Wie funktioniert eigentlich eine Roboterhand?

Roboterhände mit möglichst viel Feingefühl werden vor allem in der Mensch-Roboter-Kollaboration in Zukunft mehr und mehr gefragt sein. (Bild: Schunk)

Während Greiftechnik für die industrielle Automatisierung bislang vor allem auf Robustheit, Langlebigkeit und Performance ausgelegt waren, steht bei einer Greifhand respektive Roboterhand der Aspekt der Bewegungsflexibilität im Vordergrund. Je enger Mensch und Roboter zusammenarbeiten, desto größer wird die Relevanz von humanoiden 5-Fingerhänden. „Im Extrem werden sich Mensch und Service-Roboter ein und denselben Arbeitsplatz inklusive aller Werkzeuge und Hilfsmittel teilen“, ist Dr. Martin May, Head of Research/Advanced Technologies bei Schunk, überzeugt.

Genau aus diesem Grund hatte der Hersteller für Greiftechnik bereits 2017 die 5-Finger-Greifhand SVH als weltweit ersten Greifer von der DGUV für die Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) zertifizieren lassen. Mithilfe von insgesamt neun Antrieben können die fünf Glieder der Greifhand unterschiedlichste Greifoperationen am Roboter ausführen. Zudem lassen sich zahlreiche Gesten darstellen, wodurch eine visuelle Kommunikation zwischen Mensch und Roboter erleichtert wird und auch die Akzeptanz für den Einsatz im menschlichen Umfeld erhöht werden kann.

5-Finger-Greifhand SVH von Schunk - Quelle: next Robotics

Warum eine Greifhand für die MRK prädestiniert ist

„In unseren Forschungsprojekten konnten wir feststellen, dass die menschliche Hand weit mehr ist, als ein hochflexibles Instrument zur Manipulation. Im Gegensatz zum industriellen Greifer verknüpft der Mensch mit einer humanoiden Greifhand immer auch emotionale Aspekte“, erläutert May. „Greifhände sind immer dann gefragt, wenn ein Roboter menschliche Handlungsweisen imitieren soll.“ Das betrifft die Manipulation ebenso wie die Gestik.

Vor allem Serviceroboter mit haushaltsnahen Anwendungen und auch unterschiedlichste montagenahe Anwendungen der industriellen Assistenzrobotik nimmt Schunk bei seinen Forschungsprojekten in den Blick. „Greifhände machen überall dort Sinn, wo ein Tätigkeitsumfeld auf den Menschen ausgelegt ist, der durch einen Roboter unterstützt werden soll - beispielsweise in der heimischen Küche, aber auch an industriellen Montagearbeitsplätzen oder in Kommissionier- und Logistikanwendungen.“

Roboterhände: Greiftechnik ohne vs. mit Seilzug

Passend zur jeweiligen Anwendung hat Schunk unterschiedliche Greifhände für Roboter in seinem Portfolio:

  • eine auf die Grundfunktionen des Greifens reduzierte 2-Fingerhand für Service-Roboter
  • eine industrietaugliche 3-Fingerhand Schunk SDH
  • eine komplexe Schunk SVH 5-Fingerhand
  • die noch flexiblere und preisgünstige 5-Finger-Greifhand SIH mit Seilzugmechanik

Das jüngste Modell, die Schunk SIH, verfügt ebenfalls über fünf menschenähnlich aufgebaute Finger, unterscheidet sich jedoch bei Antrieb und Kinematik grundlegend von der SVH. Während die über neun Motoren angetriebene SVH die typischen Aspekte einer präzise arbeitenden Roboterhand erfüllt, ist die mit fünf Motoren ausgestattete und über Seilzüge betätigte SIH weitaus stärker an ihr menschliches Vorbild mit seinen Sehnen und Muskeln angelehnt. Drei ihrer Finger lassen sich unabhängig voneinander bewegen, die beiden kleinsten wiederum gemeinsam im Team. Damit ist die SIH flexibler einsetzbar als andere Greifhände mit Seilzugmechanik in der Robotik, zudem ist sie robuster und preisattraktiv.

Wie Robotergreifer mit Sensoren feinfühliger werden - Quelle: next Robotics

Vor allem der Preis sei laut Martin May eine wesentliche Anforderung bei dem Forschungsprojekt gewesen. Denn gerade Anwendungen der Servicerobotik im häuslichen Umfeld erfordern ein striktes Kostenmanagement, wenn sie am Markt Erfolg haben sollen. Um dieses Ziel einer bezahlbaren, flexibel einsetzbaren und einfach zu bedienenden 5-Finger-Greifhand für Roboter zu erreichen, nutzt Schunk Erfahrungen aus der Bionik sowie moderne Motoren- und Elektronik-Konzepte. Mithilfe einer intelligenten Greiferregelung können über ein einfach zu bedienendes Interface vielfältige Greifprozesse am Roboter umgesetzt werden, ohne diese exakt zu programmieren.

