Hart im Nehmen: Zwischen den Wüsten Taklamakan und Gobi steht die von Catum Engineering entwickelte

Hart im Nehmen: Zwischen den Wüsten Taklamakan und Gobi steht die von Catum Engineering entwickelte 2-MW-Anlage, in der Uniflex Pitch für die sichere Position der Rotorblätter sorgt. Die WEA müssen extremen klimatischen Bedingungen standhalten und sind daher für einen Betriebstemperaturbereich von -20 °C und 40 °C (Überlebenstemperaturbereich von -30 °C bis 50 °C) ausgelegt. (Bild: SBB Wind Systems)

Elektrische Pitchsysteme müssen individuell und mit hohem Zeitaufwand an die jeweilige WKA angepasst werden. Trotzdem ist es SSB Wind Systems gelungen, ein modulares Systemkonzept und schließlich das weltweit erste universelle Pitchsystem zu entwickeln. Den hohen Performance Level haben der TÜV Nord und ein weiterer Zertifizierer bestätigt.

Es ist eine der wichtigsten Funktionen von elektrischen Pitchsystemen: die Rotorblätter einer Windenergieanlage (WEA) zu jeder Zeit in die sichere Fahnenpositionen bewegen, um eine Rotorüberdrehzahl zu verhindern. Als sicherheitsrelevante Komponente müssen elektrische Pitchsysteme deshalb vielfältige Anforderungen erfüllen. Dazu kommt: Die Entwicklung ist komplex; denn ein elektrisches Pitchsystem ist kein Serienprodukt, das in einer teil- oder vollautomatisierten Fertigung hergestellt werden kann. Vielmehr müssen die Konstrukteure und Ingenieure derartige Systeme wegen der unterschiedlichen Windenergieanlagen-Designs individuell und mit hohem Zeitaufwand an die verschiedenen Anlagentypen anpassen. Dennoch hat es sich das Salzbergener Unternehmen SSB Wind Systems vor einigen Jahren zur Aufgabe gemacht, ein universelles Pitchsystem für Windkraftanlagen zu konzipieren. Durch die Analyse einer Fülle an bisherigen Kundenanforderungen entstand daraufhin ein modulares Systemkonzept und schließlich mit Uniflex Pitch das weltweit erste universelle Pitchsystem.

Der Bauraum variiert von Anlage zu Anlage

Rotornabe

Der Performance Level d wurde für die Hard- und Software von Uniflex Pitch, hier das System in der Rotornabe, von einem unabhängigen Zertifizierer bestätigt. Bild: SBB Wind Systems

Doch zunächst erst einmal zurück zu den Anforderungen an elektrische Pitchsysteme: Eine zentrale Kenngröße ist die Performance der Pitchantriebe. Jeder Kunde hat hier spezifische Anforderungen, insbesondere hinsichtlich des erforderlichen Drehmoments und des hierzu notwendigen Drehzahlverhaltens. Zusätzlich muss man den vorhandenen Bauraum in der Rotornabe berücksichtigen, weil dieser von Anlage zu Anlage variiert und das mechanische Design der Steuerschränke für das Pitchsystem beeinflusst. Steuerschränke für Pitchsysteme sind somit keine Katalogartikel, sondern in der Regel maßgeschneiderte Sonderlösungen für einen entsprechenden Anlagentyp. Bereits in der Designphase muss man deshalb spezifische Auslegungskriterien wie Rotation, Dauerschwingungen und sonstige Krafteinleitungen beachten.

Aus diesem Grund werden für alle Schaltschränke unter Berücksichtigung der allgemeingültigen Belastungswerte FEM-Modelle angefertigt. Die Validierung solcher Modelle geschieht anhand von Steuerschrank-Prototypen, die man Schock- und Vibrationsprüfungen unterzieht. Solche beschleunigten Lebenszeittests zeigen in der Regel sehr schnell, ob die zuvor getroffenen Designannahmen korrekt waren, oder ob Anpassungen notwendig sind. Ein weiteres Prüfverfahren ist der sogenannte Dauerrotationstest, der die Einleitung definierter Querkräfte ermöglicht. Auf einem Rotationsprüfstand lässt sich somit sehr genau das Betriebsverhalten eine Gesamtsystems simulieren. Zusätzlich zu solchen Tests müssen spezifische Umweltbedingungen im Hinblick auf den zukünftigen Standort einer Windkraftanlage ins Kalkül gezogen werden. Diese Bedingungen werden nicht allein in der theoretischen Designauslegung betrachtet, sondern ebenfalls von Tests flankiert, in denen sich sowohl Extremtemperaturen als auch sich wechselnde Temperaturbedingungen nachstellen lassen. Bei zukünftigen Offshore-Standorten von Windkraftanlagen sind dann gegebenenfalls noch zusätzliche Salzsprühnebeltests erforderlich.

