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(Bild: Bernd Leitner - Fotolia/Festo)

Auf der Hannover Messe 2014 gab es am Stand von Festo einen kleinen Star, der fast mehr Bewunderer anzog, als der riesige humanoide Roboter, der bei Siemens mehrmals täglich eine von Nebelschwaden und epischer Musik begleitete Show hingelegt hat: ein künstliches Känguru hüpfte vor den Augen vieler Besucher in aller Ruhe seine Runden.

Auf den ersten Blick wirkt der Hüpfer – ganz platt gesagt – wie ein niedliches Kunststoff-Känguru. Schaut man aber genauer hin, erkennt man, dass seine Sprünge durch ein komplexes Zusammenspiel von elektrischen und pneumatischen Komponenten ermöglicht werden. Die Technik ahmt damit nicht nur die Bewegungsabläufe eines natürlichen Kängurus nach, sondern schafft es auch eine Besonderheit zu adaptieren, die die Natur dem Känguru mitgegeben hat. Eine Eigenschaft, um die die Industrie das Beuteltier beneidet: Kängurus springen nämlich energieeffizient. Das erreichen sie, indem sie die Energie eines jeden Sprungs zurückgewinnen, speichern und effizient für den nächsten Sprung einsetzen. Für das bionische Känguru von Festo gelten die gleichen Prinzipien – wenngleich auch unterstützt von einer Steuerung, Motoren, Zylindern und Ventilen.

Sprungablauf des BionicKangaroos von Festo

Der Sprungablauf des BionicKangaroos von Festo ist dem des natürlichen Kängurus nachempfunden – Energiespeicherung inklusive. Bild: Festo

Die Absprung- und die Flugphase

Vor dem ersten Sprung wird die elastische Sehne pneumatisch vorgespannt. Das BionicKangaroo verlagert seinen Schwerpunkt nach vorne und beginnt zu kippen. Sobald ein definierter Winkel bei entsprechender Winkelgeschwindigkeit erreicht ist, werden die pneumatischen Zylinder betätigt, die Energie aus der Sehne wird frei und das Känguru springt los. Um möglichst weit zu springen, zieht das Känguru in der Flugphase seine Beine nach vorne. Dabei entsteht ein Drehmoment an der Hüfte, den das künstliche Tier mit einer Schwanzbewegung ausgleicht. Dadurch bleibt der Oberkörper nahezu waagerecht.

Sprungkraft

Seine hohe Sprungkraft verdankt das Känguru vor allem seinen pneumatischen Antrieben. Bild: Festo

Die Landephase: Energie für den nächsten Sprung

Bei der Landung wird die Sehne wieder gespannt und somit die kinetische Energie des Sprungs in potenzielle Energie umgewandelt. Die Energie ist dadurch im System gespeichert und kann für den zweiten Sprung abgerufen werden. Die Landephase ist der entscheidende Vorgang für die Energierückgewinnung. Sie ist für das effiziente Sprungverhalten des Kängurus verantwortlich. Während dieser Phase bewegt sich der Schwanz Richtung Boden und damit wieder in seine Ausgangslage zurück.

Reduzierter Energieeinsatz in den folgenden Sprüngen

Springt das Känguru weiter, leitet es die gespeicherte Energie des vorherigen Sprungs direkt in den nächsten Sprung ein. Dabei kommt die potenzielle Energie aus der elastischen Sehne wieder zum Einsatz. Im richtigen Moment schalten die Ventile und der nächste Sprung beginnt. Auf diese Weise macht das BionicKangaroo mehrere Sprünge hintereinander. Soll es zum Stillstand kommen, muss es möglichst viel Energie absorbieren. Dazu werden die pneumatischen Aktoren entsprechend geschaltet und die Sehne wieder aktiv vorgespannt.

