Heiko Füller, SEW-Eurodrive,
„Bei Movi-C ist alles komplett durchgängig, von der Steuerung bis zum Motor“, erklärt Heiko Füller. (Bild: SEW-Eurodrive)

Erklären Sie bitte kurz und prägnant in Ihren Worten: Was ist Movi-C?

Movi-C ist kein reines Produkt. Movi-C ist eine komplett neue Automatisierungsplattform. Angefangen bei der Motortechnologie inklusive Einkabel-Technik, Umrichter- und Steuerungstechnik bis hin zur Software. Alles komplett durchgängig von der Steuerung bis zum Motor. Das Mehrachssystem Movidrive modular haben wir im ersten Markteinführungspaket Anfang dieses Jahres auf den Markt gebracht. Die weiteren Elemente werden wir nun sukzessive in weiteren Paketen nachziehen.

Sie sagen, dass bei Movi-C alles neu ist. Aber was ist das wirklich Neue? Denn: Motoren macht SEW-Eurodrive schon immer. Umrichter haben Sie schon im Programm …

Zum einen natürlich die Technologie: Angefangen mit Safety, die immer direkt mit an Bord ist. Bis jetzt war Safety eine Option. Safe Torque Off (STO) im Performance Level e ist nun standardmäßig auf der Achse integriert. Weiter verfügt Movi-C über Doppelachsmodule, die den nötigen Schaltschrankplatz deutlich reduzieren. Sehr schlank, sehr kompakt. Ebenso adressieren wir das Thema Einkabel-Technologie, ein Thema, das die Installationskosten stark reduzieren kann. Gepaart mit einer neuartigen volldigitalen Motor-Umrichter-Schnittstelle können jetzt Leitungslängen bis 200 Meter realisiert werden.

Im Bereich Energiemanagement haben wir einen kompletten Energiemanagement-Baukasten: nicht nur die reine Netzrückspeisung, sondern auch Energiespeicher, Energie-Monitoring oder ein 24-Volt-Standby-Betrieb. Letzteres heißt, Sie können zum Beispiel am Wochenende festlegen, dass die Antriebsachsen komplett weggeschaltet werden, der Feldbus aber weiterhing aktiv bleibt, damit es keinen Fehler an der übergeordneten Steuerung gibt.

Ein weiteres Highlight ist die Bedienphilosophie, die eine noch intuitivere Bedienung ermöglicht. Heute hat schließlich kaum jemand mehr Zeit, sich lange in ein System einzuarbeiten! Das beginnt beim Engineering mit Unterstützung durch eine neue Bedienoberfläche mit grafischen Assistenten, beschleunigte Inbetriebnahme durch das Einlesen von Motor- und Getriebedaten bei Motoren mit digitalem Typenschild. Auch bei der Wartung gibt es Neuerungen: Sie können Antriebsachsen austauschen, ohne dass Sie hierfür eine Software benötigen. Die ausgetauschte Achse wird erkannt und automatisch wieder mit allen zuvor eingestellten Parametern in Betrieb genommen – inklusive der funktionalen Sicherheit.

Zusätzlich ist Movi-C komplett durchgängig. Das heißt, egal ob es sich um einen zentralen Schaltschrankumrichter, einen dezentralen Feldumrichter oder ein Mehrachssystem handelt – alles wird gleich in Betrieb genommen und gehandhabt. Und das mit nur einer Engineering-Software. Auf der Steuerungsseite können Sie wählen, ob Sie ihre Applikation frei nach EN 61131-3 programmieren oder mithilfe von vorgefertigten Technologiemodulen einfach mit grafischer Unterstützung parametrieren möchten.

Können Sie das etwas genauer ausführen?

Nehmen wir ein Regallagerbediengerät. Wenn Sie Funktionalitäten wie Antipendelregelung oder Schlupfkompensation nicht selbst programmieren möchten, können Sie ein entsprechendes Technologiemodul laden, das alles komplett für Sie erledigt. Oder Roboterkinematiken, die können Sie selbst ausprogrammieren, haben aber ebenfalls die Möglichkeit, ein Technologiemodul zu verwenden, welches lediglich parametriert werden muss. Damit schaffen Sie die Umsetzung Ihrer Applikation in kürzester Zeit, ohne dass Sie über viel Antriebs-Know-how verfügen müssen.

Wäre es auch möglich, nicht das ganze Paket von SEW zu nehmen, sondern zum Beispiel Motoren einer anderen Firma zu integrieren?

Selbstverständlich ist auch das möglich. Bei der Fremdmotor-Inbetriebnahme wird der Fremdmotor automatisch ausgemessen und kann dann verwendet werden.

Ein großer Vorteil, den wir mit dem neuen Umrichtersystem haben, ist aber, dass Sie mit einem Achsmodul jeden gängigen SEW-Motortyp fahren können, ohne unterschiedliche Umrichter verwenden zu müssen. Egal, ob es sich um einen Asynchron-, Synchron- oder LSPM-Motor handelt. Auch eine Doppelachse kann zwei verschiedene Motortypen gleichzeitig betreiben. Auf der ersten Achse kann beispielsweise ein Asynchronmotor, auf der zweiten zeitgleich ein Synchronmotor geregelt werden. Das reduziert die Variantenvielfalt und somit die Lagerkosten beim Kunden.

Für wann peilen Sie die „Fertigstellung“ von Movi-C an?

„Fertig“ ist in der Technik immer eine spannende Aussage (lacht). Bei Movi-C handelt es sich um ein sehr umfangreiches Automatisierungs-Portfolio, das nicht viele in dieser Breite anbieten können. Das geht nicht von heute auf morgen. Daher führen wir es gestuft in den Markt ein. Wir streben aber an, den vollen Funktionsumfang in zwei Jahren unseren Kunden zur Verfügung stellen zu können. Was aber nicht bedeutet, dass wir das bestehende Portfolio zu diesem Zeitpunkt bereits abkündigen werden.

