb Stellen im Hochschulmarketing. Eine weitere Stelle beschäftigt sich mit den Themen Employer Branding, Personalmarketing, Zielgruppe Fach- und Führungskräfte.

Welche Maßnahmen ergreifen Sie denn bei den Hochschulabsolventen?

Klaas-Heisener: Es gibt beispielsweise den mit 30 bis 40 Ausstellern relativ kleinen Absolventenkongress in Hamburg. Da waren wir beim letzten Mal eines von drei produzierenden Unternehmen, alle anderen waren Dienstleister, und wir hatten deshalb einen ziemlich großen Zulauf. Einmal im Jahr fahren wir nach Dortmund zum VDI-Recruiting-Tag, und wir sind jedes Jahr auf der Women&Work in Bonn vertreten, wo speziell Frauen angesprochen werden. An unseren Ständen auf der Hannover Messe und der SPS stehen auch unsere Personaler, damit man uns dort direkt vor Ort ansprechen kann.

Christina Wröbel
„Meiner Meinung nach gibt es noch viel zu wenig Unterstützung seitens der Schulen und der Unis, bei Frauen das Interesse für technische Berufe zu wecken und sie zu fördern.“ Christina Wröbel, Global Industrial Engineer Assembly bei Harting. (Bild: Harting Technologie Gruppe)

Welche von den Maßnahmen sind denn gezielt auf Frauen und Mädchen zugeschnitten?

Klaas-Heisener: Neben dem Women&Work-Tag nehmen wir am Fachkongress WoMenPower teil, der an dem Freitag der Hannover Messe in einem extra Gebäude stattfindet, und ein Zwischending zwischen Rekrutierung und Netzwerk ist.

Versuchen Sie Frauen und Mädchen extra einzuladen?

Klaas-Heisener: Wir haben uns diverse Male darüber unterhalten, ob wir eine Frauenquote ausloben sollten. Unsere Ingenieurinnen haben dies jedoch abgelehnt, weil sie fachlich wahrgenommen werden wollen. Deshalb haben wir entschieden, dass es keine besondere Berücksichtigung von Frauen gibt. Das Problem ist eher, dass sich zu wenig Frauen bewerben, weil es noch nicht gleich viele weibliche Ingenieure gibt. Wir behandeln weibliche und männliche Bewerber/innen gleich und stellen nach Qualifikation und nicht nach Geschlecht ein.

Frau Wröbel, was glauben Sie als junge Ingenieurin, warum so wenig junge Frauen eine technische Ausbildung oder ein technisches Studium absolvieren?

Wröbel: Aus meiner Sicht liegt das auch daran, dass vor dem Schulabschluss der Einblick in solche Berufe fehlt. Sich für Dinge zu begeistern, mit denen man sich vorher nie beschäftigt hat, ist einfach schwierig. Ich glaube, deswegen orientieren sich die meisten Frauen an den bekannten beruflichen Rollenbildern. Meiner Meinung nach gibt es bisher noch viel zu wenig Unterstützung seitens der Schulen und Unis, Frauen in diesen Bereichen zu fördern.

Haben Sie in der Schule die Erfahrung gemacht, dass Lehrer Mädchen für MINT-Fächer für weniger begabt halten?

Wröbel: Ja, es gab ein paar wenige Lehrer an unserer Schule, die gesagt haben: „Du bist eine Frau, Du kannst das sowieso nicht.“ Und im Studium gab es Professoren, gerade in Fächern wie Mechanik, die gefragt haben: „Du bist eine Frau, was willst Du eigentlich hier? Hast Du Dir das richtig überlegt?“ Solche Entmutigungen sind schade.  

Frau Klaas-Heisener, welcher Erfahrung haben Sie mit den MINT-Mentoring-Programmen gemacht? Die sind ja speziell als Förderinstrument für Frauen ins Leben gerufen worden.

Klaas-Heisener: Für mich sind diese MINT-Mentoring-Programme mit am qualifiziertesten und am besten. Wir nehmen jetzt das zweite Jahr an einem MINT-Mentoring für Studierende teil. Das heißt, uns werden Studierende aus einem Hochschulpool angeboten, die das Unternehmen kennenlernen sollen, hier Praktika absolvieren und einen Mentor, eine Mentorin aus dem Haus bekommen. Daneben gibt es das Cross-Mentoring, das die ersten Jahre als spezielle Frauenförderung in MINT-Fächern vom ESF-Fonds unterstützt wurde.

Als die Förderung auslief, haben die Unternehmen in Ostwestfalen-Lippe das Programm für so gut befunden, dass sie es weiterführen und dabei auch jungen Männern anbieten wollten. Und schließlich wurde das Programm entlang der ganzen Wertschöpfungskette aufgelegt. Unsere Frau Wröbel wird im Herbst dort starten, wenn das Programm in seine vierte Runde geht. Anfangs waren die Teilnehmerinnen skeptisch, aber inzwischen hat es einen so guten Leumund, dass ich dieses Jahr nach zwei Anrufen alle Teilnehmer zusammen hatte.

