Mensch und Roboter rücken zusammen, eine neue Herausforderung für die Sicherheitstechnik: Für den

Mensch und Roboter rücken zusammen, eine neue Herausforderung für die Sicherheitstechnik: Für den Nachweis des nötigen Sicherheitsniveaus muss die komplette Sicherheitsfunktion, vom Sensor bis zum Aktor, betrachtet werden.

Wie berechnet man die Sicherheit einer Maschine, die sich aus Hunderten oder gar Tausenden von Komponenten und Einzelteilen zusammensetzt? Vor genau diese knifflige Aufgabe stellt die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG – übrigens bereits seit 2011 verbindlich – die Hersteller. Vor allem viele kleinere Hersteller tun sich damit noch immer schwer.

Ingenieur Dominic Deutges ist einer der wenigen in Deutschland, die sich richtig reingekniet haben in die mathematischen Herausforderungen der Maschinensicherheit. Vor einigen Monaten zum Professor an der Hochschule Niederrhein berufen, hält er auch eine Vorlesung zum Thema und berät den Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken (VDW). Schon in seiner früheren Tätigkeit als Leiter Neue Technologien bei Monforts Werkzeugmaschinen

Edgar Weiter von Fanuc

„Bei größeren Kunden überwiegt klar der Schutz vor Billigkonkurrenz.“

beschäftigte sich Deutges intensiv mit Fragen der Maschinensicherheit.

Die Zahlenspiele haben handfeste betriebs- und volkswirtschaftliche Auswirkungen, wie Deutges erklärt: „Die Deutschen machen mal wieder ihre Hausaufgaben so gründlich wie kaum ein anderer. Unsere Maschinen werden dadurch noch teurer als sie ohnehin schon sind. Aber die technisch Verantwortlichen haben ja auch die haftungsrechtlichen Konsequenzen zu tragen.“ Die Auswirkungen sind durchaus ambivalent. Bei großen Kunden mit strengsten Sicherheitsanforderungen bringe das gewisse Vorteile – bei vielen kleinen Kunden, bei denen das Thema Maschinensicherheit noch nicht so fest verankert sei, Nachteile.

Das sieht auch Steuerungsexperte Edgar Weiter von Fanuc Europe in Luxemburg so, der sich ebenfalls seit Jahren mit Sicherheitsfragen beschäftigt. Bei kleineren Endkunden überwiege der Nachteil durch den erhöhten Aufwand, weil tendenziell das Thema „Sichere Maschine“ nicht so hoch angesiedelt sei. „Bei größeren Kunden, beispielsweise aus der Automobilindustrie, überwiegt klar der Schutz vor Billigkonkurrenz, die ohne den entsprechenden ‚safety proven in use‘ keine Freigabe erlangt.“

Auch Asiaten wollen sicher sein

Billig und unsicher wird oft gleichgesetzt mit asiatischem Ursprung. Dem widerspricht Dr. Volker Hamann, Leiter Systemapplikation bei der Deutschlandtochter des taiwanesischen Antriebsspezialisten Hiwin: „In Taiwan und China gibt es selbstverständlich auch Schutzbestimmungen. Die Gesetzgebung ist in beiden Ländern der deutschen sogar sehr ähnlich, fast jede Norm wird eins zu eins aus Deutschland übernommen.“ Allerdings muss er einräumen, dass bei der Durchführung teilweise nicht ganz so streng hingeschaut werde wie hierzulande. „Aber wenn ich etwas nach Europa exportieren will, dann muss ich natürlich ein entsprechendes Level bieten.“

Einig ist er sich hingegen mit anderen Experten, dass viele der geforderten Nachweise die Produkte unnötig verteuerten. Auch wenn es durchaus sinnvolle Forderungen gebe, letztlich sieht Hamann darin eine Art Schutz des Wirtschaftsraums. „Man setzt teilweise künstliche Hürden auf, erzwingt etwa Dokumentationen, die sowieso keiner liest.“ Immerhin sichern diese Anforderungen Hiwin Deutschland und seinen etwa 200 Mitarbeitern Arbeit, denn sie beraten auch andere Unternehmen rund um die europäische Maschinenrichtlinie.

Einen anderen Weg geht die Shenyang Machine Tool Corporation (SYMG), einer der größten Werkzeugmaschinenhersteller Chinas. Die Chinesen kauften den deutschen Werkzeugmaschinenhersteller Schiess. Neue Maschinen entwickelt dieser jetzt in Berlin. Im Fertigungswerk Aschersleben werden sie auf Herz und Nieren geprüft, bevor die Grundmaschinen in China günstig in Serie gefertigt werden. Die jeweilige regionale Anpassung und den kundenspezifischen Feinschliff erfahren die Maschinen dann wieder direkt in den Zielregionen.

