Um Rechenzeit zu sparen, wird nur eine Seite der Traktor-Hinterachse berechnet.

Um Rechenzeit zu sparen, wird nur eine Seite der Traktor-Hinterachse berechnet. (Bild: Cadfem)

Komplex und nur etwas für Spezialisten – das ist oft die vorherrschende Meinung, wenn es um Simulation geht. Das mag für High-End-Systeme vor einigen Jahren noch gegolten haben, doch heute lassen sich nach kurzer Einweisung schon vernünftige Ergebnisse erzielen. Das beweist Cadfem bei seiner Open House-Veranstaltungsreihe. ke NEXT testet den Service.

Der Medienwissenschaftler spricht von Lean-Back- und Lean-Forward-Medien – das bezieht sich auf die Sitzhaltung. Bei Fernsehen oder Radio ist der Zuschauer beziehungsweise -hörer passiv und kann sich zurücklehnen, bei interaktiven Medien wie dem Internet beugt sich der aktive Anwender nach vorn. Ähnlich ist es oft bei Präsentationen, bei denen der Vortragende mit Powerpoint-Folien hantiert und vielleicht eine kleine Live-Demo einstreut.

Cadfem hat sich ein ganz neues Format einfallen lassen, um Interessenten an die Simulation heranzuführen: das Open House.
Bei dieser Veranstaltungsreihe kann der Interessent aus zwölf Themen frei wählen und arbeitet dann gemeinsam mit einem Cadfem-Instruktor die Berechnung selbst durch. Die Themenbereiche erstrecken sich vom klassischen Festigkeitsnachweis einer Schweißbaugruppe oder an Kunststoffteilen über Maschinenschwingungen und Thermal Management bis zu Energieeffizienz und Lärmemission bei Elektromotoren sowie EMV in der Leistungselektronik, also über die gesamte Ansys-Produktpalette.

Ich hatte mich für die Festigkeitsberechnung an einem verschraubten Gehäuse eingeschrieben. Das Beispiel des Hinterachsgehäuses eines Traktors zeigt eindrucksvoll, welchen gewaltigen Vorteil Simulation bringen kann. AGCO Fendt, aus deren Traktor das Gehäuse stammt, betreibt eine Rüttelstrecke, auf der die Traktorenprototypen ein bis vier Wochen im Kreis fahren, um die Festigkeit aller Teile nachzuweisen.

Von den Kosten der Gussprototypen will ich hier gar nicht sprechen – alleine deren Beschaffung dauert vier bis sechs Wochen. Für die Simulation des Gehäuses benötigte Ansys nicht einmal drei Minuten – viel Zeitersparnis, die für Optimierungen und schnellere Markteinführung genutzt werden kann.

Man versucht, den Rechenaufwand möglichst gering zu halten, deshalb wird nur eine Hälfte des achssymmetrischen Gehäuses berechnet. Das Modell ist in kurzer Zeit in die Ansy-Workbench importiert und erzeugt dort ein Fenster, in dem die einzelnen Stufen der Simulation anwählbar sind. Für Multiphysiksimulationen lassen sich mehrere Simulationen laden und mittels Pfeilen verbinden – dann dienen die Ausgangsdaten einer Simulation als Eingangsgrößen für die andere. Ein Beispiel hierfür wäre eine Strömungssimulation, die Drücke errechnet, die dann wiederum zur Festigkeitsberechnung eines Behälters genutzt werden.

Einfache Bedienung

Mit Hilfe einer Betreuerin konnte ich recht schnell die Randbedingungen vergeben – Vorspannkräfte der Schrauben, Last und eine Symmetriebedingung, die dem System sagt, dass noch eine andere Hälfte der Achse existiert. Die Bedienung ist, wenn man die vielen zur Verfügung stehenden Parameter bewusst übersieht, recht einfach. Das ist sehr gut gelöst bei Ansys: Die Komplexität ist vorhanden und der Simulationsprofi kann nahezu unbegrenzt Parameter einstellen. Diese sind jedoch mit sinnvollen Vorgabewerten vorbelegt, sodass der Gelegenheitssimulant diese Eingaben getrost stehen lassen kann und dann zu einem vielleicht nicht so genauen, aber tendenziell richtigen Ergebnis kommt.

