Die neuen BNEQARTET-Lager wurden als Long-Life-Lager ursprünglich für Waschmaschinen entwickelt.

Die neuen BNEQARTET-Lager wurden als Long-Life-Lager ursprünglich für Waschmaschinen entwickelt. Sie eignen sich aber für unterschiedliche industrielle Anwendungen. (Bild: NSK)

Manchmal hilft der Blick über den Tellerrand bei der Suche nach dem richtigen Lager. Die Ingenieure von NSK haben für in Waschmaschinen eingebaute Wälzlager den Werkstoff so optimiert, dass er Schmutz besser widersteht und Rissen Paroli bietet. Die gute Nachricht für Konstrukteure: Was in der Haushaltstechnik funktioniert, eignet sich auch für den Anlagen- und Maschinenbau.

Die Wünsche an Wälzlager haben es in sich – und sie stehen teilweise im Spannungsfeld zueinander: Die Anwender möchten kompakte Lager, die hoch belastbar sind und eine sehr hohe Lebensdauer aufweisen. Unempfindlich gegenüber dem Eintrag von Verschmutzungen sollen die Wälzlager auch sein oder am besten diesen Eintrag gleich verhindern. Immer häufiger auch auf der Wunschliste der Konstrukteure von Maschinen und Anlagen: die Reibungsreduzierung.

Welches Gewicht diesen einzelnen Zielen zukommt, hängt in hohem Maße vom Anwendungsbereich der Wälzlager ab. In der Windkrafttechnik steht die Lebensdauer obenan. Hier wünschen oder erwarten die Anwender 180.000 Stunden ohne Service. In der Automobilindustrie kommen zunehmend reibungsreduzierte Lager zum Einsatz. In der Stahlindustrie müssen die Wälzlager hohen mechanischen Belastungen standhalten, und im Nahrungsmittelmaschinenbau fordern die Anwender eine lange Lebensdauer auch bei häufigen Reinigungsvorgängen, also in feuchter Umgebung.

Für alle genannten Branchen hat NSK dezidierte Werkstoffe, Technologien, Designs und Wälzlagerbaureihen entwickelt. Oft wirken Synergien zwischen den einzelnen Einsatzbereichen. Deshalb lohnt es sich aus Konstrukteurssicht, einen Blick über den Tellerrand zu wagen und sich auch über Weiterentwicklungen in anderen Branchen zu informieren – zum Beispiel im Bereich der Hauhaltsgeräte, genauer gesagt bei Waschmaschinen. Hier gehen die Technik-Trends zu einem immer höheren Fassungsvermögen und einem größeren Durchmesser der Trommel. Bis zu neun Kilogramm Textilien (im Trockenzustand) bewältigt die Waschmaschine, entsprechend wird der Antrieb belastet.

Das ist gerade bei den in Europa gebräuchlichen Frontladern eine Herausforderung für die Wälzlager-Entwicklung. Denn diese Bauweise bedingt, dass die Trommel nur einseitig gelagert werden kann, was wiederum bedeutet, dass die Lagerung stark und ungleichmäßig belastet wird. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Belastungen bei jeder einzelnen Trommelumdrehung unregelmäßig auftreten und somit das Lager stark beanspruchen.

Problem: begrenzter Bauraum

Dem Trend zu höherer Beladung und somit Belastung durch erhöhte Zentrifugalkräfte können die Konstrukteure nicht einfach durch den Einsatz größerer Wälzlager begegnen, weil der Bauraum der Maschinen begrenzt ist. Außerdem würde ein größeres Lager mit höherer Massenträgheit und somit verringerter Energieeffizienz einhergehen. Das aber ist keinesfalls erwünscht, weil die Haushaltsgeräte in Effizienzklassen eingeteilt werden und ein geringer Energieverbrauch zu den wichtigen Kriterien für hochwertige Geräte zählt.

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Lebensdauer / Oberflächenermüdung: Die Grafik zeigt die Standfestigkeit bei Verunreinigung. Grafik: NSK

In der Theorie gibt es verschiedene Ansätze zur Optimierung derartiger Lager: Der Konstrukteur kann einen neuen Werkstoff entwickeln – das erfordert die intensivste Arbeit. Er kann aber auch die Geometrie optimieren oder durch die Schmierstoffauswahl die Lagereigenschaften beeinflussen.