Funktionen

Alle Funktionen müssen auf engstem Raum untergebracht werden. Aufgerichtet misst das Känguru 100 Zentimeter, sitzend 60. Bild: Festo

Die Natur: das perfekte Vorbild

Damit bedient sich Festo einem Prinzip, dass schon seit Jahrhunderten von Wissenschaftlern eingesetzt wird: der Bionik. Bereits Leonardo da Vinci war ein großer Fan von der Idee, Anregungen für Technik in der Natur zu suchen. Er folgte dabei dem Grundsatz: „Der menschliche Schöpfergeist kann verschiedene Erfindungen machen, doch nie wird ihm eine gelingen, die schöner, ökonomischer oder geradliniger wäre, als die der Natur, denn in ihren Erfindungen fehlt nichts und ist nichts zu viel.“

Technik im Detail

Die Steuerung: CECC
CECC ist eine Kleinsteuerung der nächsten Generation: die leistungsfähige Prozessorik im Kleinsteuerungsbereich besitzt deutliche Reserven für Aufgaben, die weit in mechatronische Felder hineinreichen. Mit CECC können elektrische oder pneumatische Antriebe einfach angesteuert werden, speziell bei kleinen Aufgaben. Die Steuerung ermöglicht die Programmierung mit Codesys nach IEC 61131-3.
Die Steuerung kann über Canopen mit allen elektrischen Antriebscontrollern des Unternehmens kommunizieren und alle Ventilinseln ansteuern. Über Ethernet kommuniziert sie mit weiteren Steuerungen und Bediengeräten von Festo.
Im BionicKangaroo ist eine CECC-Steuerung mit Schnittstellen für Ethernet, CAN, RS232, RS 485, digitale IOs und IO-Link verbaut.

Steuerung

Mithilfe einer Steuerung, drei Motoren, zwei Zylindern und zwei Ventilen kann das BionicKangaroo bis zu 80 Zentimeter weit und 40 Zentimeter hoch springen. Bild: Festo

Die Ventile: MHE2
Mit Schaltzeiten von bis zu zwei Millisekunden werden die Schnellschaltprofis MHE2 von Festo den Anforderungen der modernen Automatisierung gerecht. Sie bieten Geschwindigkeit, Dynamik und Präzision.
Zwei dieser Magnetventile dosieren im BionicKangaroo exakt die Druckluft, dei für jeden Sprung benötigt wird. Betätigt werden sie elektrisch.

Die Zylinder: DSNUP 20
DSNUP 20 gehört zur Rundzylinderfamilie nach ISO 6432 mit Aluminiumrohr und Polymer-Deckeln von Festo. Verfügbar sind sie in den Baugrößen 16, 20 und 25 mit Schwenkbefestigung im Abschlussdeckel. Geeignet sind sie vor allem für einfache Automatisierungsaufgaben wie Weichen- und Klappensteuerungen oder auch einfache Klemm- und Haltefunktionen.
Entlang der Unterschenkel des Kängurus ist jeweils ein pneumatischer Leichtbauzylinder dieses Typs angebracht, der das Bein aktuiert.

Dass wir uns auch in unserer hochzivilisierten und technologisierten Welt so einiges aus der Natur abgucken können, hat Festo mit dem Bionic Learning Network vor einigen Jahren für sich entdeckt. So ist seit 2006 Jahren ein kleiner Zoo entstanden, zu dessen Bewohnern Vögel, Pinguine, Libellen, Quallen und Fische gehören. Alle adaptieren Eigenschaften ihrer natürlichen Vorbilder und lassen zum Teil keine Fragen mehr offen, wo in der Industrie sie einmal ihren Einsatz finden werden. Prominentes Beispiel ist ein Bionischer Handling-Assistent, der den Rüssel eines Elefanten als natürliches Vorbild hat.

Es bleibt auf jeden Fall spannend, welches Tier als demnächst in den Zoo des Bionic Learning Networks einziehen wird.

Von Julia Lansen
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Julia LansenJulia Lansen
Redaktion, ke NEXT

Für die Themen Greentech, Pneumatik, Antriebs- und Elektrotechnik zuständig. Studium der Romanistik in Bonn und Rom sowie Europastudien in Aachen mit einem Zwischenstopp im Herzen der europäischen Politik in Brüssel. Im Berufsleben fasziniert von neuen Trends in der Industrie, privat leidenschaftliche Skifahrerin und Filmeguckerin.

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Kurzinterview: Dr.-Ing. Heinrich Frontzek, Festo

Hohe Sprünge dank Pneumatik

fluid: Wie ist das Bionic Learning Network ausgerechnet auf die Eigenschaften des Kängurus aufmerksam geworden?
Als Innovationsführer für Automatisierungstechnik ist Festo immer auf der Suche nach neuen oder noch nicht verbreiteten Bewegungsformen und Antriebskonzepten. Eine Quelle für neues Wissen und zukünftige Technologien ist dabei die Natur. Beim BionicKangaroo ist das natürliche Vorbild ein Känguru. Kängurus bewegen sich auf eine einzigartige und sehr energieeffiziente Art und Weise fort. Knapp zwei Jahre befasste sich ein Entwicklerteam aus dem Bionic Learning Network von Festo damit, das Sprungverhalten des natürlichen Kängurus realitätsnah nachzubilden und daraus zu lernen.