Exponierter Bereich für Blitzeinschläge

Das elektrische Pitchsystem einer Windkraftanlage befindet sich zudem in einem exponierten Bereich für Blitzeinschläge, der entsprechende Schutzsysteme erforderlich macht. Können alle Komponenten eines solchen Systems in der Rotornabe untergebracht werden, lässt sich der Effekt des faradayschen Käfigs als Primärschutz nutzen. Wenn nicht, werden zusätzliche Maßnahmen für einen Überspannungsschutz notwendig. Schließlich muss ein elektrisches Pitchsystem in die Konfiguration der Gesamtanlage eingebunden werden, also sowohl in das Sicherheitssystem als auch in das Kommunikationskonzept einer WEA.

Und wie hat SSB Wind Systems es bei solchen Anforderungen nun geschafft, das weltweit erste universelle Pitchsystem mit Namen Uniflex Pitch zu schaffen? Erreicht hat das Unternehmen dies vor allem durch den Einsatz weitestgehend standardisierter Komponenten, welche die Entwicklungszeiten und damit auch den Aufwand für kundenspezifische Anpassungen von Pitchsystemen erheblich verkürzen. Prototypen sind somit wesentlich schneller verfügbar.

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Drei Fragen an den Autor Ronald Horstjan, Director Engineering, SSB Wind Systems

Dipl.-Ing. (FH) Ronald Horstjan

Dipl.-Ing. (FH) Ronald Horstjan. Bild: SBB Wind Systems

Wie lange hat Ihr Prozess der Standardisierung von Uniflex Pitch gedauert?
Die Standardisierung hat, einschließlich der Validierung – unter anderem eingehende Schock- und Vibrations- sowie EMV- und IP-Schutzklassentests – rund 15 Monate gedauert.

Könnten Sie bitte ein Beispiel nennen, das zeigt, wie viel sich mithilfe Ihres Systems sparen lässt?
Die Projekte zur Entwicklung und Realisierung von elektrischen Pitchsystemen sind zu unterschiedlich, als dass man ein repräsentatives Beispiel nennen könnte. Prototypen sind aber nun wesentlich schneller verfügbar, und für Serien werden sich nach unserer Einschätzung die Lieferzeiten wohl halbieren.

Für welche Länder eignet sich Uniflex Pitch dank seiner Zulassungen?
Uniflex lässt sich weltweit einsetzen und verfügt unter anderem über die Zulassung gemäß UL 508C und CSA C22.2 No. 14-10. Es handelt sich dabei um die nordamerikanischen Normen für Leistungsumrichter. Neben dieser Einzelzulassung, die eine Nutzung von Uniflex in Kanada und den USA ermöglicht, besitzt SSB Wind Systems ebenfalls ein Panel Shop Listing gemäß UL 508A. Damit können industrielle Schaltschränke (zum Beispiel Top- und Towerboxen) eigenständig gelabelt werden, und der Aufwand für eine Zertifizierung wird erheblich reduziert. aru

Zulassungen und Zertifizierungen

Aus konstruktiver Sicht standen bei der Entwicklung von Uniflex Pitch vor allem die Antriebslösung und das Schrankdesign im Fokus. So fand das Team nach umfangreichen Analysen eine Antriebslösung, die einen Großteil der unterschiedlichen Kunden- und Projektanforderungen abdeckt. Auch das neue Schrankdesign wird den vielfältigen Anforderungen eines universellen Pitchsystems gerecht, obwohl das Team bei der Entwicklung eine große Anzahl an Anlagentypen betrachten und gleichzeitig die für die Integration eines Pitchsystems zwingend notwendigen Schrankdimensionen berücksichtigen musste. Da die elektrischen Pitchsysteme weltweit eingesetzt werden, konzipierte das Team ein Schrankdesign, das sich an jedem Ort mit möglichst geringem Einsatz von Werkzeugen produzieren lässt.

