Die TU Berlin will den Terminal D des Flughafen Tegel in eine Urban Tech Republic  verwandeln.

Die TU Berlin will den Terminal D des Flughafen Tegel in eine Urban Tech Republic verwandeln. (Bild: Graft)

Laut Weltbank lebten im Jahr 2013 sechzig Prozent der Weltbevölkerung in Städten. In Europa leben dem aktuellen Urban Audit der Europäischen Kommission zufolge über siebzig Prozent der Bevölkerung Europas in Städten oder dicht besiedelten Gegenden. Tendenz steigend aufgrund von Jobaussichten, Gehaltsniveau und Lebensstandard.

Europas Städte müssen sich auf Grund steigender Einwohnerzahlen im 21. Jahrhundert verschiedensten Herausforderungen wie erhöhtem Energiebedarf, intelligenter Infrastruktur und effizienter Logistik sowie hohen Erwartungen an Lebensqualität bei erschwinglichen Lebenshaltungskosten stellen. Gleichzeitig gilt es, die in 2009 gesetzten Klimaziele bis zum Jahr 2020 zu erreichen: jeweils 20 Prozent weniger Treibhausgas-Emissionen, mehr Energiegewinnung aus regenerativen Quellen, höhere Energieeffizienz.

Bei der Umsetzung von Lösungen dazu spielt die Informations- und Telekommunikationstechnologie (ITK) eine tragende Rolle. Die Vernetzung möglichst vieler Verbraucher, Geräte und Sensoren soll der Sammlung von Daten dienen, deren Auswertung die Optimierung der Bedarfe bei gleichzeitiger Berücksichtigung der gegenseitigen Abhängigkeiten ermöglicht. In Deutschland können aktuell zwei Städte besonders gut im europäischen Vergleich mithalten.

Hamburg: Nordisch by Nature

Nachhaltige Projekte in Hafencity, Hamburg.

Überblick über die smarten Projekte der Hafencity in Hamburg. (Bild: Hafencity Hamburg)

Hamburg will sich als zweitgrößte Stadt Deutschlands einer umfassenden Transformation unterziehen und ist mit dem Bau der 157 Hektar großen Hafencity, dem aktuell größten europäischen Strukturprojekt in einer Stadt, auf dem besten Weg dazu. Dabei sollen über zwei Millionen Quadratmeter neuer Arbeits-, Wohn-, Handels- und Kulturflächen entstehen. Hamburg recycelt im großen Stil – bebaut werden bestehende Nutzflächen im Hafengebiet.

Der Anteil an strukturell notwenigen Flächen wie Straßen liegt bei effizienten 24 Prozent. Erreicht wird dies durch den dichten Mix der Nutzungsarten, der kurze Wege ermöglicht. Doch auch in Sachen Mobilität wird in der Hafencity auf Nachhaltigkeit gesetzt, schließlich wollen zukünftig etwa 100.000 Menschen täglich zwischen der inselartigen Anlage und der Innenstadt pendeln können. Die Parkplatzsuche wird bereits über den Anschluss an das zentral gesteuerte Parkleitsystem der Stadt erleichtert. Insgesamt soll das Verkehrsaufkommen durch ein kombiniertes Angebot aus U-Bahn, wasserstoffbetriebenen Bussen, Car Pools und Leih-Fahrradrädern sowie -Elektrofahrzeugen gesenkt werden.

Denkanstoß

Smart oder zu smart?

Bei der Transformation einer Stadt zur Smart City gibt es viel zu beachten. Denn nicht alle technischen Lösungen machen eine Stadt intelligent. Die Grenze zum gläsernen Bürger, aus dessen Daten andere Profit schlagen, ist dünn. Ausschlaggebend für den Erfolg innovativer Lösungen werden zum einen ausgereifte IT-Sicherheitssysteme sein.