Für welche Anwendungsfälle sehen Sie Movi-C denn als besonders geeignet an?

Movi-C ist kein Portfolio speziell für ausgewählte Nischen. Den Automatisierungs-Baukasten haben wir bewusst so entworfen, dass er in unterschiedlichsten Branchen und Applikationen eingesetzt werden kann. Generell sind SEW-Produkte weit verbreitet – von der Intralogistik über die Verpackungstechnik, der Anlagentechnik bis hin zur Prozesstechnik – um nur ein paar zu nennen. Da wir zunächst primär mit dem Movidrive modular Mehrachssystem gestartet sind, haben wir aktuell den Fokus verstärkt auf die Lagerlogistik, die Verpackungstechnik sowie die Maschinenautomatisierung gelegt. Alles Applikationen, bei denen ein Mehrachssystem seine Vorteile voll zum Einsatz bringen kann.

Zum Schluss möchte ich noch auf das allgegenwärtige Stichwort Industrie 4.0 eingehen. Es heißt ja, durch die Ausstattung einer Maschine mit Movi-C lasse sie sich in Industrie-4.0-Produktionsprozesse integrieren. Was genau macht das möglich und wie sehen für Sie Industrie-4.0-Produktionsprozesse aus? Wie definieren Sie so etwas?

Vorweg möchte ich darauf hinweisen, dass das Thema Digitalisierung an und für sich ja nicht etwas völlig Neues ist. Digitalisiert werden Produktionen eigentlich schon seit über einem Jahrzehnt. Den Unterschied, den wir jetzt sehen, ist, dass es um die intelligente Verknüpfung der Daten mit der Hardware und dem prozessübergreifenden Austausch sowie der Verknüpfung der Smart Products geht.

So weiß beispielsweise ein Werkstück selbst, wohin es zur Bearbeitung muss. Es nimmt seine Daten prozessbegleitend mit sich mit. Des Weiteren sehen wir einen Trend zu mobilen Fertigungsanlagen. Etwa in der Automobilindustrie – die ja häufig als Technologievorreiter fungiert: Hier sucht man nach Möglichkeiten, Anlagen so zu gestalten, dass sie sich flexibel umorganisieren lassen, wenn ein neuer Fahrzeugtyp eingeführt wird. Zusammenfassend kann man sagen, die Flexibilität in der Produktion, die Verknüpfung und Bereitstellung sowie die Auswertung der Daten sind für uns die Kernpunkte digitaler Produktionsprozesse.

Im beschriebenen Anwendungsfall der Rotorbestückungsanlage setzen wir bei SEW mobile Assistenten aus unserem Systembaukasten ein, welche die Motorrotoren in die Maschine einlegen. Danach werden diese Rotoren automatisch entnommen und autark zu den nächsten Bearbeitungsstationen gebracht. Der Werker selber bekommt dann – zum Beispiel über eine Microsoft Hololens – die Information, welche Teile er noch für die Montage benötigt, inklusive aller Daten des Werkstücks angezeigt. In diesem Datenfluss sehen wir den Vorteil.

In Hinblick auf die Verfügbarkeit der Rotorbestückungsanlage kann Movi-C hier optimal unterstützen. Begonnen mit Data Mining, damit überhaupt erst einmal Datensätze wie Diagnose- und Antriebs- beziehungsweise Getriebedaten bereitgestellt werden. Daraus kann dann ein qualifiziertes Condition Monitoring erstellt werden, das idealerweise in eine Verfügbarkeitsvorhersage überführt werden kann – Thema Predictive Maintenance. Wir kennen unsere Antriebstechnologie und wissen, was beispielsweise unsere Getriebe für eine Öl-Temperatur haben und wie lange dieses verwendet werden kann. Wir wissen, was die Lagerschwingungen zu bedeuten haben. Wir kennen die Stromverläufe unserer Motoren. Wir kennen die Verbrauchsdaten unserer Umrichter. Daraus können wir der Anlage übergeordnet Informationen bereitstellen. Etwa, dass bald eine Wartung nötig ist. Also fährt der mobile Assistent den Auftrag über eine andere Rotorbestückungsanlage. Das sind die Vorteile, ich nenne sie mal Neudigitalisierung, welche die Produktion von heute weiterbringen können.

Das Interview führte Julia Lansen, Redaktion

Technik im Detail: Daraus besteht der Baukasten

Automatisierungsbaukasten Movi-C,
Automatisierungsbaukasten Movi-C, (Bild: SEW-Eurodrive)
  • Mehrachsantriebssystem: Movidrive modular
  • Steuerungssystem: Movi-C Controller power
  • Softwareplattform: Movirun
  • Softwarebaukasten: Movikit MultiMotion Camming
  • Engineeringsoftware: Movisuite

Das Multiachs-Umrichtersystem Movidrive modular ist Bestandteil des neuen Automatisierungsbaukastens Movi-C. Dieser umfasst den kompletten Bereich der Antriebselektronik, begonnen bei der Steuerungstechnik über Software und Umrichtertechnik sowie dezentrale Technik bis hin zur Motortechnik. Die neue Engineering-Software Movisuite vereint intuitive Inbetriebnahme, Konfiguration und Diagnose – egal ob Standard- oder funktional sichere Komponenten, ob einzelne Umrichter oder ganze Maschinen und Anlagen. Ergänzend zur klassischen Programmierung reduziert eine Vielzahl von SEW-Software-Applikationsmodulen deutlich die Komplexität. Dadurch lassen sich anspruchsvolle Bewegungskinematiken durch einfache Parametrierung realisieren.

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