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(Bild: Rötelmann)

Den Kugelhahn in seiner heutigen Form gibt es seit fast 100 Jahren, das Prinzip wurde aber schon bei den alten Römern angewandt. Dass sich ein derart bewährtes Produkt immer noch verbessern lässt, fand fluid bei Rötelmann heraus.

Double-Block-and-Bleed-Kugelhahn

Ein Double-Block-and-Bleed-Kugelhahn, wie er oft aus Sicherheitsgründen Vorschrift ist. Bild: Rötelmann

Lieber ein Produkt für hundert Branchen, als hundert Produkte für eine Branche: Nach diesem Motto hatte sich die Firma Rötelmann in den 1960er-Jahren auf den Kugelhahn fokussiert. Verzichtet wurde damals vor allem auf Produkte für den Bergbau, dessen Niedergang schon damals absehbar war – und der dem Unternehmen aus dem nordrhein-westfälischen Werdohl im Osten des Märkischen Sauerlands lange Zeit das Wachstum beschert hatte. Gegründet wurde Rötelmann 1876 als Handelshaus für Bergbauzubehör, Spitzhacken, Hämmer, Öllampen und mehr. 1911 kam dann mit Rötelmann & Co. ein produzierendes Unternehmen hinzu, das vor allem Grubenlampen herstellte. In den 1930er-Jahren kamen Ventile mit steigender Spindel ins Programm, die bei den Dampflokomotiven der Grubenbahnen eingesetzt wurden. Nach dem Krieg ging es zunächst weiter mit Konusventilen für Presslufthämmer, ebenfalls im Bergbau. Und weil die Grubenstempel ab den 1960ern hydraulisch wurden, entwickelte Rötelmann Hochdruck-Kugelhähne bis 500 bar für diesen Einsatzzweck. Der Kugelhahn erwies sich als Glücksgriff, denn er konnte nicht nur in der sich rasant ausbreitenden Hydraulik vielfältig eingesetzt, sondern auch für andere Medien oder die Messtechnik verwendet werden.

Konstruktion und Fertigung im Fokus

Kugelhahn nach ISO 6162 mit Vollflanschen

Kugelhahn nach ISO 6162 mit Vollflanschen. Eine Spezialbeschichtung sorgt für ein geringeres Losbrechmoment, sodass der Hahn ohne Bypass nutzbar ist. Bild: Rötelmann

Wenn man heute durch die Werkhallen in Werdohl geht und all die modernen Bearbeitungszentren sieht, erinnert wenig an die bewegte Geschichte. „Wir waren schon immer ein innovatives Unternehmen“, betont Ludwig Kirchhoff-Stewens, Geschäftsführer von Rötelmann. „Wir haben schon 1973 eine Transfermaschine für die Blockfertigung und 1978 die erste CNC-Fräsmaschine gekauft. Wir begannen bereits 1980, CAD einzuführen, und bis 1989 waren alle Arbeitsplätze mit CAD ausgerüstet.“

Das Hauptaugenmerk in den 1990ern lag in der Modernisierung der Produktion, um Effizienz, Produktivität und Qualität zu steigern. Das sieht man auch heute, wenn man den Maschinenpark betrachtet: Überall finden sich Bearbeitungs- und Drehfräszentren, die mit sehr hohen Drehzahlen arbeiten, und in denen fast ausschließlich gewuchtete Werkzeuge eingesetzt werden, um die Präzision zu erhöhen.

Umgehung bereits vorbereitet

Umgehung bereits vorbereitet: Bei den Kugelhähnen größer zwei Zoll (hier Nennweite 80 nach ISO 6164) ist seitlich eine Platte vorbereitet, an der sich einfach und ohne Bohrung ein Bypasshahn nachrüsten lässt. Bild: Rötelmann

Qualität und Präzision sind dabei kein Selbstzweck. „Es geht uns darum, den Kundennutzen zu erhöhen“, erklärt Kirchhoff-Stewens. „Zum Beispiel haben wir das weltweit einzige Rückschlagventil ohne Reduzierung, mit vollem Durchgang bis zwei Zoll. Das ist technisch gar nicht so kompliziert. Aber es so zu konstruieren, dass man es wettbewerbsfähig verkaufen kann, das ist anspruchsvoll. Ich sage immer, genial ist es erst, wenn es einfach ist.“ Die Ventile haben, ähnlich wie Kugelhähne, den Vorteil, dass es keine Reduzierung, keinen Druckverlust und damit keine zusätzliche Erwärmung des Mediums gibt. Es kann unter Umständen auf einen Ölkühler verzichtet werden, womöglich kann sogar die Pumpe eine Nummer kleiner gewählt werden. Gerade in warmen Ländern oder heißen Umgebungen ein wichtiger Faktor.