Die NSK-Ingenieure entschieden sich für den Ansatz, der den größten Hebel zu Verbesserungen bietet: die Optimierung des Werkstoffs. Dabei verfolgten sie hauptsächlich das Ziel, die Legierung eines vorhandenen NSK-Sonderstahls so zu verbessern, dass das Entstehen und vor allem die Ausbreitung von Rissen und Eindrücken im Material verhindert wird. Ein Augenmerk galt hier der Wälzermüdung. Das sind Defekte in der Tiefe des Gefüges, die unter anderem zu Abblätterungen an der Oberfläche führen können.

Widerstandsfähigere Lager

Die Ergebnisse der Entwicklungsarbeit werden jetzt mit den BNEQARTET-Wälzlagern vorgestellt. Der Vergleich der Lebensdauer zwischen einem Standardlager und den neuen Long-Life-Lagern zeigt, wie wirkungsvoll die Entwicklungsarbeit der NSK-Ingenieure war: Sie konnten die Lebensdauer (L10) mehr als verdoppelt. Auch unter widrigen Umgebungsbedingungen erreichen die neuen Wälzlager eine deutlich erhöhte Lebensdauer. Bei Tests in verschmutzter Umgebung wurde eine signifikante Steigerung erreicht.

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Lebensdauer /Oberflächenermüdung: Die Grafik zeigt die Lebensdauer des Standard- und des neuen Werkstoffs unter Wasserstoffbeladung. Grafik: NSK

Dieser Test zielt darauf ab, Abblätterungen an der Oberfläche der Laufbahnen zu erzeugen und zu erfassen. Die neuen Lager sind somit widerstandsfähiger gegenüber Verschmutzungen. Das ist insofern von großer Bedeutung, als sich der Eintrag von Kontaminationen nie ganz vermeiden lässt, auch wenn die Anwender dies anstreben und großen Wert auf die Reinheit in der Produktion legen.

Mit vertretbarem Aufwand sind hier aber oft kaum noch Verbesserungen zu erzielen. Umso wichtiger ist die Resilienz oder Widerstandsfähigkeit der Wälzlager gegenüber Kontaminationen. Ähnliches gilt für den Betrieb der Lager unter hohen Temperaturen. Bei Tests mit 150 Grad Celsius wurde eine etwa 1,5-fach längere Lebensdauer der neuen Lager nachgewiesen.

Widerstandsfähigkeit gegenüber Wasserstoff

Wenn es um die Entwicklung von Long-Life-Lagern geht, ist die Widerstandsfähigkeit und Unempfindlichkeit der eingesetzten Wälzlagerstähle gegenüber Wasserstoff ein weiteres wichtiges Ziel. Denn schon bei Raumtemperatur sind die Wasserstoffmoleküle in der Lage, tief in den Werkstoff einzudringen und dessen Versprödung zu bewirken.

Das wiederum führt zu Lagerschäden wie zum Beispiel dem in der Windkraftindustrie zurzeit intensiv diskutierten sogenannten White Structure Flaking – dabei handelt es sich um weißanätzende Strukturveränderungen unterhalb der Oberfläche der Laufbahn – und zu vorzeitigem Ausfall.

Dieses Problem tritt besonders, aber nicht nur, auf, wenn die Lager in feuchter Umgebung eingesetzt werden. Die Unempfindlichkeit der Lager gegenüber Wasserstoff wird mit dem Hydrogen Charge Thrust Test dokumentiert. Dabei werden die Lager mit Wasserstoff beladen und einem axialen Drucktest unterzogen.

Lager

Reduzierung von Reibung und Erhöhung der Lebensdauer sind zwei wesentliche Ziele der Wälzlager-Entwicklung. Die Ingenieure von NSK haben deshalb den arbeitsintensivsten Weg gewählt, um ihre Lager zu optimieren. Sie haben den Werkstoff optimiert und die BNEQARTET-Lager entwickelt. Bild: NSK

Der entsprechende Test zeigt, dass die BNEQARTET-Wälzlager unter diesen Bedingungen im Vergleich zu Standardwälzlagern eine rund zweifache Lebensdauer erreichen. Die hier dargestellten Verbesserungen werden überwiegend durch eine optimierte Legierung erreicht, die unter anderem eine Crack Inhibition Procuration bewirkt. Das heißt: Die chemische Zusammensetzung des Stahls wurde so gewählt, dass die Entstehung und vor allem die Ausbreitung von Rissen wirkungsvoll verhindert wird.

Außerdem wird ein besonders reiner Stahl verwendet. Das erhöht zusätzlich die Lagerlebensdauer, weil jede Art von Verunreinigung im Werkstoff zu Unregelmäßigkeiten und in der Folge zu Defekten in der Tiefe des Gefüges führen kann. Die konstruktiven Verbesserungen mit Blick auf die Erhöhung der Lebensdauer haben auch positive Auswirkungen auf die Reibung und somit auf die Energieeffizienz.

