Robot or cyborg working in warehouse. Future Innovation. Generative AI

Wird Staplerfahrer Klaus jetzt arbeitslos? Werden bald nur noch automatisierte Systeme durch die Gänge dunkler Lager unterwegs sein? (Bild: stock.adobe.com / AI Farm)

AGV MiR250 Roboter
Bei Forvia in Tschechien transportieren MiR600 leere Paletten zu den Montagelinien und volle Paletten in den Logistikbereich. (Bild: Forvia)

AGVs und AMRs halten Einzug in Hallen und Lager, zwischen Maschinen und Regalen bewegen sich Flurförderzeuge mannlos, der klassische Gabelstaplerfahrer verschwindet.

Die Intralogistik und Fördertechnik ist die drittgrößte und eine der am schnellsten wachsenden Teilbranchen des Maschinenbaus. Rund 75.000 Personen arbeiten bei den Herstellern von Produkten für Lager- oder Transportleistungen. Viele der bedeutendsten Unternehmen dieser Branche haben ihren Sitz in Deutschland und Europa. Die Branche ist stark exportgetrieben. Die Sozialökonomin Katrin Schmid hat sich in einer Branchenanalyse im Auftrag der Hans-Böckler Stiftung intensiv mit der Fördertechnik- und Intralogistik auseinandergesetzt. Sie berichtet von einem großen Umbruch, der seit einigen Jahren zu beobachten sei.

„Es gibt keine scharfen Grenzen mehr," so Schmid. Klassische Fördertechnik-Unternehmen wie Still oder Jungheinrich weiten ihre Geschäftsaktivitäten auf die Intralogistik aus; neben dem klassischen Stapler bieten sie Lager- und Fördertechnik sowie Lagerverwaltungssysteme an. "Die Flurförderzeuge-Hersteller bauen außerdem verstärkt Software-Know-How auf. Auch in diesem Bereich gab es in den letzten Jahren eine Reihe an Zukäufen“, berichtet Schmid.

Treiber ist der Trend zu automatisierten Systemen: neben dem altbewährten Gabelstapler erfreuen sich AGV und AMRs immer größerer Beliebtheit. Der Staplerhersteller Jungheinrich übernahm vor gut einem Jahr die arculus GmbH, einen Anbieter von Autonomous Mobile Robots (AMR). Damit eröffnete sich Jungheinrich den Zugang zum Geschäftsfeld Underload Transport und Ware-zur-Person-Kommissionierung (G2P). Doch auch die klassischen Automatisierer haben die Intralogistik im Visier: ABB kann mit der Übernahme der ASTI Mobile Robotics Group  nun ebenfalls AMRs anbieten. Der Nürnberger Antriebs- und Automatisierungsspezialist Baumüller kooperiert mit SESTO Robotics aus Singapur. Damit baut auch Baumüller sein Geschäft mit AMRs aus.

Doch nicht nur die Umsätze der Anbieter von AMRs und AGVs steigen, Schmid berichtet in ihrer Studie von einer positiven Umsatzdynamik quer über alle Segmente der Branche: „Die Umsätze sind hier im Vergleich zum Maschinenbau insgesamt mit einem Plus von 16 Prozent seit 2008 überproportional gestiegen. Im Jahr 2019 wurde in den knapp 600 Betrieben der Branche ein Umsatz von 20,5 Milliarden Euro erwirtschaftet.“

Intralogistik wächst trotz Lieferkettenproblematik

Laut VDMA konnte dem dynamischen Wachstum nicht einmal Pandemie und Lieferkettenproblematik langfristig schaden: Das Produktionsvolumen ist 2021 um 9 Prozent gegenüber 2020 gewachsen. „Im Bereich Automatisierung haben wir ein zweistelliges Wachstum“, berichtet auch Frank Heptner, Vice President Linde Material Handling. Bereits 2015 startete Linde MH mit dem Angebot von automatisierten Standard-Serienfahrzeugen, die sich mittels Geonavigation im Raum orientieren.

Was ist ein AGV?

AGV ist die Abkürzung für Automated Guided Vehicle, was so viel wie automatisch geführtes Fahrzeug bedeutet. Es handelt sich dabei um einen autonomen mobilen Roboter, der in der Lage ist, sich selbstständig und ohne menschliche Führung in einer bestimmten Umgebung zu bewegen und verschiedene Aufgaben auszuführen, wie z. B. den Transport von Materialien oder die Durchführung von Inspektionen. AGVs werden häufig in der Fertigungsindustrie eingesetzt, um Materialflüsse zu automatisieren und die Effizienz von Produktionsprozessen zu verbessern.