Der Asienexperte und persönliche Berater des SMYG-Aufsichtsratsvorsitzenden, Dr. Ömer Sahin Ganiyusufoglu, erklärt die Philosophie: „Created in China, designed in Germany, produced in China, customized globally“ – inklusive Erfüllung aller sicherheitstechnischer Anforderungen.

Kennwerte statt Konstruktion

Lischtschranke von Schmersalchmersal

Tragen auch zur Maschinensicherheit bei: optoelektronische Sicherheitssysteme wie diese Lichtschranke von Schmersal.

Übliche elektrische Sicherheitsfragen – beispielsweise die Drehzahlüberwachung – habe man relativ gut im Griff, aber: „Wenn ich einen Fehler nicht konstruktiv ausschließen kann, muss ich Kennwerte angeben“, erklärt Deutges. Als kritische Felder der Berechnung nach ISO 13849 hätten sich insbesondere hydraulische und pneumatische Sicherheitsfunktionen erwiesen. Und da sei die gesamte Industrie gefordert, denn jeder Lieferant müsse solche Kennzahlen für seine Produkte beitragen. Denn nur so könne der Endhersteller eine Gesamtbewertung für sein Produkt errechnen.

Deswegen testen große deutsche Ventilhersteller ihre Ventile, um das sicherheitstechnische Verschleißverhalten zu erkunden. „Bei mehreren Tausend Ventiltypen ist das ein nicht unerheblicher Aufwand, den sich kleine Hersteller kaum noch leisten können.“

Seiner Kenntnis nach betreibt kein asiatischer Hersteller auch nur annähernd solch einen Aufwand, um beispielsweise die in der Realität zwar unkritischen, in der Berechnung aber sehr schwierigen hydraulischen oder pneumatischen Komponenten abzusichern. Deutges fordert alternative Nachweismethoden für die Fälle, in denen die Näherungsberechnung nach ISO 13849 bewährte Komponenten schlecht rechne. Der VDW versuche bereits, „über den Nachweis aus Felddaten dem Haftungsdilemma zu entkommen“.

Auch Eberhard Beck fragt sich, ob „alle Hersteller in der Lage sind, mit dem entsprechenden Wissen in der praktischen Arbeit die Maschinenrichtlinie zum Vorteil von Anwendern anwendungsgerecht umzusetzen“. Beck ist Leiter der Steuerungstechnik beim Werkzeugmaschinenhersteller Index-Werke und Mitglied im Beirat des Normenausschusses Werkzeugmaschinen im DIN. Oft diene die Maschinenrichtlinie eher als Druckmittel gegenüber „Unwissenden oder nicht vollständig Wissenden“, um eigene Inter-essen und Forderungen durchzusetzen, statt „die Grenzen der machbaren und wirtschaftlichen Sicherheit von Maschine und Anlagen zu definieren“.

Hintergrundwissen
Maschinenrichtlinie und Maschinensicherheit
Die EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG betrifft nicht nur die Hersteller von Maschinen, sondern auch von auswechselbaren Ausrüstungen, Sicherheitsbauteilen, Lastaufnahmemitteln, Ketten, Seilen und Gurten, abnehmbaren Gelenkwellen sowie unvollständigen Maschinen. Sie soll das Recht in Europa harmonisieren und ersetzt nationale Bestimmungen. Der „Anhang I“ regelt „Grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen für Konstruktion und Bau von Maschinen“. Hier kommt die ISO-Norm 13849 „Sicherheit von Maschinen, sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen“ ins Spiel. Sie stellt Sicherheitsanforderungen, ist aber auch ein Leitfaden für Gestaltung und Integration sicherheitsbezogener Teile von Maschinensteuerungen einschließlich der Software. Hinzu kommt die ISO 62061. Sie beschreibt die „Funktionale Sicherheit von elektrischen, elektronischen und programmierbaren Steuerungen von Maschinen“. Vom Maschinenhersteller oder seinen Bevollmächtigten verlangt die Maschinenrichtlinie eine EG-Konformitätserklärung. Diese rechtliche Aussage muss jeder Maschine, auch unvollständigen, beiliegen und bestätigt, dass alle Anforderungen, insbesondere die des Anhangs I, erfüllt sind und ein Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt wurde. Die wichtigsten deutschen Regelungen finden sich im Produktsicherheitsgesetz, in den Produktsicherheitsverordnungen und im Produkthaftungsgesetz.
Das „CE“-Zeichen signalisiert: Diese Maschine ist entspricht der Maschinenrichtlinie und ist sicher. Das Signet ist allerdings kein Garant, denn in der Regel bringen es Hersteller in Eigenverantwortung an. Ob zu Recht, überprüft eine unabhängige Stelle erst nach einem Unfall. Dennoch ist der Anteil an Maschinenunfällen sehr niedrig. Bei Werkzeugmaschinen hat er sich in zwei Jahrzehnten deutlich mehr als halbiert, wie die DGUV und der VDW ermittelt haben.