Aktuell wurde von Forschern der Universität Michigan das Verkehrssystem in der Stadt gehackt, wodurch fast 100 per Funkverbindung vernetzte Ampeln ferngesteuert schaltbar waren. Die Forscher sahen die Ursache ihres Erfolgs in dem Fehlen eines grundsätzlichen Sicherheitsbewusstseins der Betreiber. Neben der Absicherung gegen Hackerangriffe darf zum anderen die Integration des Menschen nicht außer Acht gelassen werden, da er mit den Systemen interagieren muss. Dies kann er nur, wenn er ihre Wirkungsweise versteht und mitträgt.

Smarte Stromversorgung

Für Elektrofahrzeuge stehen aktuell 140 öffentliche oder an Geschäftsräume angeschlossene Ladestationen sowie eine Schnellladestation am Heizwerk bereit, die teilweise mit Windenergie beliefert werden. Bis Ende 2016 soll die Anzahl auf über 600 steigen, davon alleine 70 Schnellladestationen. Knapp 1000 batteriebetriebene Fahrzeuge gibt es bereits, die teilweise aus dem vom BMU mit rund 3,9 Millionen Euro geförderten Projekt „ePowered Fleets Hamburg“ stammen. Insgesamt sollen in der Hansestadt in den nächsten zwei Jahren 5000 elektrisch betriebene Fahrzeuge unterwegs sein. Im östlichen Teil der Hafencity ist geplant, ein Drittel aller Parkflächen mit Lademöglichkeiten und die Carsharing-Flotte zu einem hohen Teil elektrisch auszustatten.

Brennstoffzelle von Vattenfall

In der Hafencity gelten strenge Grenzen für den CO2-Ausstoß durch Wärmeerzeugung. Um die Obergrenze von 175 Gramm CO2 pro kWh einhalten oder unterschreiten zu können, kommen zum Beispiel Brennstoffzellen zum Einsatz (Bild: Vattenfall).

Die Stromversorgung der Hafencity erfolgt zu einem Großteil über das neu in Betrieb genommene Umspannwerk von Vattenfall, dessen 110 Kilovolt starke Schaltanlage zukünftig zur automatisierten Fehlererkennung online auf Erdschlüsse und Temperaturschwankungen hin überwacht werden soll. Strom liefert das südlich der Stadt gelegene neue Kraftwerk Moorburg, das jährlich bis zu elf Milliarden Kilowattstunden aus Steinkohle produziert.

Intelligenter ist da schon die Ausstattung von 42 Wohneinheiten mit Smart Meters und Anbindung an die Home Service Plattform, über die Verbrauch und verfügbarer Windstrom detailliert abgebildet werden können. Bewohner, die ihren Verbrauch antizyklisch anpassen, können bares Geld sparen. Rein regenerativ ist die Stromgewinnung für das Greenpeace-Gebäude, das von einer eigenen 800 Quadratmeter großen, 70 Kilowatt starken Photovoltaikanlage versorgt wird.

Laut Hamburger Solaratlas können jährlich rund 1000 Kilowattstunden Leistung aus Sonnenenergie geerntet werden. Bei der Wärmeversorgung der Hafencity galt eine Obergrenze von 175 Gramm CO2 Ausstoß pro Kilowattstunde. In der östlichen Hafencity werden über dezentrale Einheiten sogar Werte um 89 Gramm CO2 pro Kilowattstunden erzielt.

Netzwerken in der Smart City

Im April gab Hamburg eine Partnerschaft mit dem Netzwerkspezialisten Cisco bekannt, um eine intelligente Vernetzung der Stadt und ein Ecosystem aus weiteren Technologiepartnern aufzubauen. Besonders im Hafen der Stadt verspricht man sich als wichtiger Wirtschaftsfaktor eine Effizienzsteigerung. Im Pilotprojekt SmartPort soll vorhandene Infrastruktur effektiver genutzt werden, um finanzielle Konsequenzen für die Logistikparteien zu minimieren, die Sicherheit zu erhöhen und Luftverschmutzung besser bewerten zu können.