 

Nina Weber
„Das Geschlecht hat bei dem Cross-Mentoring nicht so die Rolle gespielt. Es ging um den fachlichen und persönlichen Ausstausch.“ Nina Weber, Controllerin und Mentorin bei Harting. (Bild: Harting Technologie Gruppe)

Frau Weber, Sie haben als Mentorin bei dem Programm junge Kollegen unterstützt. Wie haben Sie als Mentorin dieses Programm denn wahrgenommen?

Weber: Unsere Gruppe bestand etwa zur Hälfte aus männlichen und weiblichen Teilnehmerin, wobei ich einen männlichen Mentee hatte. Das Geschlecht hat in diesem Cross-Mentoring aber gar nicht so die Rolle gespielt, weil wir versucht haben, uns auf fachlicher Ebene auszutauschen und gemeinsam die Sozialkompetenz weiterzuentwickeln. Das war hilfreich.

Also handelt es sich um ein gutes Programm, gerade auch für jüngere Mitarbeiter?

Weber: Ja, auf alle Fälle, und es ist definitiv zu empfehlen. Und selbst als Mentor lernt man noch jede Menge dazu. Man bekommt einige Werkzeuge mit an die Hand, anhand derer man sich selbst besser kennenlernt, sich selbst hinterfragt. Hierzu fehlt im Berufsleben oft die Zeit. Das bringt auch Berufserfahrenen Vorteile.

Klaas-Heisener: Dieses Feedback spiegeln alle wieder. Und dann gibt es ja außer diesen Tandemgesprächen auch noch die sogenannten Triadengespräche, wo die Führungskraft des jeweiligen Mentees dabei ist, die dann mit Mentee und Mentor noch einmal die persönlichen Ziele bespricht. Und auch die Führungskräfte bestätigen hinterher, dass sich dieser junge Mensch weiterentwickelt hat und die gemeinsamen Unternehmensziele viel besser bedient.

Frau Klaas-Heisener, warum glauben Sie, dass gerade den Frauen so ein Mentoring gut tut?

Klaas-Heisener: Also, wir haben immer wieder lange im Bielefelder Kompetenzzentrum diskutiert, warum das ursprünglich als Frauenprogramm gefördert worden ist. Und dann sind die klassischen Vorurteile gefallen: Frauen können sich in einer Männertruppe weniger durchsetzen, die müssen sich sichtbarer machen, und all diese Dinge. Ich persönlich glaube, wir sollten diese geschlechtsspezifische Sichtweise sein lassen. Junge Männer sind genau so zurückhaltend wie junge Frauen. Und ich finde, das ist einfach ein gutes Programm für junge Menschen. Punkt.

Das denkt die Redakteurin

Angela Unger
Zeit, etwas zu ändern: Veraltete Rollenbilder helfen im Kampf gegen den Fachkräftemangel nicht weiter, findet ke-NEXT-Redakteurin Angela Unger.

Angesichts des demografischen Wandels und des drohenden Fachkräftemangels, aber auch des globalen Wettbewerbs können wir es uns nicht länger leisten, Talente in MINT-Fächern brach liegen zu lassen. Das Problem dabei: Wir kämpfen gegen veraltete Rollenbilder, die überhaupt nichts mit der Begabung und den Interessen des jeweiligen Menschen zu tun haben. Man muss nur mal ein Spielwarengeschäft aufsuchen, um festzustellen, dass Mädchen kein Technik-Spielzeug angeboten wird – das steht in der Jungen-Abteilung.

Dies setzt sich später fort: So gibt es immer noch Mathe- und Physiklehrer, die Mädchen für minderbemittelt halten, und Hochschulprofessoren, die gleich zu Studienanfang raten, sich ein anderes Fach zu suchen. Das Problem: Mädchen, die nie mit Technik in Berührung kommen, werden später keinen technischen Beruf ergreifen, selbst wenn sie von der Begabung her eine exzellente Ingenieurin geworden wären.

Sicher, nicht jede wird Technik mögen. Aber auch nicht jeder Mann wird später Ingenieur. Unternehmen, die ihre Ingenieurinnen in Schulen schicken und gezielt Mädchen für Schnuppertage und Praktika ansprechen, tun also das Richtige. Gefragt sind aber im Prinzip alle: Väter können ihren Töchtern einen Technik-Baukasten schenken und erklären, Partner können ihre Frauen ermutigen, mal selbst zur Bohrmaschine zu greifen und damit zum Rollenvorbild zu werden. Entmutigung haben Mädchen und Frauen genug erlebt.

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