DR-19E,  von Hänssler.

Der DR-19E des Delta Racing Teams mit Technologie von Hänssler. (Bild: Sascha Rüffler, Hänssler, Medienpalast)

Beim Bau eines Rennboliden ist das Einsparen von Gewicht die Königsdisziplin – parallel zur ständigen Leistungssteigerung. Auf der Suche nach alternativen Materialien zu Aluminium hat sich deshalb Delta Racings Projektleiter David Laier vor einigen Monaten an das Unternehmen Hänssler Kunststoff- und Dichtungstechnik gewendet. Geschäftsführer Sebastian Hänssler war von der ersten Sekunde an begeistert und sicherte dem Projekt jegliche Unterstützung zu. In der Rennwerkstatt hinterfragte man gemeinsam jedes bisher aus Metall hergestellte Bauteil: Welche Komponenten ließen sich sinnhaft aus alternativen Werkstoffen fertigen? Dabei rückte unter Anderem das Hauptgehäuse des Getriebes in den Fokus.

Was für Polyetheretherketon (PEEK) sprach...

Getriebegehäuse aus PEEK,
Fertige Getriebegehäuse aus PEEK für beide Seiten. (Bild: Sascha Rüffler, Hänssler, Medienpalast)

Die Aufgabe des betreffenden Bauteils ist die Aufnahme aller beweglichen Komponenten und die Abführung der Kräfte, die bei der Drehmomenterzeugung entstehen. Außerdem dient es als Schutz der Zahnräder sowie als Ölreservoir für die nötige Schmierung. Schnell wurde den Ingenieuren klar, dass der größte Teil der Kräfte durch Aluminiumplatten abgefangen werden musste, wodurch ein zweiteiliges Getriebegehäuse entstehen würde. Da dennoch ein Teil der Kräfte in Form der Stützlagerung über das Gehäuse geleitet wird, empfahl Sebastian Hänssler, für diesen Einsatz den thermoplastischen Hochleistungskunststoff Polyetheretherketon (PEEK) einzusetzen.

Was PEEK zu einem Ausnahmekunststoff macht...

Gehäuse aus PEEK,
Gehäuse aus PEEK (rot) am komplett neu designten Antriebs des DR-19E. (Bild: Sascha Rüffler, Hänssler, Medienpalast)

Der Hochleistungskunststoff sollte in der natürlichen, elfenbeinfarbenen Variante eingesetzt werden. Mit einer Schmelztemperatur von über 300 Grad Celsius und sehr hoher Festigkeit und Zähigkeit trotzt das Material auch härtesten Rennbedingungen. Seine gute Chemikalienbeständigkeit ist zwingend nötig, da das Thermoplast dauerhaft mit dem zur Schmierung benötigten Öl in Kontakt steht. Gleichzeitig begeistert PEEK durch seine hervorragende Zerspanbarkeit, vorausgesetzt Werkzeuge und Spannmittel sind optimal auf den Kunststoff abgestimmt. Der Einsatz des Kunststoffs erforderte die Entwicklung einer neuen Gehäuseform. Gemeinsam mit Sebastian Hänssler und Produktionsleiter Alexander Weber entstand, ausgehend von den Grundmaßen, eine neue, optimierte Gehäuseform. Das Delta Racing Team nahm die Beratungsleistung der Kunststoffprofis gerne in Anspruch. „Alleine wären wir nicht in der Lage, die Konstruktionsoptimierung so durchzuführen. Seit über 30 Jahren liegt Hänsslers Schwerpunkt auf der Kunststoff- und Elastomerverarbeitung. Wir haben großes Vertrauen in das Team“, so Mario Schneider, Konstrukteur des Getriebes bei Delta Racing.

Leichtbau-Konstruktionsteile aus Hochleistungskunststoffen - Quelle: Hänssler Kunststoff- und Dichtungstechnik GmbH

Jeder technische Kunststoff bringt Herausforderungen bei der Verarbeitung mit sich. So sind auch die Toleranzen von
Metall nicht einfach übertragbar. Selbst PEEK dehnt sich bei Wärme weiter aus als Aluminium. Für das Gehäuse des Getriebes bedeutete das in diesem Fall, dass die Kugellager aus deren Aufnahme wieder herausfallen würden. Die Lösung brachten mit ENSAT-Gewindebuchsen verstärkte Bohrungen, die eine Kugellageraufnahme aus Aluminium ermöglichten. Auf diese Weise bekamen auch die Lager einen sicheren Halt. Die Gewindeeinsätze ermöglichen eine optimale Verschraubbarkeit und erlauben zudem mehrfaches Demontieren. Bei gleichzeitig minimalem Materialverbrauch galt es nun, die maximale Steifheit zu erzielen. Das hänsslereigene Ingenieurbüro empfahl den Einsatz von Verrippungen. Die Stege sollten exakt zwischen den Verschraubungspunkten platziert werden. Eine Maßnahme, die sich später als erfolgreich erwies.

Gehäusefertigung: So lief das Prototyping ab

Um keine Risiken bei der Fertigung des Gehäuses aus PEEK einzugehen, entschied man, einen Prototyp aus deutlich günstigerem Polyoxymethylen (POM) zu fertigen, das ebenfalls gute Zerspanungseigenschaften besitzt. Im modernen 5-Achs-Bearbeitungszentrum wird luftgekühlt zerspant. Dabei werden die optimalen Fräser für die spätere Bearbeitung des PEEKs festgelegt. Zur Vermeidung eines etwaigen Versatzes zwischen den einzelnen Werkzeugen werden diese genau vermessen und bei der Herstellung des Prototyps aufeinander eingestellt. Zugleich wird die benötigte Fertigungszeit berechnet. Sie ist entscheidend für den Cost-Report des Delta Racing Teams und hilft bei der Einplanung in die genau getaktete Hänssler-Fertigungssteuerung. Der Prototyp wurde testweise im Rennwagen verschraubt. Alles passte! Der tatsächliche Fräsvorgang konnte also starten. Allerdings nur fast, denn ein Filmteam hatte sich angemeldet, um während des Zerspanens einen der neuen Hänssler Imagefilme zu drehen. Ein guter Grund, das Getriebegehäuse zum Hauptdarsteller zu machen.

Kunststoff vs. Aluminium: Große Gewichtsreduktion...

Vor dem finalen Einbau des Getriebegehäuses wurden in der neu eröffneten Hänssler-Qualitätssicherung 2 mittels Zeiss-Koordinatenmessmaschine ein letztes Mal alle Maße und Toleranzen geprüft. Daraufhin wurde die Freigabe erteilt. Es stellte sich schließlich noch die finale Frage: Haben sich alle Mühen gelohnt? Gewissheit über die tatsächliche Gewichtseinsparung brachte schließlich die Digitalwaage. Das Bauteil aus Aluminium von 1110 Gramm konnte nun durch das neue Getriebegehäuse aus PEEK von nur 520 Gramm ersetzt werden. Eine Gewichtsreduktion von über 45 Prozent bei nur diesem Bauteil! Im Rennwagen DR-19E wurde das Gehäuse gleich doppelt verbaut. Ein voller Erfolg und weiterer Beweis, dass Hochleistungskunststoffe aus dem Bereich des Leichtbaus nicht mehr wegzudenken sind. aru

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