Prof. Monika Maria Möhring
Zitat

„Die Jobs für Fahrer von Flurförderzeugen werden weniger.“

Prof. Monika Maria Möhring, Logistik und Innovationsmanagement an der HS Mittelhessen

(Bild: HS Mittelhessen)
Überblick über die Logimat
Volle Hallen, volle Gänge: Die Logimat 2023 konnte sich schon am ersten Messetag über ein reges Besucherinteresse freuen. (Bild: P.Koller)

Die Nachfrage an automatisierten Intralogistik-Lösungen aus der Industrie ist hoch. Prof. Monika Maria Möhring lehrt an der Hochschule Mittelhessen Logistik und Innovationsmanagement. Sie erinnert sich gut an einen Gabelstaplerfahrer, der in seinem Betrieb, konfrontiert mit autonomen Flurförderzeugen, schnell erkannte, wohin die Reise geht. Er schaffte es, sich im Studium zum Intralogistiker weiterzubilden. „Die Intralogistik ist in der Industrie einer der letzten Bereiche, der automatisiert wird. Innerhalb der nächsten 20 Jahre wird der Kostendruck voraussichtlich weiter steigen und damit auch der Automatisierungs-Druck“, sagt Prof Möhring, die neben dem Technologie-Druck, aber auch einen Technologie-Reiz, beobachtet.

Neuheiten auf der LogiMAT

Wie groß dieser Reiz ist, konnte auf der Fachmesse LogiMAT beobachtet werden. Dort fuhren die Hersteller mit allem auf, was heute für die Gestaltung und das Handling innerbetrieblicher Prozesse möglich ist. Bosch Rexroth zeigte, wie sich die Automatisierungsplattform ctrlX AUTOMATION als Verbindungselement zwischen Maschinensteuerung, IT und IoT in der Intralogistik nutzen lässt. Die spezifischen Anforderungen wie Security, Vernetzung, Mobile Robotik und Nachhaltigkeit werden dabei berücksichtigt. Außerdem bietet das Unternehmen neue Mehrachs-Linearsysteme mit Hublängen von bis zu drei Meter in X- und Y-Richtung sowie bis zu 1,5 m in Z-Richtung für die Intralogistik inklusive Kommissionierung und Verpackung.

Was ist ein AMR?

AMR steht für Autonomous Mobile Robot. Im Gegensatz zu AGVs sind AMRs nicht an eine feste Infrastruktur wie Magnetbänder oder Schienen gebunden, sondern navigieren autonom und flexibel in ihrer Umgebung. Dazu nutzen sie in der Regel verschiedene Sensoren wie Kameras, Laser oder Ultraschall, um ihre Umgebung zu erfassen und sich darin zu orientieren. AMR werden häufig in der Intralogistik eingesetzt, um Waren und Materialien über kurze Strecken innerhalb von Gebäuden zu transportieren oder um Aufgaben wie Inventuren oder Reinigungsarbeiten autonom durchzuführen.

Katrin Schmid, MA Sozialökonomie, wmp consult
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„Die Fördertechnik- und Intralogistikbranche wird langfristig eine Wachstumsbranche bleiben.“

Katrin Schmid, wmp consult

(Bild: wmp)

Duzende Hersteller präsentieren Apps, Programme und Plattformen für die verschiedensten Steuerungs-, Verwaltungs- und Managementaufgaben. So etwa Sensorhersteller Captron mit seiner Warehouse Management Software oneGRID - eine Pick-by-Light-Lösung, die die Effektivität von Intralogistik-Prozessen nach eigener Aussage um 20 bis 50 Prozent steigert. Oder Otto Roth mit seiner Online-Plattform für das Behälter- und C-Teile-Management.

Komponenten für Lager und Fördertechnik zeigen Hersteller wie Leantechnik: Für die Hubtische von Regalbediengeräten bietet der Hersteller Zahnstangengetriebe, die die hochgenaue Positionierung von Transportboxen in einer Tragstruktur aus aufgestapelten Ladungsträgern ermöglichen.

Ausfallsicherheit, höhere Qualität, schnellere Prozesse

Ist die Automatisierung der Intralogistik eher ein Muss oder Spielerei technikverliebter Unternehmer? Laut Möhring spricht vieles für sie: Ausfallsicherheit, höhere Qualität, günstigere und schnellere Prozesse. Heptner ergänzt: „Die Betriebe erreichen ein Plus an Sicherheit. Sitzt ein Mensch auf dem Fahrzeug ist das Fehlerrisiko höher, da wird mal aufs Handy geschaut oder zu schnell um eine Kurve gefahren.“ Der Automobilzulieferer FORVIA setzt mit aus diesem Grund eine Flotte von MiR-Robotern ein. Neben der gesteigerten Produktivität konnte mit den 14 Robotern die Sicherheit durch den Wegfall von Gabelstaplern in der Fertigung deutlich verbessert werden.

