Vier präzise und schnelle Kawasaki-Roboter

Vier präzise und schnelle Kawasaki-Roboter, ein state-of-the-art-Kamerasystem, ein Laser und eine leistungsstarke KI: RoBoCut ist der Beginn einer neuen Generation der Pflanzenvermehrung. (Bild: Kawasaki Robots)

Heute führen die Inhaber Friederike und Stephan von Rundstedt ein 14-köpfiges Expertenteam und RoBoCut ist ab 2022 der Beginn einer neuen Generation der Pflanzenvermehrung. RoBoCut ist das Ergebnis einer aufwendigen, zehnjährigen Entwicklungsphase. Die Idee hinter dem Projekt war, sterile Pflanzen im in-vitro-Labor automatisch zu vermehren. Der Prozess ist auf dem Papier schnell erklärt: Erkennen und greifen, Schnittlinien legen, schneiden, aufnehmen und in frische Becher setzen. Das RoBoCut-System setzt dabei auf einen Laser an einem Hochleistungsroboterarm statt auf das übliche Skalpell. So ist ein sauberer und hochpräziser Schnitt für die optimale Vermehrung möglich.

Die Zelle mit vier Kawasaki-Robotern bedient primär große in-vitro-Laboratorien weltweit. Diese beschäftigen an speziell eingerichteten Werkbankplätzen tausende Mitarbeiter. Das Automatisierungspotenzial dort ist entsprechend äußerst groß. Doch die Lösung richtet sich auch an Züchter und Jungpflanzenproduzenten.

Wie nahm das Thema seinen Anfang?

Bock Bio Science ist ein klassisches Pflanzen- und Gewebekulturlabor – mit dem Ziel, die Vermehrung im Labor zu automatisieren. Bislang war dies primär über die Arbeit in Niedriglohnländern möglich. Doch Friederike und Stephan von Rundstedt waren sich schnell sicher: Die Vermehrung sollte in Bremen bleiben, inklusive dem Fachwissen und Know-how. Die Reise begann mit der Vermehrung seltener Orchideen. Erste Gespräche mit Automatisierungspartnern vor rund zehn Jahren ergaben zunächst ein durchwachsenes Feedback: „Zu komplex, mehr als 40 Entscheidungen pro Minute an der Werkbank, das kann keine Maschine“, erinnert sich Friederike von Rundstedt an die Antworten. „Mit dem Aufkommen von künstlicher Intelligenz, Machine Learning und Bilderkennung änderte sich das langsam, aber sicher“, fügt die studierte Gartenbauwissenschaftlerin hinzu.

Bei einem Besuch von Stephan von Rundstedt mit einer Mitarbeiterin der Hannover Messe kam es zum ersten Gespräch am Stand von Kawasaki Robotics. Dort kam man schnell ins Gespräch mit dem langjährigen Kawasaki Integrator DMP. Die Chemie stimmte sofort: Geschäftsführer Franz-Josef Diekstall war von der Idee von Anfang an begeistert und sofort an Bord. „Man muss jemanden finden, der tickt wie man selbst und ‚out of the box‘ denkt – und Herr Diekstall war genauso verrückt wie wir“, lacht Stephan von Rundstedt. Und auch der Support von Kawasaki Robotics war für ihn bemerkenswert: „Die Bereitschaft von Kawasaki, uns unkompliziert einen Leihroboter für Versuche und erste Prototypen zur Verfügung zu stellen, war vor allem zu Beginn des Projekts eine große Hilfe – so konnten wir schnell an Fahrt und Sicherheit gewinnen.“

Zu Beginn wurde RoBoCut nur für Bock Bio Science selbst entwickelt, doch schon nach den ersten Vorstellungen wuchs das Interesse von außen rapide. Schnell stand fest: Die Lösung soll auch Wettbewerbern angeboten werden. Künftig werden die Maschinen an die frühere Konkurrenz geliefert.