 

Dr.-Ing. Heinrich Frontzek

„Eine Quelle für neues Wissen und zukünftige Technologien ist die Natur.“ Dr.-Ing. Heinrich Frontzek, Festo. Bild: Festo

fluid: Wie geht man generell vor, wenn man nach natürlichen Phänomenen sucht, die man in die technische Welt umsetzen könnte?
Neben der freien und kreativen Ideenfindung gibt es zwei konkrete, strukturierte Herangehensweisen, um biologische Prinzipien auf die Technik zu übertragen: den Top-Down-Prozess und den Bottom-Up-Prozess. Beim Top-Down-Prozess gelangt man von der technischen Anforderung zur natürlichen Lösung. Hierbei beschäftigt sich der Forscher mit einem technischen Problem und sucht zur Lösung gezielt nach Vorbildern in der Natur. Der Bottom-Up-Prozess verläuft dagegen in umgekehrte Richtung: Der Wissenschaftler erkennt ein natürliches Phänomen und leitet daraus die technische Umsetzung ab – also vom natürlichen Prinzip zur industriellen Anwendung.

fluid: Wie wird die Energierückgewinnung, die einerseits das natürliche Känguru, andererseits aber auch seine bionische Nachbildung auszeichnet, in der Industrie Anwendung finden? Können Sie die Ideen hierzu ein wenig präzisieren?
Kleiner, schneller, leichter, effizienter, flexibel, intelligent und höchst kommunikativ – das sind die Ziele in der Automation. Blick man in die Natur und schaut dabei etwas genauer hin, dann wird schnell klar, dass es viele Parallelen zwischen ihr und der Industrieautomation gibt. Wir lassen daher Erkenntnisse aus der bionischen Forschung in die Entwicklung neuer Automationslösungen einfließen, etwa wenn es darum geht hocheffiziente Antriebe von morgen oder neue Leichtbaukonstruktionen zu kre­ieren.
In der industriellen Automatisierungstechnik spielt das Wissen zur Energierückgewinnung und -speicherung eine bedeutende Rolle – etwa bei der Wärmerückgewinnung an Kompressoren oder bei der Rückspeisung elektrischer Energie ins Netz. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen in unsere  generellen Forschungsaktivitäten und die Entwicklung unserer Produkte mit ein.

fluid: Welche weiteren Eigenschaften des Kängurus werden sich möglicherweise einmal in industriellen Anwendungen wiederfinden und wie groß ist die Rolle der pneumatischen Komponenten?
Neben den Erkenntnissen zum Thema Energierückgewinnung, erhoffen wir uns vom BionicKangaroo auch Erkenntnisse zu Konzepten zur mobilen Energieversorgung und vor allem zur Steuerungs- und Regelungstechnik, die beim BionicKangaroo sehr anspruchsvoll ist.
Eine weitere herausragende Eigenschaft des BionicKangaroos ist die Gestensteuerung. Die Möglichkeit, dass man es mittels Gesten steuern kann, ist für die Entwickler aufgrund der Mensch-Maschine-Interaktion interessant. Getestet und untersucht werden die Möglichkeiten zur Bedienung von Automatisierungslösungen. Schließlich könnte die Gestensteuerung in der Zukunft ein mögliches Bedienkonzept darstellen.
Mit dem künstlichen Känguru zeigt Festo außerdem, wie pneumatische und elektrische Antriebstechnik intelligent in einem hoch dynamischen System kombiniert werden. Seine hohe Sprungkraft erzielt das Känguru mit Hilfe der Pneumatik. Pneumatische Aktoren sind generell kräftig und hoch dynamisch. Sie sind verhältnismäßig leicht und nachgiebig, wodurch sie dem Känguru zusätzlich bei der Landung als Dämpfer dienen. An den Stellen, wo höchste Positionsgenauigkeit gefragt ist, kommen Elektromotoren zum Einsatz – beispielsweise bei der Regelung von Schwanz und Hüfte.
Auch im industriellen Alltag entscheidet die jeweilige Anwendung, ob das beste Lösungskonzept auf pneumatischen oder elektrischen Antrieben basiert oder beides kombiniert.

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