Integrated Drive Systems: Siemens hat neben den Umrichtern auch eine große Zahl passender

Integrated Drive Systems: Siemens hat neben den Umrichtern auch eine große Zahl passender High-Voltage-Motoren und Transformatoren im Portfolio. (Bild: Siemens)

Motoren für Pumpen und Kompressoren im Öl- und Gasbereich gehören zu den Schwerstarbeitern unter den Antrieben. Wenn sie beispielsweise ein langes Stück Pipeline bedienen müssen, bewegt sich die Motorleistung schnell im zweistelligen Megawattbereich. Um diese Leistungen bereitzustellen, rangieren die Antriebe hier mit 4160 bis 7200 Volt schon im anspruchsvollen Mittelspannungsumfeld. Ein Transformator zum Anschluss ans Hochspannungsnetz ist in der Regel ebenso nötig wie Maßnahmen zur Kühlung und zum Personenschutz.

flexibles Zellenkonzept

Flexibles Zellenkonzept: Jede Niederspannungszelle hat eigene Kondensatoren als Energie-Zwischenspeicher. Die Zahl der Zellen definiert die Ausgangsspannung. Bild: Siemens

Hinzu kommt: Der Antrieb ist in derartigen Anwendungen prozesskritisch, sein Ausfall meist fatal oder kostenintensiv. In den einschlägigen Spezifikationen der Kunden finden sich regelmäßig Anforderungen, den Motor samt Umrichter fünf Jahre am Stück und ohne Unterbrechung laufen zu lassen. Kein Wunder, dass Zuverlässigkeit in diesem Umfeld die Top-Liste der wünschenswerten Eigenschaften anführt.

Nach der sicherlich spannenden Wahl eines passenden Motors für die jeweilige Anwendung folgt die nicht minder interessante Auswahl eines passenden Umrichters. Mit dem wassergekühlten Sinamics Perfect Harmony GH150 hat Siemens nun ein frisches Pferd im Stall, das einen genaueren Blick wert ist.

Kleine Zellen für sanfte Kurven

Im Gegensatz zu Niederspannungsumrichtern gibt es im Mittelspannungsbereich eine ganze Menge von Umrichtertopologien: Drei- und Fünf-Level-NPCs, manche nutzen High-Voltage-IGBTs, andere IGCTs. Es gibt aber auch Mittelspannungsumrichterkonzepte, bei denen Niederspannungs-IGBTs verwendet werden, so wie sie auch bei Niederspannungsumrichtern zum Einsatz kommen.

Bypass-Switch

Zelle im Detail: Rechts im Bild ist der Bypass-Switch. Sollte einmal eine Zelle ausfallen, wird sie sofort kurzgeschlossen und so aus dem Verbund genommen. Im Rahmen der nächsten geplanten Wartung kann sie dann ersetzt werden. Bild ke NEXT/wk

Der Vorteil: Eine Niederspannungszelle erzeugt kleinere Spannungssprünge als ein Mittelspannungshalbleiter. Schaltet man nun eine ausreichende Zahl an Niederspannungszellen in Reihe, so lassen sich am Ausgang natürlich wesentlich kleinere Spannungsschritte schalten. Der Namensbestandteil „Perfect Harmony“ des GH150 weist bereits auf die sehr sinusförmige Ausgangsspannung hin – eine Eigenschaft, die gar nicht so viele Umrichter beherrschen.

Das führt zu einem deutlich besseren Ausgangsverhalten, was wiederum die Belastung von Kabeln und Motoren reduziert und sich damit positiv auf die Lebensdauer der Komponenten auswirkt. Beim GH150 kann zudem die Pulsigkeit zum Netz hin unabhängig von der Ausgangsspannung gewählt werden, was die Flexibilität weiter erhöht. Der Umrichter hat zudem einen klaren DC-Zwischenkreis, in den bei Bedarf ein Brems-Chopper integriert werden kann, falls eine Rückspeisung ins Netz nicht gewünscht ist.