Etwa die Hälfte des Umsatzes macht Rötelmann mit Katalogware – Hochdruck-Kugelhähne, Drossel- und Rückschlagventile. Die andere Hälfte sind kundenindividuelle Lösungen, vom einfachen Tausch einer Dichtung bis hin zu kompletten Entwicklungen auf Basis eines Hydraulikschemas.

Kugelhähne haben im Durchfluss keinen Druckverlust

Kugelhähne haben im Durchfluss keinen Druckverlust. Das macht sie wohl auch auf Dauer unverzichtbar. Bild: Rötelmann

Innovation bei bewährten Produkten

Cartridge-Kugelhahn

Ein Cartridge-Kugelhahn für den Einsatz an Brennstoffzellen. Ein Hahn ist mit einem elektrischen Antrieb versehen, ein weiterer manueller dient dazu, die Leitung von Hand zu schließen, falls der Antrieb versagen sollte. Bild: Rötelmann

Viel Ingenieurleistung fließt also in Kundenprojekte. Doch auch an der Katalogware wird ständig weiter entwickelt. „Wir haben drei Felder in unserer Konstruktion“, führt Kirchhoff-Stewens aus. „Das erste ist die Kundenanforderung, das zweite die Entwicklung neuer Produkte und das dritte die Pflege des vorhandenen Programms.“ So lasse sich auch ein Kugelhahn von 1963 günstiger herstellen, wenn man die eine oder andere Fase optimiert. Die meisten Weiterentwicklungen haben allerdings einen klaren Nutzen für den Kunden vor Augen. Zum Beispiel bei Kugelhähnen für die Stahlindustrie. Wenn bei 60 Grad Umgebungstemperatur das Öl die Kugel mit mehreren hundert Bar in den Sitz drückt, hat man schon nach ein paar Stunden das Problem, den Hahn wieder zu bewegen. Nach wenigen Tagen ist oft schon rohe Gewalt nötig, um die Leitung wieder zu öffnen. Konventionell baut man ein größeres Gehäuse mit einem Drosselventil oder extra Kugelhahn als Bypass, um den Druck zu reduzieren. Das funktioniert, ist aber teuer und beseitigt nicht die Ursache: die hohe Reibung. Rötelmann bietet Kugelhähne, die durch andere Materialpaarungen und neue Beschichtungen auch unter Druck noch von Hand schaltbar sind.

Oder bei Rückschlagventilen: Wenn der Kunde einen anderen Öffnungsdruck will, demontiert er oft das Ventil, um eine andere Feder einzubauen. Bei Rötelmann lässt sich einfach die Vorspannung ändern, und schon hat man einen anderen Öffnungsdruck. Die Standardfeder bleibt drin. Das Unternehmen aus Werdohl zeigt damit, dass Innovation auch bei einem Produkt möglich ist, das in ähnlicher Form schon die alten Römer nutzten.

Von Wolfgang Kräußlich
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Wolfgang KräußlichWolfgang Kräußlich
Leitender Chefredakteur
Konstruktionsmedien

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Kurzinterview: Ludwig Kirchhoff-Stewens, Rötelmann

„Dem Wettbewerb einen Schritt voraus“

fluid: Herr Kirchhoff-Stewens, erzählen Sie uns bitte etwas über Ihren Werdegang bei Rötelmann.
Das Unternehmen ist ja ein Familienunternehmen, und mein Vater war hier Geschäftsführer. Im Prinzip bin ich mit der Firma groß geworden. Ich bin das erste Mal mit drei oder vier Jahren in der Firma gewesen. Mein Vater hat mir immer ganz viel davon gezeigt und erklärt. Bei den Bohrautomaten mit Kühlschmierstoffen habe ich gefragt, warum die da Milch drüber kippen. Egal, wie komisch die Fragen waren – er hat mir immer alles sehr, sehr ausführlich erklärt. Eigentlich wollte ich auch Lehrer werden oder Musiker. Mein Vater hat gesagt: Du kannst machen, was du willst. Wenn du aber ins Unternehmen möchtest, dann musst du eine technische Ausbildung machen. Und deswegen habe ich nach dem Abitur in einem kleinen Unternehmen, nicht bei uns, Werkzeugmacher gelernt. Später habe ich Maschinenbau studiert in Rüsselsheim. 1991, als ich fertig war, gab es 60.000 arbeitslose Ingenieure und ich bin dann zunächst LKW gefahren. Aber bald darauf habe ich bei Linde Hydraulik in Aschaffenburg in der Konstruktion angefangen.