Sicher durch Software

Auf den Schultern der Steuerungshersteller lastet ein Großteil der Verantwortung für Maschinensicherheit, viele Sicherheitsvorkehrungen sind softwaremäßig hinterlegt. Fanuc-Mann Edgar Weiter: „Die meisten Kunden hatten auch schon vor der Maschinenrichtlinie Steuerungen mit integrierter Sicherheitsfunktionalität.“ Beispiel: die Fanuc-Software Dual Check Safety (DCS). Aufgerüttelt durch die neu geforderte quantitative Bewertung von Sicherheitsfunktionalität, hätten dann viele weitere Hersteller erstmals DCS eingesetzt, da ihre Sicherheitsfunktionalität rechnerisch nicht mehr nachweisbar war.

„Vor allem bei kleineren Herstellern mit geringerem Spezialisierungsgrad findet in der Konstruktion ein solcher Nachweis bis heute nicht flächendeckend statt“, sagt Weiter. Dabei sei in der Praxis vieles eigentlich gar nicht so schwierig. Weiter hält zwar die Berechnung der Gesamtheit einer Sicherheitsfunktion für „gewöhnungsbedürftig, aber am Ende stellt sich überwiegend heraus, dass bereits eine sorgfältige Umsetzung der Sicherheitstechnik mit qualitativem Nachweis der Kategorien der alten EN-954 auch dem quantitativen Nachweis der EN13849/EN62061 standhält.“

Fanuc verfolge einen pragmatischen Ansatz: „Über vordefinierte, zertifizierte Sicherheitsblöcke stellen wir Kunden sehr konservative Sicherheitskennwerte zur Verfügung. Mithilfe vordefinierter Bibliotheken und Beispielprojekte für die Standardvalidierungssoftware Sistema nach ISO 13849 muss der Kunde nicht mehr für jedes kleine Bauteil einen separaten Sicherheitskennwert suchen.“

Effektive und produktive Maschinen seien nach Beck ohnehin nur herstellbar, wenn der Hersteller sämtliche technischen Eigenschaften und Funktionen durch Messungen und Analysen seiner Maschine detailliert kenne. „Das schließt auch die Maschinensicherheit ein, denn nur so lassen sich Differenzierungsmerkmale am Markt erschließen – insofern sehe ich den hohen Sicherheitszwang in Summe tendenziell eher zum Vorteil als zum Nachteil der hiesigen Industrie.“

Ablaufschema der Maschinensicherheit der DGUV

Wie neue Maschinen und Sicherheitsbauteile sicher und nach EU-Vorschriften in den Betrieb gebracht werden können, zeigt die Grafik der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung.

Natürlich müssten nach ISO 13849-1 in Abhängigkeit der Risikoanalyse auch statistische Ausfallwahrscheinlichkeit berechnet werden, was über eine gesamte Maschine oder Anlage hinweg betrachtet schwierig sei, vor allem, wenn numerische Werte von Zulieferern benötigt würden. Dem gewinnt Beck auch positive Seiten ab: „Selbst Sicherheitsexperten erkennen bei der exemplarischen Berechnung bewährter  Sicherheitsfunktionen noch die eine oder andere Verbesserung, um nicht zu sagen Lücke.“ Der „Rechnungszwang“ könne sich auch positiv auf eine Standardisierung der Sicherheitsfunktionen auswirken.

Mensch berücksichtigen

Der Anteil der technischen Sicherheit nahm in den letzten Jahren stetig zu, die Unfallzahlen sanken deutlich. Etwas aus dem Blickfeld geriet dabei der Fehler von Maschinenbedienern. Ein Report der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung kam vor Jahren zu erschreckenden Ergebnissen: Bei etwa einem Drittel aller Maschinen werden Sicherheitseinrichtungen manipuliert, vor allem elek-tromechanische Positionsschalter sind beliebt.

Für Professor Deutges hat es deshalb wenig Sinn, die technische Sicherheit weiter zu steigern, ohne zunächst den Menschen davor zu betrachten.

Lesen Sie dazu auch:

Autor: Michael Pyper, freier Autor für ke NEXT

Sie möchten gerne weiterlesen?