Nach Verlegung von Glasfaserkabeln wird der Verkehr auf Zufahrtswegen und Brücken über vernetzte, internetbasierte Kameras überwacht. Die Auswertung der kontinuierlich gesammelten Daten dient der Steuerung des Verkehrsflusses und der LED-Straßenbeleuchtung. Sensoren messen gleichzeitig Umweltwerte wie etwa Temperatur, Feuchtigkeit oder Luftverschmutzung. Zur Weiterentwicklung seiner Ideen, streckt Hamburg seine Fühler auch international aus. Im Oktober wird es eine Delegationsreise nach Kalifornien geben – Firmen wie Facebook, Twitter, Google, Apple, Tesla, Nest und Cisco sowie die Standford Universität stehen auf der Agenda.

Technik im Detail

KNX-Standard

KNX kommt seit über 20 Jahren zum Einsatz, um herstellerübergreifend Produkte der Haus- und Gebäudetechnik wie beispielsweise Heizung, Lüftung und Klima effizient zu verbinden. Das System basiert auf dem EIB-Standard. Hierbei kommunizieren mit Mikroprozessoren ausgestattete Sensoren mit den für sie relevanten Aktoren direkt über eine zentrale und standardisierte Busleitung. Als Übertragungsmedien können Telefon- und Stromleitungen oder Funkverbindungen genützt werden. Temperaturfühler senden beispielsweise die gemessene Raumtemperatur mittels eines Datentelegramms direkt an die Steuerung der Heizung oder Außenjalousie.

Das KNX-System findet in der ISO/IEC 14543-3 international, in den Standards CENELEC EN 50090 und CEN EN 13321-1 europäisch Anerkennung und ist ebenfalls im chinesischen Standard GB/Z 20965 abgebildet. KNX Deutschland ist im ZVEI angesiedelt.

 

Die intelligente Hauptstadt

Berlin belegt im European Green City Index

den ersten Platz in der Kategorie Gebäude und den dritten Platz bei Wasser. Zentraler Ansprechpartner für das Thema Smart City ist „Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie“, eine Verbindung aus öffentlicher Hand und Wirtschaft, in der sich der Senat des Landes Berlin gemeinsam mit über 200 Unternehmen engagiert. Insgesamt widmen sich über 300 Forschungsgruppen und Firmen dem Thema und machen Berlin zu einem Labor für zukünftige Technologien.

Terminal D am Berliner Flughafen Tegel soll eine Urban Tech Republic werden.

Die TU Berlin will den Terminal D des Flughafen Tegel in eine Urban Tech Republic verwandeln. (Bild: Graft)

Deutlich sichtbar wird dies am 5,5 Hektar großen Euref Campus in Schöneberg am Berliner Gasometer, der von einem 22-Kilowatt-Biogas-BHKW mit Strom versorgt wird und somit aktuell bereits die Klimaziele der Bundesregierung für das Jahr 2050 erfüllt. Geplant ist, das System um Wärmepumpen und Kälteabsorptionsanlagen sowie um Tiefengeothermie, bei der bis zu 55 °C warmes Wasser aus über 400 Meter Tiefe hochgepumpt und zum Heizen oder über eine Kraft-Wärme-Kopplung zur Stromerzeugung verwendet werden soll, zu erweitern. Ein Erdwärmespeicher soll bis zu drei Gigawattstunden pro Jahr zur Verfügung stellen. Eine weitere Besonderheit ist der geplante 1000 Kubikmeter Wasser fassende Speicher, der überschüssigen Strom zwischenspeichern soll.