Redundanz für den Dauerbetrieb

Das Multizellenkonzept bietet noch einen weiteren Vorteil: Sollte im laufenden Betrieb doch einmal eine einzelne Zelle ausfallen, sei es der Halbleiter oder auch die Ansteuerbaugruppe, so kann diese Zelle durch einen Bypass-Schalter einfach überbrückt werden. Der Umrichter läuft aber anstandslos mit reduzierter Leistung – je nach Gesamtzahl der Zellen nur geringfügig – weiter. Bei einem Schiffsantrieb zum Beispiel bedeutet das, dass das Schiff weiterfährt. Zwar etwas langsamer, aber es fährt.

ohne Verschraubung

Hier ohne Verschraubung und Kühlmittelschläuche: Alles ist leicht zugänglich und hat ein geringes Gewicht. Bei der Wartung können Zellen innerhalb weniger Minuten von Hand getauscht werden. Bild: ke NEXT/wk

Es gibt allerdings Fälle, in denen selbst ein geringfügiger Drehzahl- oder Drehmomentabfall nicht toleriert werden kann, etwa wenn chemische Prozesse präzise geregelt werden müssen. Hier kommt eine weitere positive Eigenschaft des Zellenkonzepts zum Tragen, die Möglichkeit, sehr einfach Redundanzen aufzubauen.

Das ist besonders bemerkenswert, da eine Redundanz mit Mittelspannungshalbleitern nur bei wenigen Topologien überhaupt realisiert werden kann. Sie umfasst dann in der Regel auch nur den Halbleiter. Anders beim GH150, hier sind auch Fehler in der Ansteuerung, im Kühlkörper, im Kondensator oder in der Zwischenkreisverschienung abgedeckt.

Beim Multizellenumrichter GH150 können über den tatsächlichen Bedarf an Ausgangsspannung hinaus zusätzliche Zellen eingebaut werden. Auf diese Weise werden nicht nur die Halbleiter redundant ausgelegt, sondern auch die Ansteuerbaugruppen und die Zwischenkreiskondensatoren.

Fällt nun eine Zelle aus, schließt der Bypass-Schalter sie sofort kurz, und eine andere Zelle übernimmt. Das geschieht so schnell, dass der Motor ohne Drehzahl- oder Momentenabfall weiterlaufen kann. Der Umrichter meldet die defekte Zelle, sodass sie bei der nächsten planmäßigen Wartung getauscht werden kann. Da die Zellen vergleichsweise klein sind, kann das auch von Hand erledigt werden, ein zusätzliches Hebezeug, wie man es bei schweren Mittelspannungsbauteilen braucht, ist nicht nötig.

Ein modulares Konzept befreit den Transformator

Gerade in Anwendungen, in denen wassergekühlte Umrichter zum Einsatz kommen, sind die Leistungen oft so groß, dass auch die Eingangsspannung der Transformatoren sehr hoch wird. Das hat zur Folge, dass die Transformatoren aus Sicherheitsgründen oder aufgrund ihrer hohen Verlustleistung in separaten Räumen oder im Freien aufgestellt werden müssen.

GH150

Die wassergekühlten GH150 decken Leistungsbereiche ab vier Megawatt ab. Der Trafo wird getrennt aufgestellt. Bild: Siemens

Da der GH150 einen zentralen Zwischenkreis hat, kommen klassische Diodeneinspeisungen zum Einsatz. Dadurch können zuverlässige Standard-Umrichtertransformatoren eingesetzt werden, die nicht mehr integraler Bestandteil des Umrichters sind. So können Art und Ort des Transformators frei gewählt werden, egal ob Öl- oder Trockentrafos, egal ob Spezialtrafos oder Standard-Umrichtertransformatoren. Das ermöglicht es, die Investitions- sowie die Betriebskosten möglichst klein zu halten.

Und nicht nur den Trafo kann man separat aufstellen. Auch das Control Cabinet, der Steuerungsschrank, ist als einzelnes Modul ausgeführt. Damit kann alles, was mit Mittelspannung zu tun hat, in einem separaten Bereich platziert werden, für den es auch strengere Zugangskontrollen gibt. Das Control Cabinet mit Display und Antriebsregelung kann im leicht zugänglichen Bereich bleiben. Für viele Wartungs- und Kontrolltätigkeiten reduziert das die Gefahr sowie der Geräuschpegel.

Global einsetzbar – sogar auf dem Wasser

Der Sinamics Perfect Harmony GH150 ist als General Purpose Drive ausgelegt, als Allzweckumrichter sozusagen. Diesem Anspruch trägt Siemens in vielerlei Hinsicht Rechung. Die Geräte sind nach allen gängigen internationalen Normen entwickelt, die Einspeisung ist auf Störlichtbogen getestet und trägt die Klassifizierung „IAC AFLR 25 kA, 0.5 s“.

Auch die relevanten Marine-Standards bezüglich Vibration oder Temperaturbelastung werden eingehalten. Siemens greift dabei auf die Erfahrungen mit dem Schwestermodell Sinamics GM150 zurück, der seit rund zehn Jahren erfolgreich bei vielen Marine- und Offshore-Applikationen zum Einsatz kommt.