Der Anwender muss kein größeres Lager einsetzen – und entsprechend eine verringerte Energieeffizienz in Kauf nehmen –, um die Lagerlebensdauer zu verdoppeln. Oder er kann ein kleineres, entsprechend effizienteres Lager einsetzen, wenn der Anwendungsfall es nicht erfordert, die Lagerlebensdauer zu verdoppeln.

Fazit

Mit diesem Eigenschaftsprofil eignen sich die neuen Wälzlager, die als Rillenkugellager zur Verfügung stehen, nicht nur für den Einsatz in Waschmaschinen. Überall dort, wo der Konstrukteur einer Maschine oder Anlage Wälzermüdung und/oder Oberflächenschäden durch Kontamination vermeiden und die Lebensdauer des Lagers erhöhen möchte, führt die neue Technologie zu Verbesserungen. Das gilt – wie die hier dargestellten Tests zeigen – sowohl für den Einsatz der Lager in sauberer als auch in kontaminierter Umgebung. aru

ke NEXT hakt nach bei Volker Polonyi, NSK Deutschland

Fünf Fragen an Volker Polonyi, Engineering Director European Technology Centre (ETC) bei NSK

Energieeinsparung ist ein zentrales Thema in der gesamten Antriebstechnik – auch bei den Anwendern von Wälzlagern?
Natürlich. Die Nachfrage wächst, und wir erzielen auch beachtliche Erfolge. Der Hebel zur Einsparung von Energie ist hier die Reduzierung der Reibung. Die Herausforderung besteht dahin, dieses Ziel zu erreichen, ohne die anderen Lagereigenschaften – vor allem die Belastbarkeit und die Lebensdauer – zu beeinträchtigen.

Welche Möglichkeiten stehen Ihnen dabei zur Verfügung – wie gehen Sie bei der Entwicklung reibungsarmer Wälzlager vor?
Hier greift die gesamte Palette der konstruktiven Detailarbeit – von der Optimierung der Lagergeometrie über die Entwicklung neuer Werkstoffe und die damit einhergehende Reduzierung der Lagergröße und Oberflächenbehandlungen bis zur Verbesserung der Geometrie und der Werkstoffe von Dichtungen und der Entwicklung neuer Schmierfette.

Dabei gilt immer: Die Thematik ist außerordentlich komplex und kann nicht losgelöst von den anderen Lagereigenschaften gesehen werden. Ein Beispiel: Wenn wir ein Lager entwickeln, das bei gleicher Baugröße belastbarer ist, kann der Anwender unter Umständen ein kleineres Lager einsetzen, das eventuell eine gerin-gere Reibung aufweist. Ein reibungsarmes Lager läuft bei vergleichbaren Belastungen kühler als ein Standardlager. Das kann eine längere Lebensdauer zur Folge haben.

Aus welchen Kundenbranchen kommen die meisten Nachfragen nach energieeffizienten, also reibungsreduzierten Wälzlagern?
Das sind ganz eindeutig die Automobilindustrie und die industrielle Antriebstechnik. Während bei der Automobilindustrie die Reduzierung der CO2-Emissionen im Vordergrund steht, liegt in der industriellen Antriebstechnik der Fokus auf der Reduzierung der Drehmomente, was einen positiven Effekt auf den Energiever-brauch hat.

Die Automobiltechnik- und die Industrie-Sparte sind bei Ihnen ja separate Einheiten. Gibt es Synergien zwischen beiden Bereichen, was die Reibungsreduzierung angeht?
Selbstverständlich. Es gibt gemeinsame Grundlagenentwicklungen, und da die Automobilindustrie eine Führungsposition einnimmt, was den Einsatz von reibungsarmen und besonders effizienten Wälzlagern betrifft, übertragen wir viele Entwicklungen der Automotive-Sparte auf Industrie-Anwendungen. Eins zu eins lassen sich diese Innovationen zumeist nicht übernehmen, weil andere Rahmenbedingungen und Anforderungen herrschen.

Finden die Entwicklungen, die Sie erwähnen, zentral in Japan statt?
Nicht nur. In unserem European Technology Center hier in Ratingen arbeiten rund 40 Ingenieure an der Entwicklung neuer Wälzlager und der kundenspezifischen Anpassung vorhandener Baureihen – sowohl für die Industrie als auch für Automotive-Anwendungen.

Die Fragen stellte Gerald Scheffels, freier Autor für ke NEXT

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