Friederike und Stephan von Rundstedt
Friederike und Stephan von Rundstedt haben RoBoCut ins Leben gerufen. (Bild: Kawasaki Robots)

Wie ist die Anlage aufgebaut?

Beim RoBoCut System handelt es sich um eine vollständig sterile Zelle, ausgestattet mit einem RS007L und drei RS007N Hochleistungsrobotern von Kawasaki Robotics. Über einen Infeed werden Becher mit zu vermehrenden Pflanzen zugeführt.

Diese werden geöffnet und jeweils eine einzelne Pflanze von einem Roboter mit mechanischem Greifer entnommen und einem Bilderkennungssystem präsentiert – dort wird die Pflanze innerhalb von 0,3 s präzise erfasst und die Schnittlinien definiert.

Anschließend wird die Pflanze in die sogenannte Laserkammer transferiert, wo sie gemäß der gelegten Schnittlinie geteilt wird. Hier findet die eigentliche automatische Vermehrung statt: Der Laser teilt die Pflanze in einzelne Sprosse, die auf ein steriles Laufband platziert werden. Von dort werden sie von einem weiteren Roboter gegriffen und in einen neuen Becher mit frischem Agar-Agar-Nährboden gesetzt. Der Becher wird geschlossen und verlässt über den Outfeed die Maschine. Die Automatisierung mit RoBoCut erlaubt ein berührungsloses Handling der Pflanzen im sterilen Raum – ohne menschlichen Kontakt.

Der Vorteil des Lasers gegenüber herkömmlichen Skalpellen: Ein Laserstrahl hat im Vergleich nur ein Viertel der Dicke eines Skalpells. Der Schnitt ist absolut präzise, schnell und verursacht keinerlei Beschädigungen an der Pflanze. Kombiniert mit der Bilderkennung des Systems kann der Laser zudem exakt entlang der natürlichen Wachstumslinie schneiden. Das Ergebnis: Ein deutlich besseres Wachstum bei den neuen Pflanzen, da diese Nährstoffe sofort intensiver aufnehmen kann.

Entwickelt wurde RoBoCut zwar zunächst für die schwer vermehrbaren Phalaenopsis Orchideen, doch das System eignet sich auch für die Vermehrung zahlreicher weiterer Pflanzen – darunter Zierpflanzen, Gehölze, Stauden oder ernährungsrelevante Pflanzen wie Kartoffeln. Doch auch außerhalb der Pflanzen- und Gewebekultur – in der vegetativen Vermehrung – soll RoBoCut künftig zum Einsatz kommen. Dies ist insbesondere für Stecklingsproduzenten relevant, etwa für Eukalyptus, Straßenbäume, Beet- und Balkonpflanzen und vieles mehr. Mehrere weitere Kulturen werden in den nächsten Jahren folgen. So gab es bereits einige Anfragen zur Vermehrung von medizinischem Cannabis – ein Markt mit enormer Wachstumsperspektive.  

Entnahme, Kameraerfassung, Schnitt und Einsetzen in den Nährboden
Entnahme, Kameraerfassung, Schnitt und Einsetzen in den Nährboden: Jeder Schritt der Pflanzenvermehrung erfolgt vollständig automatisch. (Bild: Kawasaki Robots)

Künstliche Intelligenz definiert perfekte Schnittlinien

Künstliche Intelligenz (KI) spielt bei RoBoCut eine Schlüsselrolle: Neben den vier Controller für die Roboter sind drei Industrie-PCs und ein KI-Server verbaut. 16 Kameras sorgen für den nötigen Input für die Vision Recognition Software. Die KI kommt bei nahezu jedem Prozessschritt zum Einsatz, etwa bei der Erkennung nach der Entnahme. Auf Basis dieser Aufnahmen wird ein 3D-Modell erzeugt, an welchem mittels KI die Schnittlinien definiert werden. Bevor im nächsten Schritt der Laserschnitt vorgenommen wird, wird die Pflanze nochmals erfasst und das 3D-Modell abgeglichen – so können eventuelle Verschiebungen während des Transports leicht kompensiert werden.

