TU München - Hipercomp

Prof. Karsten Stahl vom Lehrstuhl für Maschinenelemente der TU München neben dem Prüfstand zur Erprobung der Zahnradtragfähigkeit. (Bild: ke NEXT)

Ob mobile Maschine oder Windkraftanlage: Kern jedes Antriebssystems sind Lager und Getriebekomponenten, wie zum Beispiel Zahnräder und Wälzlager, die wegen ihrer hohen Belastung zumeist aus Stahl gefertigt werden. Lange Zeit hat die Forschung bei der Entwicklung von Stahlwerkstoffen deshalb besonderes Augenmerk darauf gelegt, die Festigkeit des Materials zu erhöhen. Das ging jedoch auf Kosten der Schadenstoleranz. Schon kleinste, bei der Stahlherstellung unvermeidliche Schlackeeinschlüsse, sorgten für Bauteilschäden, wie zum Beispiel Mikrorisse – bis hin zum Bruch des Zahns. Professor Karsten Stahl, Lehrstuhlinhaber des Lehrstuhls für Maschinenelemente an der TU München, erklärt: „Ein Bruch entsteht durch Überschreitung der örtlichen Zahnfußfestigkeit und kann also entweder durch die Beanspruchung von außen oder durch die Beanspruchbarkeit, also die Leistungsfähigkeit des Werkstoffs, beeinflusst werden. Hier können innovative Werkstoffkonzepte helfen, die Schadenstoleranz gegen diese Schadensart zu erhöhen.“

Neue Werkstoffrezeptur

Hipercomp - TU München
Deutlich sichtbar sind die Anrisse im Bauteil. (Bild: ke NEXT)

„High Performance Components – Innovative Konzepte zur Steigerung der Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit hochbeanspruchter Bauteile“: So lautete deshalb der volle Titel eines Teams aus vier Forschungseinrichtungen: der Forschungsstelle für Zahnräder und Getriebebau (FZG) am Lehrstuhl für Maschinenelemente der TU München, dem Institut für Eisenhüttenkunde der RWTH Aachen, dem Lehrstuhl für Werkstoffkunde (WKK) an der TU Kaiserslautern und dem Institut für Werkstofftechnik (IWT) an der Uni Bremen. Bereits 2015 wurde das Projekt mit dem Stahl-Innovationspreis ausgezeichnet. Für Karsten Stahl liegt der Grund mitunter im hohen Nutzen für den Maschinenbau: „Die Ergebnisse des Projekts Hipercomp zeigen Potenziale auf, die den Konstrukteur in die Situation versetzen, abhängig von seiner individuellen Anwendung den optimalen Werkstoff wählen zu können. Beispielsweise in einer Windkraftanlage mit einer erwarteten Lebensdauer von 30 Jahren geht es um die Dauerfestigkeit, in einem PKW oder einer landwirtschaftlichen Maschine geht es sicherlich mehr um eine betriebsfeste Auslegung. Das heißt, hier wäre ein Anriss zulässig, aber der Rissfortschritt darf auf keinen Fall zu einem Zahnbruch führen.“

Das Geheimnis liegt für Stahl in der Rezeptur: „Während es früher hieß, dass der Bestandteil an Aluminium oder Kupfer begrenzt sein muss, konnten wir zeigen, dass durch eine Erhöhung von Aluminium oder Kupfer besondere Eigenschaften des Werkstoffes erst erreicht werden können. Das eröffnet Möglichkeiten einer weiteren Werkstoffentwicklung und damit eine bessere Anwendung in der Antriebstechnik“, so Stahl.

Für die Einstellung der Werkstoffmatrix griff das Team auf klassische Mechanismen zur Festigkeitssteigerung aus anderen Anwendungsbereichen zurück: Zum Beispiel auf die Ausscheidungshärtung und den Transformation-Induced-Plasticity-Effekt (TRIP), die durch das Zulegieren von Kupfer, Aluminium, Silizium und Niob hervorgerufen werden. Diese Elemente sind kostengünstig und weitreichend verfügbar. So eröffnet etwa der Einsatz kupferhaltiger Stähle die Möglichkeit, zukünftig auch kupferhaltigen Stahlschrott aus Recyclingprozessen als Rohmaterial einzusetzen.

„Wir haben unterschiedliche Werkstoffrezepturen hinsichtlich der Schadenstoleranz in Prüfständen experimentell untersucht. So haben wir in Pulsator- und Zahnradlaufversuchen die Tragfähigkeit erprobt und festgestellt, wie empfindlich unterschiedliche Werkstoffkonzepte auf erste Anrisse reagieren“, erklärt Stahl. Durch die Einstellung eines Materialzustands mit möglichst hohem Verfestigungsvermögen konnte das Team schließlich die Schadenstoleranz steigern. Lokale Verformung des Werkstoffs im Bereich von Einschlüssen führt so zu einer starken Verfestigung an den versagenskritischen Positionen der Bauteile. Das wiederum stoppe am Ende die Entstehung von Rissen und die Rissausbreitung, so Karsten Stahl: „Mit den Ergebnissen von Hipercomp konnten wir zeigen, dass sich die Zahnfußtragfähigkeit beispielsweise um circa zehn Prozent gegenüber dem heutigen Stand der Technik erhöhen lässt. Das sind Potenziale, die natürlich extrem wichtig für die Antriebstechnik sind.“

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