Trotzdem muss man wissen, was man tut; hier führte das recht grobe Berechnungsnetz an einer Stelle dazu, dass die gemittelten und ungemittelten Spannungen um etwa 30 Prozent voneinander abwichen – es musste also nachvernetzt werden. Dass etwas nicht stimmt, war schon in der Regenbogenansicht deutlich, weil die Farbgrenzen, die unterschiedliche Spannungsniveaus anzeigen, innerhalb von Elementen wechselten. Das zeigt, dass die Elemente viel zu groß sind.

Verfeinerung des Netzes

Hinterachsgehäuse

Das Berechnungsergebnis zeigt die Spannungen am Hinterachsgehäuse detailliert an. Bild: Cadfem

Zur Verfeinerung des Netzes wählt man die entsprechenden Flächen der Geometrie aus und ändert dann die Vorgaben zur Vernetzung. In unserem Fall legten wir Elemente mit einem Millimeter Kantenlänge in eine Verrundung. Vor der Verfeinerung kopiert man im Projektmanager das Projekt, dann bleiben die ersten Ergebnisse zum Vergleichen erhalten. Das neue, feine Netz ergab ein Prozent Differenz.

Nun aber zeigte sich, dass die Spannungen in diesem Bereich zu hoch sind. Jetzt kommt SpaceClaim zum Einsatz, das CAD-System, das Ansys vor einiger Zeit gekauft hat. In SpaceClaim ist es eine Sache weniger Mausklicks, die Bohrung etwas vom Rand weg zu verschieben – ein neuer Rechenlauf zeigt, dass die Spannungen jetzt akzeptabel sind.

Nur wird man als Benutzer Bohrungen nicht beliebig verschieben können – meist hat sich der Konstrukteur etwas bei deren Platzierung gedacht – aber das Beispiel zeigte sehr schön, wie eine Überprüfung und eine Optimierung mit Hilfe von Simulationssoftware laufen kann. Dank SpaceClaim hat der Simulationsanwender die Möglichkeit, die Geometrie beliebig zu ändern und durchgerechnete Vorschläge zu bringen, wie man die Festigkeit eines Teils verbessern kann.

Sehr beeindruckt hat die Hardware. Die Berechnungen, immerhin mit 28 Schraubverbindungen und einer komplexen Gussgeometrie, liefen auf HP-Notebooks vom Typ ZBook 15 sehr flott.

Es ging weiter mit einer Vergleichsstudie zur Schraubenvorspannung, die zeigte, dass weniger Vorspannung nicht bedeutet, dass die Schrauben weniger belastet sind. Ein letzter Ausflug zeigte die Fähigkeiten der Optimierungssoftware Optislang, mit der sich statistische Auswertungen über ganze Parameterfelder berechnen lassen.

Fazit

Mit dem OpenHouse hat Cadfem ein Veranstaltungsformat gefunden, das an einem halben Tag großen Erkenntnisgewinn bringt – das war auch den anderen Teilnehmern anzumerken. Sehr positiv fiel auf, dass zwar klar war, dass Cadfem mit der Veranstaltung neue Kunden gewinnen will, es aber zu keiner Zeit in eine Verkaufsveranstaltung abkippte. Cadfem betreibt übrigens auch einen eigenen Youtube-Channel, auf dem eine Vielzahl von Videos zu finden sind, in denen das Vorgehen bei verschiedenen Simulationen erklärt wird. Dort findet sich vieles von den Inhalten des OpenHouse in ähnlicher Form wieder.

Autor: Ralf Steck, freier Autor für ke NEXT

 

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