Die letzte Herausforderung im Prozess: Die richtigen Pflanzenteile in der passenden Position vom Fließband entnehmen und in das Agar-Agar-Medium zu setzen. Durch den Einsatz der KI erhält der Roboter die exakten Informationen um unerwünschte Pflanzenteile auszusortieren und die richtigen Ableger präzise zu entnehmen und zu platzieren.

Nachhaltigkeit und Umweltschutz im Fokus

Für Friederike von Rundstedt standen von Anfang an die Faktoren Umweltschutz und Nachhaltigkeit im Vordergrund: „Mit einer Einheit können wir bis zu zehn sterile Werkbankplätze ersetzen und Energie einsparen. Damit lohnt sich auch die Produktion vor Ort, Emissionen durch tausende Flugkilometer in günstige Produk­tionsländer werden vermieden.“ Durch das schnelle und gesunde Wachstum der präzise geschnittenen Pflanzenableger wird auch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im nachgelagerten Produktionsprozess erheblich reduziert.

Bei mehr als fünf Milliarden in-vitro-produzierten Pflanzen und einem jährlichen Wachstum von 12 % ist der globale Bedarf enorm. „RoBoCut ist eine Lösung, die auf dem Markt dringend erwartet wird“, ergänzt Stephan von Rundstedt.

So können künftig auch solche Pflanzen, die noch nicht in-vitro-produziert werden, mit der gleichen Methode hergestellt werden – lokal, nachhaltig und in immer gleichbleibender Qualität. RoBoCut leistet damit einen aktiven Beitrag und blickt in die Zukunft: Schon jetzt geht das RoBoCut-Team der Frage nach, welche Prozesse in der Pflanzenbearbeitung zusätzlich automatisierbar sind.

 

Förderungen, Preise und der Blick in die Zukunft

Der Weg zu RoBoCut war aufgrund der hohen Komplexität nicht immer einfach – insbesondere in puncto KI und Software war zwischenzeitlich sogar ein kompletter Neustart nötig. „Doch trotz aller Herausforderungen sind wir nun an einem Punkt an dem wir sagen können: Es läuft. Es ist nicht länger eine Frage des ob, sondern wann wir an die Öffentlichkeit gehen“, berichtet Stephan von Rundstedt stolz.

Die deutschen Bundesministerien für Forschung, Landwirtschaft und Wirtschaft haben das Potenzial der Lösung schon früh erkannt und das Projekt mit Förderungen unterstützt. Das Projekt hat bereits hohe Wellen geschlagen: 2018 gewann RoBoCut den Taspo Award, einen wichtigen Innovationspreis der grünen Branche.

Zahlreiche international führende Pflanzenzüchter nahmen Kontakt mit Bock Bio Science auf und haben sich den Prototypen vor Ort in Bremen angesehen. 2019 wurde zudem der Bremer Umweltpreis an das Projekt RoBoCut verliehen – eine weitere Bestärkung für das Unternehmerehepaar. Ein erstes Preview-Video auf LinkedIn 2019 übertraf die Erwartungen der von Rund­stedts noch weiter – mehr als 12 000 Views und mehr als 1 000 sehr konkrete Anfragen zeigten den Unternehmern, welches Interesse auf dem Markt herrscht.

RoBoCut kann künftig auch eine entscheidende Rolle darin spielen, wirtschaftliche Effekte einer Ausnahme­situation wie der Covid-19-Pandemie abzufedern: So war der Nachschub an Jungpflanzen aus den produzierenden Ländern massiv während der Pandemie eingeschränkt – resultierend in deutlich erhöhten Preisen und schlechter Verfügbarkeit. „Wir hoffen mit dem System eine Trendwende einleiten zu können: Es muss sich wieder lohnen, vor Ort zu produzieren“, erläutert Friederike von Rundstedt.  rso

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