Zu guter Letzt: Jeder sieht wohl den Trend zu globalen Produkten und Prozessen. Siemens kann als globaler Konzern auch den passenden weltweiten Service bieten. Da der Hersteller zudem eine ganze Reihe unterschiedlicher Umrichtertypen sowie Motoren, Getriebe und Transformatoren im Portfolio hat, kennen die Spezialisten dort die Vorteile und Nachteile der unterschiedlichen Topologien und können so auch beratend zur Seite stehen, wenn es darum geht, das passende System von Motor, Umrichter und Transformator auszuwählen. IDS nennt Siemens das: Integrated Drive Systems.

 

Im Gespräch mit Stephan Busse, Siemens

„Hohe Leistung, Zuverlässigkeit und Personensicherheit“

Für Mittelspannungsantriebe gelten besondere Anforderungen. ke NEXT sprach mit dem für den GH150-Umrichter zuständigen Produktmanager über Entwicklungen im Markt.

Stephan Busse

Der Elektrotechniker Stephan Busse ist seit gut fünf Jahren Product Manager Medium Voltage Drives bei Siemens in Nürnberg. Bild: keNEXT/wk

Herr Busse, was sind die wichtigsten Anforderungen Ihrer Kunden und wie haben sich diese in den letzten Jahren entwickelt?

Zum einen: Früher waren Stromzwischenkreisumrichter üblich, das hat sich schon seit mehr als zehn Jahren zu einem Spannungszwischenkreismarkt entwickelt. Zum anderen sehe ich einen Trend zu größeren Leistungen. Im Bereich Öl und Gas liegt das oft daran, dass die Strecken der Pipelines länger werden. Viele Anwender haben auch Erfahrung mit kleineren Leistungen gesammelt, positive Erfahrungen, und wagen sich nun an größere Leistungen heran. Außerdem wird das Thema Sicherheit immer wichtiger, Personensicherheit. Es wird also mehr auf störlichtbogengeprüfte Designs geachtet.

Was sind die wichtigsten Eigenschaften, die Kunden von Ihren Umrichtern erwarten? Qualität? Energieeffizienz?

Der wichtigste Aspekt ist die Zuverlässigkeit. Das Thema Qualität steckt da mit drin und je nach Einsatzbereich auch Redundanz. Die Antriebe, über die wir reden, sind prozesskritisch. Oft sind das Prozesse, die man nicht so einfach wieder anfahren kann, wenn man sie einmal gestoppt hat. Da hängen dann auch gleich enorme Kosten dran. Daher: Zuverlässigkeit. Dann folgen Netz- und Motorfreundlichkeit, Sicherheit, also ein störlichtbogengetestetes Design, sowie hohe Ausgangsfrequenzen für getriebelose High-Speed-Anwendungen. Und im Vergleich zu Festdrehzahlanwendungen kann durch den Einsatz von Umrichtern zur Regelung von Prozessen natürlich Energie eingespart werden.

Dank der Zellenstruktur liefert der GH150 eine sehr hohe Qualität der Ausgangsspannung. Perfect Harmony findet sich ja sogar im Produktnamen. Was sind die Vorteile eines sauberen Spannungsverlaufs?

Solche Umrichter lassen sich leichter integrieren. Sehen Sie, die Anlagen kosten als System im sechs-, eher siebenstelligen Bereich. Da ist es einfach Investitionssicherheit, wenn ich weiß, dass das Verhalten des Gerätes sowohl zum Motor als auch zum Netz hin problemlos ist. Ich kann die Pulsigkeit zum Netz unabhängig von der Ausgangsspannung wählen. Ich muss mir keine Gedanken wegen eines späteren Retrofits machen, weil es egal ist, welchen Motor ich an den Umrichter hänge. Je größer der Antrieb desto teurer ist er. Da ist es wichtig, das Integrationsrisiko zu minimieren.

Was sind die wesentlichen Unterschiede des neuen GH150 im Vergleich zum vielfach bewährten GH180?

Ich denke ein gutes Feature ist, dass es beim GH150 einen klaren Zwischenkreis gibt, in den ich bei Bedarf einen Brems-Chopper hängen kann. Beim GH180 ist jede Zelle mit dem Trafo verbunden, da war das nicht möglich. Außerdem hat der GH150 die Möglichkeit, den Trafo separat aufzustellen, das bietet mehr Flexibilität bei der Wahl des Aufstellungsortes. wk

 

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