Um die hohe Zuverlässigkeit von Uniflex Pitch für den Einsatz in Europa und den internationalen Märkten zu bestätigen, hat das Team von SSB Wind Systems mögliche Zulassungen und Normen identifiziert: Mit Blick auf den weltweiten Einsatz erhielt Uniflex Pitch unter anderem die Zulassung gemäß UL 508C und CSA C22.2 No. 14-10. Diese Normen gelten für Leistungsumrichter in den USA und Kanada. Das System wurde dabei als Recognized Component zugelassen, da das Pitchsystem lediglich für einen bestimmten Einsatzfall in einer WEA-Nabe konzipiert ist. Für die europäischen Märkte ist zunächst das Einhalten der Niederspannungs- und EMV-Richtlinien relevant, mit entsprechenden Konformitätserklärungen – unter anderem für Niederspannungsschaltanlagen gemäß EN 60204-1 sowie EN 61439-1.

Hohe Zuverlässigkeit der Umrichter

Schaltschrankkonfiguration

Blick in die Schaltschrankkonfiguration: Elektrische Pitchsysteme sind keine Serienprodukte, die sich in einer teil- oder vollautomatisierten Fertigung herstellen lassen. Bild: SBB Windsystems

Die seit Anfang 2012 gültige Maschinenrichtlinie DIN EN ISO 13849-1 verpflichtet Maschinenhersteller dazu, eine Risikoanalyse durchzuführen, wobei identifizierte Risiken auf ein tolerierbares Restrisiko zu bringen sind. Müssen hierzu Teile einer Maschinensteuerung Sicherheitsaufgaben übernehmen, so bezeichnet die Richtlinie diese auch als „Sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen“ (auf Englisch: Safety-Related Parts of Control Systems, kurz: SRP/CS). Sind die Risiken gemäß der Analyse sehr hoch, müssen die SRP/CS einen hohen Performance Level (PL) erfüllen. Die in der DIN EN ISO 13849-1 definierten PL sind in fünf Abstufungen unterteilt (a bis e), wobei der PL e der höchsten Sicherheitsstufe entspricht.

Der in diesem Zusammenhang wichtigste Bestandteil der zu betrachtenden Sicherheitskette beim UniFlex Pitch war der Umrichter (MPC) der AC-Pitchmotoren, die eine Embedded-Software integrieren. Diese Umrichter-Software sowie die Hardware wurden nach den hierfür gültigen Sicherheitsnormen geprüft. Die Analyse und Bewertung führte schließlich zu dem Ergebnis, dass sowohl für die Hard- als auch Software der Performance Level d eingehalten wird. Dass die erforderliche Sicherheitskette – also die Rotorblätter zu jeder Zeit in die sichere Fahnenposition zu bewegen – bei Uniflex Pitch den Anforderungen für einen Performance Level d entspricht, hat auch der TÜV Nord bestätigt.

Bestätigt wurde dieser Performance Level außerdem von einem unabhängigen Zertifizierer: Der chinesische Hersteller von Motoren und Generatoren Lanzhou Electric Corporation (LEC) hatte vor zwei Jahren das Lübecker Ingenieurbüro Catum Engineering mit der Entwicklung einer kompletten 2-MW-Anlage beauftragt. Dabei musste Catum internationale Normen und Richtlinien erfüllen. Schließlich entschieden sich das Ingenieurbüro und der chinesische Hersteller für Uniflex Pitch als Bestandteil der neuen Anlagengeneration. Mit Erfolg: Das vollständige Design der 2-MW-Anlage

erhielt vom DEWI-OCC Offshore and Certification Centre die Zertifizierung gemäß IEC 61400-1:1999-02 ed2.0 (Auslegungsanforderungen zur Gewährleistung der technischen Integrität von Windenergieanlagen) sowie der mitgeltenden Norm DIN EN ISO 13849-1, 2008-12 für das Sicherheitskonzept der Gesamtanlage inklusive des Pitchsystems. aru

Dipl.-Ing. (FH) Ronald HorstjanAutor: Ronald Horstjan, SSB Wind Systems

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