Dipl.-Ing.(FH) Ludwig Kirchhoff-Stewens

„Wenn der Wettbewerb so weit ist wie wir, dann müssen wir einfach weiter sein, etwas anderes haben.“ Dipl.-Ing.(FH) Ludwig Kirchhoff-Stewens ist seit 1996 Geschäftsführer der Firma Rötelmann.

fluid: Wann kamen Sie zu Rötelmann?
Schneller, als mir lieb war. Ich wollte noch ins Ausland gehen und hatte große Pläne. Aber mein Vater ist 1992 bei einem Autounfall gestorben. Also habe ich am 1. August 1993 bei Rötelmann in der Konstruktion angefangen. Wir hatten bewusst noch eine Übergangs-Geschäftsführung, 1996 bin ich dann Geschäftsführer geworden. Mein Vater hat immer gesagt: Das bisschen kaufmännisch, das kannst du auch nebenher lernen – wichtig ist die Technik. Ich habe mittlerweile aber dann doch lernen müssen, dass das nicht nur ein bisschen ist, sondern dass das genauso wichtig ist wie die Technik.

fluid: Apropos Technik. Worauf legen Sie da besonders viel Wert?
Innovation und Produktentwicklung sind uns sehr wichtig. Wir stellen Kugelhähne mit besonders großer Nennweite her, wir haben unsere Produkte bezüglich Gewicht und Abmessungen optimiert – wir bauen viel kompakter als der Wettbewerb und vieles mehr. Wenn der Wettbewerb so weit ist wie wir, dann müssen wir einfach weiter sein, etwas anderes haben.

fluid: Wie machen Sie es mit dem Know-how-Schutz? Mechanische Komponenten lassen sich doch recht einfach kopieren.
Im Prinzip dadurch, dass wir nicht patentieren. Den Kugelhahn selber können Sie ohnehin nicht patentieren, der ist zu alt. Wir haben schlicht die Erfahrung gemacht mit Patenten, dass die geradezu anregen, zu kopieren. Es war auch kein Chinese, sondern ein deutscher Wettbewerber, der gesagt hat: Das ist uns egal – verklagt uns doch. Dann prozessieren wir zehn Jahre, in der Zeit haben wir so viel Geld verdient, dann zahlen wir die Strafgebühr – macht doch. Deshalb: Die wirklich wichtigen Sachen, die patentieren wir nicht. Da sprechen wir nicht drüber.

fluid: Wo sehen Sie noch Innovationspotenzial, wo soll es hingehen bei Rötelmann?
Zum einen die Mechatronik. Damit haben wir schon ganz früh angefangen, in den späten 80ern. Da hatten wir schon ein Messgerät entwickelt – Druck, Temperatur und Durchfluss – das über einen Drei-Wege-Kugelhahn eingeführt wurde. Wir haben das damals gestoppt, wir waren einfach zu früh dran mit der Sache. Heute haben das viele. Wir machen das tagtäglich, dass wir Sensoren in Sonderblöcke mit einbinden. Wenn man weiter in die Zukunft schaut: Ich denke der Kugelhahn als solcher, den werden wir auch in 30 Jahren noch brauchen. Er hat viele Nachteile, aber er hat einen unschätzbaren Vorteil: Im Durchfluss hat er keinen Druckverlust. Ich glaube aber, dass der Standard-Kugelhahn in 20 oder 30 Jahren dann vielleicht doch eher aus China oder sonst wo herkommt. Das heißt nicht, dass unser Portfolio viel anders sein wird als heute, sondern dass es breiter wird. Wir sind im Moment dabei, ganz andere Produkte zu entwickeln, die mit einem Kugelhahn nicht mehr viel zu tun haben. Wir haben auch schon eine Idee, die es auf der ganzen Welt noch nicht gibt. Ich kann noch nicht viel mehr dazu sagen, außer dass Elektronik, Hydraulik und Mechanik verbunden ein Produkt machen, das ganz extrem Platz sparen wird.

fluid: Abschließend: Was macht ein Herr Kirchhoff-Stewens, wenn er nicht in der Arbeit ist?
Mein Ding sind Sprachen – schon als ganz kleines Kind habe ich angefangen mit italienisch. Ich spreche heute Englisch, Italienisch, Spanisch und Französisch. Ein paar Brocken Griechisch, ein paar Wörter Chinesisch, ein paar Brocken Persisch. Das war immer so ein Hobby. Privat bin ich am Ende doch Musiker geworden: Ich spiele alle Saxophone, da trete ich auch regelmäßig auf und singe schon mal. Daneben spiele ich noch Klavier. Da bin aber nicht so gut, dass ich meinen eigenen Ansprüchen genügen würde, um damit aufzutreten. wk

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