Wie eine Greifhand autonomes Greifen lernt

In dieser Anwendung greift die Schunk SVH 5-Finger-Greifhand autonom ein beliebiges Objekt, das beliebig platziert wurde.
In dieser Anwendung greift die Schunk SVH 5-Finger-Greifhand autonom ein beliebiges Objekt, das beliebig platziert wurde. (Bild: Schunk)

In seinen Smart Labs geht Schunk noch weiter: Neben der Greifkomponente für Roboter widmet man sich dort dem Greifprozess als Ganzes und sucht nach Wegen, um Handlingaufgaben autonom zu erledigen. Die aufwändige Roboter-Programmierung, die bislang manuell durch den Anwender oder Integrator erfolgt, soll künftig durch einen lernenden, autonomen Komponentenverbund ersetzt werden. Statt Positionen, Geschwindigkeiten und Greifkräfte Schritt für Schritt einzeln zu definieren, sollen intelligente Greifsysteme künftig ihre Zielobjekte über Kameras erfassen und die Greifplanung selbständig übernehmen.

Auf Grundlage von Datenbeständen und Algorithmen soll die Greiftechnik in die Lage versetzt werden, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und entsprechende Reaktionen abzuleiten. Darüber hinaus arbeitet die Forschung bei Schunk an Algorithmen, um unterschiedliche Geometrien und Anordnungen zu klassifizieren und optimale Greifstrategien für Roboter zu entwickeln. Greifsysteme sollen in die Lage versetzt werden, Teile eigenständig zu handhaben und die zugrundeliegenden Greifabläufe am Roboter immer weiter zu verfeinern.

Roboterhände mit pneumatischer Kinematik und KI

Die flexible, pneumatische Kinematik und der Einsatz von elastischen Materialien und leichten Bauteilen unterscheiden die Bionic SoftHand des Automatisierers und Bionik-Spezialisten Festo von elektrischen oder seilzugaktuierten Roboterhänden. Die Roboterhand steuert ihre Bewegungen über pneumatische Strukturen in ihren Fingern. Werden die Kammern mit Luft befüllt, krümmen sich die Finger. Sind die Luftkammern entlüftet, bleiben die Finger gestreckt. Daumen und Zeigefinger sind zusätzlich mit einem Schwenkmodul ausgestattet, wodurch sich diese beiden Finger auch seitlich bewegen lassen. Dadurch verfügt die bionische Roboterhand über insgesamt zwölf Freiheitsgrade.

Die Roboterhand Bionic SoftHand von Festo.
Technik im Detail: So ist die Roboterhand von Festo aufgebaut. (Bild: Festo)

 

Um die Bewegungen der menschlichen Hand möglichst naturgetreu auszuführen, sind auf engstem Raum kleinbauende Ventiltechnik, Sensorik, Elektronik und mechanische Komponenten integriert. Die Gummibälge sind von einem speziellen 3D-Textilmantel umschlossen, der sowohl aus elastischen als auch hochfesten Fäden gestrickt ist. Damit kann über das Textil genau bestimmt werden, an welchen Stellen die Struktur sich ausdehnt und damit Kraft entfaltet und wo sie an der Ausdehnung gehindert wird: Während die Außenseite der Finger dehnbar ist, begrenzt ein Zugband die
Längsausdehnung an der Fingerinnenseite. So krümmt sich der Finger, sobald er mit Luft gefüllt wird. Auf dem Gestrick sind flexible Leiterplatten mit Mäanderstruktur appliziert, auf der die Inertial- und taktilen Kraftsensoren sitzen.
Die hauchdünnen Platinen sind biegsam und beeinträchtigen dadurch die Bewegungen der Finger nicht.

Bionic Cobot und Roboterhand Bionic SoftHand von Festo auf der Hannover Messe 2019 - Quelle: next Robotics

Mittels künstlicher Intelligenz lernt die bionische Roboterhand eigenständig Greif- und Drehaufgaben zu lösen, ähnlich wie die menschliche Hand im Zusammenspiel mit dem Gehirn. Bei der Bionic SoftHand kommt die Methode des Reinforcement Learnings zum Einsatz, des Lernens durch Bestärken. Das bedeutet: Statt einer konkreten Handlung, die sie nachahmen
muss, bekommt die Hand lediglich ein Ziel vorgegeben. Dieses versucht sie durch Ausprobieren (Trial-and-Error) zu erreichen. Anhand des erhaltenen Feedbacks optimiert sie nach und nach ihre Aktionen, bis sie schließlich die gestellte Aufgabe erfolgreich löst. 

Roboterhand: Wie ein Digitaler Zwilling beim Learning hilft

Technische Daten zur Bionic SoftHand von Festo.
Weitere technische Daten zur Bionic SoftHand von Festo. (Bild: Festo)

Das Einlernen der dazu nötigen Bewegungsstrategie geschieht in einer virtuellen Umgebung anhand eines digitalen Zwillings, der mithilfe der Daten einer Tiefenkamera und der Algorithmen der künstlichen Intelligenz erstellt wird. Das digitale Simulationsmodell beschleunigt das Training erheblich, insbesondere wenn man es vervielfacht. Beim so genannten
Massive Parallel Learning wird das erlangte Wissen mit allen virtuellen Händen geteilt, die dann mit dem neuen Wissensstand weiterarbeiten: Jeder Fehler wird so nur einmal gemacht. Erfolgreiche Aktionen stehen sofort allen Modellen zur Verfügung. Nachdem die Steuerung in der Simulation trainiert ist, wird sie auf die reale Bionic SoftHand übertragen.

Wie bei Schunk auch eignet sich die Roboterhand von Festo für die Mensch-Roboter-Kollaboration mit Cobots. Da die
flexible Roboterhand sowohl kräftig als auch sensibel greifen kann, ist ein Einsatz als helfende dritte Hand in der Montage
ebenso denkbar wie eine Verwendung in der Servicerobotik.

(nach Unterlagen Schunk und Festo)

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