Erste Zahlen für die Effizienzsteigerung durch ITK-Lösungen liefert das Campusgebäude 12-13 mit 15.000 Quadratmetern Fläche auf zehn Etagen. Ein intelligentes Energiemanagement, das mit seinen Produzenten und Verbrauchern über den KNX-Standard kommuniziert, regelt die Lasten anhand der in Echtzeit ermittelten Bedarfe. Dank Smart Meter, Temperatursensoren sowie Bewegungs-und Präsenzmeldern in den Wohn-und Büroräumen können über sechs Millionen Liter Wasser, 100 Kilogramm CO2 und über 960.000 Kilowattstunden Heizenergie jährlich eingespart werden.

Zukünftig soll auch das Micro-Smart-Grid, das vom Innoz zur Erprobung vernetzter Mobilitäts- und Energiekonzepte genutzt wird, in das Gesamtsystem des Campus eingebunden werden. Das MSG besteht aktuell aus einer 53,5-KW-Photovoltaikanlage (geplante Erweiterung auf rund 110 Kilowatt), sechs Kleinwindanlagen à ein Kilowatt und einer Großbatterie, bei der ein Blei-Gel-Akku mit 150 Kilowattstunden Kapazität mit einem 26-kWh-starken Lithium-Ion-Akku (Erweiterung auf 52 Kilowattstunden geplant) gekoppelt wurde.

Verbunden mit dem MSG ist die aktuell größte Elektroautotankstelle Deutschlands, inklusive einer Schnellladestation, an der bis zu 30 Wagen gleichzeitig geladen werden können. In Abhängigkeit von geplanter Verweildauer und Ladekapazität der Elektroautos kann durch die Speicherung regenerativ gewonnener Energie in der Großbatterie das Laden mit komplett CO2-freier Energie gesteuert werden.

Über den Tellerrand geschaut

Europa wird Smart

  • Kopenhagen: Die ehrgeizigsten Klimaziele in Europa hat sich die diesjährige Umwelthauptstadt Kopenhagen gesteckt, wo man bis zum Jahr 2025 CO2 neutral sein will.
  • Amsterdam: Hier liegt der Anteil emissionsfreier Fortbewegung mit Fahrrad und zu Fuß bei mehr als zwei Drittel, doch das genügt den Stadtlenkern nicht. Innerhalb des PPP (public private partnership) Amsterdam Smart City gibt es über 68 Projekte.
  • Barcelona: Dass Barcelona seit mehreren Jahren federführend in Sachen Smart City ist, erkennt man unter andrem an dem jährlich dort stattfindenden Smart City Expo Word Congress. Innerhalb der Rahmenstrategie der Stadt werden aktuell 83 Projekte umgesetzt.
  • London: In der Hauptstadt ist der Handlungsbedarf besonders groß. London wächst schneller als New York und erwartet bis zum Jahr 2030 zehn Millionen Bewohner. Mit The Crystal hat Siemens eines der weltweit nachhaltigsten Gebäude geschaffen, in dessen Ausstellung die Herausforderungen aufgrund globaler Trends sowie Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.

Unterstützung aus der Forschung

Etwas theoretischer geht es an der technischen Universität Berlin zu. Dort formiert sich derzeit das Urban Lab, um Prozesse von intelligenten Städten zu erforschen und über Simulationen die Wechselwirkungen innerhalb des Systems zu testen und Methoden zu entwickeln. Leise Töne von Zukunftsmusik hört man auch im Terminal D des Flughafen Tegel, der nach Eröffnung des neuen Flughafens Berlin-Brandenburg komplett in die Urban Tech Republic umgewandelt werden soll.

Der zukünftige Forschungs- und Industriepark ist den vier Themenschwerpunkten Energie, Mobilität, Wasser und Recycling und deren Beeinflussung durch die Querschnittsbereiche Werkstoffe und ITK gewidmet. Ein Konglomerat aus über 800 Firmen und Institutionen zusammen mit 5000 Studenten kann das 495 Hektar große Areal als Spielwiese für kreative Ideen nutzen, zehn Hektar sind konkret für Experimentierflächen vorgesehen. jl

Autorin: Britta Muzyk, freie Mitarbeiterin ke NEXT

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