Hochschule Reutlingen - Entgraten

Ungewünschte Grate sind bei der spanenden Bearbeitung keine Seltenheit. (Bild: Hochschule Reutlingen)

Durch die Gestaltung der Schneidengeometrie kann der Schnittprozess beeinflusst werden. Bei der Bearbeitung werden ein Überrollgrat am Eintritt der Schneide in eine Bohrung und ein Poissongrat am Austritt unterschieden. Der Überrollgrat ist in der Regel deutlich größer als der Poissongrat. Während beim Überrollgrat die Materialverdrängung und Vorschubrichtung gleichgerichtet sind, fließt das Material beim Poissongrat durch die radiale Kraft entgegen der Vorschubrichtung in die Bohrung zurück.

Unterschiedliche Entgratverfahren

Für das Entgraten können unterschiedliche Verfahren angewandt werden. Dabei kommt eine Zerspanung mit geometrisch bestimmter oder unbestimmter Schneide, das Strahlen mit abrasivem Medium, das Laserentgraten und das elektro- oder thermochemische Entgraten zum Einsatz. Das Bürsten ist beim Entgraten ein Verfahren mit relativ geringem anlagentechnischem Aufwand und kann sowohl in einem Bearbeitungszentrum als auch zum Beispiel durch einen Roboter in der Nebenzeit parallel zur Bearbeitung durchgeführt werden – durch moderne Schnellwechselsysteme mit Entgratspindeln während der Hauptzeit der Maschine. Der innerhalb weniger Sekunden stattfindende Wechsel des Entgrataggregates zu einem Greifer ermöglicht die Handhabung der Werkstücke zwischen der Maschine und der Teilezuführung.

Beim Bürsten kommen grundsätzlich unterschiedliche Formen zum Einsatz: In Abhängigkeit von der Anwendung (außen, innen, ebene, gekrümmte Oberflächen) und dem Material gibt es Varianten zur Flach- und Bohrungsbearbeitung. Während Flach-, Teller-, Schaft-, Scheiben- und Rundbürsten für die Außenbearbeitung zum Einsatz kommen, werden für Bohrungen Innenbürsten mit unterschiedlichen Besatzmaterialien verwendet. Als Besatzmaterial werden Stahl- und Abrasivborsten mit Silizumkarbid oder Aluminiumoxidkorn verwendet. Die biegsamen Wellen gleichen den Rundlauf und Positionsunsicherheiten aus.

Beim Fräsen und Bohren erzeugen starre Werkzeuge mit definierter Schneidengeometrie, beim Schleifen starre Werkzeuge mit stochastischer Schneidengeometrie den Abtrag am Werkstück. Beim Bürsten sind die Borsten sehr flexibel. Dadurch wirken nur geringe Kräfte zwischen Schneide und Werkstück. Bei der Bearbeitung von Bohrungen werden Bürsten verwendet, die einen etwas größeren Durchmesser als die Bohrung selber besitzen. Durch das Übermaß der Bürsten werden die Vorspannung und damit der Anpressdruck an der Oberfläche beeinflusst. Diese Vorspannung führt proportional sowohl an der Bohrungsoberfläche als auch den Kanten zur Oberfläche zu Materialabtrag.

Durchgeführte Versuche

Bei den durchgeführten Versuchen wurden speziell entworfene Testwerkstücke mit einer kleineren und einer größeren Querbohrung (6,6 und 15,4 Millimeter) verwendet. Die Entgratbohrungen besaßen zur Beeinflussung der Vorspannung unterschiedliche Durchmesser (9,4; 9,7 und 10 Millimeter) bei einem Bürstendurchmesser von 11 Millimeter. Bei einer gedrehten Bürste sind mit Abrasivpartikeln besetzte Borsten in einen im Zentrum befindlichen Trägerdraht eingedreht. Bei der Alpha-Hon-Bürste sorgen kugelförmige kunstharzgebundene Schleifpartikel an den Borstenenden für den Materialabtrag am Werkstück.

Entgraten - Bürsten
Versuchsdurchführung "Bürsten und Probenkörper" - Versuchswerkstücke mit speziellen geometrischen Konturen. (Bild: Hochschule Reutlingen)

 

Bei der Bearbeitung der Werkstücke wurden die Parameter Drehzahl, Schnittgeschwindigkeit, Vorschubgeschwindigkeit und Eingriffszeit, Korngröße und Vorspannung variiert. Aus den Ergebnissen kann abgeleitet werden, dass die Anzahl der Borsten-Eingriffe auf der Oberfläche proportional zu dem Abtrag ist. Bei gleicher Bearbeitungszeit steigt der Abtrag bei höherer Drehzahl ebenso wie zu der reduzierten Vorschubgeschwindigkeit bei gleicher Drehzahl. Während bei niedrigen Drehzahlen größere Körner einen größeren Abtrag besitzen, ändert sich dies bei höheren Drehzahlen. Auch dort wird vermutet, dass die Anzahl der Schneiden bei höheren Drehzahlen unter Fliehkrafteinwirkung eine stärkere Rolle spielt.

Beim Einfluss der Vorspannung zeigt sich, dass mit zunehmender Vorspannung der Abtrag steigt. Bei Versuchen konnte die radiale Andruckkraft in Abhängigkeit von der Vorspannung ermittelt werden. Die Alphahonbürsten besitzen aufgrund ihres Aufbaus insgesamt einen deutlich niedrigeren Anpressdruck. Erst bei recht hohen Vorspannungen steigt dieser überproportional an. Bei den gedrehten Bürsten stützen sich die einzelnen Borsten gegenseitig ab, sodass das Ausknicken deutlich steifer ist. Bei 15 Prozent Vorspannung ergibt sich eine Anpresskraft von 800 Newton bei einer 60 Millimeter-Bürstenlänge.

Fazit

Es konnte ermittelt werden, dass der Materialabtrag durch das Bürsten bei Variation unterschiedlicher Parameter gezielt beeinflusst werden kann. Der Abtrag an sich verschneidenden Bohrungen ist durch eine gezielte Prozessführung mit hoher Zuverlässigkeit möglich. Dabei lässt sich der entstehende Abrieb in der Regel durch Absaugung oder Abblasen eliminieren. Die Serientauglichkeit des Verfahrens ist hinsichtlich der Standzeiten noch ein offener Punkt. Die Flexibilität der Bürsten ermöglicht den Einsatz auch an maschinennachgelagerten Positionen – zum Beispiel an einem Rüstplatz außerhalb des Arbeitsraums – in Kombination mit einem Roboter. Es hat sich gezeigt, dass die Gratentfernung bei Aluminium durch eine gezielte Wahl der Prozessparameter zuverlässig realisiert werden kann. Bei Stahlbauteilen müssen noch weitere Versuche durchgeführt werden, da dort die Gratgröße und der Abtrag noch nicht ausreichend abgesichert ist. bf

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