Impressionen des Intralogistik Komplettsystems der Firma Exotec auf der Logimat 2023 in Stuttgart

„Ein weiterer Pluspunkt für die Unternehmen ist, dass die Systeme auch nachts zuverlässig arbeiten“, so Heptner. Bereits heute gibt es Systeme, die Hindernissen flexibel und wenig ausweichen können. „Das wird in Zukunft noch mehr werden“, meint Heptner. Die Kunst dabei sei es, die richtige Balance zwischen einer Fahrweise zu finden, die entweder auf Leistung ausgerichtet ist oder in stark frequentierten Bereichen eine ‚Hindernis-Umfahrung‘ nutzt.

Allerdings birgt die Einführung von AGVs, AMRs und Co auch gewisse Risiken. „Bei einem Change-Projekt kommt es auf die Neuartigkeit der Technologie ebenso an, wie auf die Erfahrung in der Branche und im Unternehmen selbst. Vor der Entscheidung für eine neue Technologie sollte in jedem Fall eine Risikoabwägung stattfinden“, sagt Prof. Möhring. Umso weniger Erfahrungen in der jeweiligen Branche und in Bezug auf die eingesetzte Technologie vorhanden sind, umso höher ist das Risiko. Zu den Voraussetzungen, die im Vorfeld abgeklärt werden müssen, gehört die Frage, ist qualifiziertes Fachpersonal für die künftige Wartung des neuen Systems vorhanden?

Frank Heptner, Realisation Intralogistics Solutions bei Linde
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„Wir befinden uns in der nächsten Stufe einer natürlichen Evolution von manuell zu automatisiert.“

Frank Heptner, Realisation Intralogistics Solutions bei Linde

(Bild: Linde)

Disziplin in den Details nennt Heptner als eine der Grundvoraussetzungen eines Automatisierungs-Vorhabens „Oft scheitert es an Dingen, wie zum Beispiel der Verfügbarkeit von Paletten mit guter Qualität“, sagt der Experte von LM. Stehen die Paletten schräg zum Fahrweg oder ist das Holz zersplittert, können sie nicht automatisiert aufgenommen werden. „Werden Genauigkeit und Disziplin jedoch verinnerlicht, laufen automatisierte Systeme richtig gut“ so Heptner.

Risiken von Intralogistik-Projekten

Ein weiteres Risiko liegt in der Bereitschaft der Belegschaft: hat sie Erfahrung mit ähnlichen Projekten? Nicht unterschätzen sollte man die emotionalen Befindlichkeiten vor Ort, die Fahrzeuge in manchen Betrieben sind für die Produktionsmitarbeiter mehr als bloße Arbeitsmittel, sie bekommen von der Belegschaft Namen wie echte Personen. „Der Roboter wird nicht immer als Freund angesehen“, bestätigt Heptner. Daher bietet Linde MH nicht nur reine FTS und AMRs an, sondern auch hybride Lösungen, wie den deichselgeführten Hubwagen Linde L-Matic. Es handelt sich um automatisierte Seriengeräte, bei denen auch im laufenden Betrieb eine manuelle Bedienung jederzeit möglich ist. Das baut Vorbehalte ab und erleichtert die Entscheidung, neue Wege zu gehen. Die Unternehmensleitung sollte sicherstellen, dass ihr Logistik-Projekt mitgetragen wird. „Ein Wandel muss elegant vollzogen werden, damit nicht etwa die Falschen abwandern“, so Prof. Möhring. Sie hat auch schon erlebt, dass interessierte Unternehmen absprangen, da komplexere Projekte nicht ganz reibungslos umgesetzt werden konnten, sagt Möhring.

Exotec Intralogistik Komplettlösung
Ein wichtiger Trend in der Intralogistik: Komplettlösungen, die sich schnell aufbauen und mit Legacy-Systemen integrieren lassen, wie hier von Exotec. (Bild: P.Koller)

Ein Manko dieser Systeme ist laut Logistik-Expertin Möhring die mangelnde Transparenz der Kosten: „Es müssen drei Ebenen betrachtet werden: die dingliche, die digitale und die betriebswirtschaftliche Ebene. Die wird in der Intralogistik allerdings häufig vernachlässigt.“ Die betriebswirtschaftliche Seite wird als lästiges Anhängsel betrachtet, da die Logistiker mit Pauschalen kalkulieren, anstelle mit den Kosten der real stattfindenden Prozesse. „Die sehen in der Industrie aber nun mal sehr unterschiedlich aus, ja nachdem, ob die Ware gekühlt werden muss, ob es sich um Gefahrgut, Lebensmittel oder Elektronikkomponenten handelt“, so Möhring. Um die wahren Kosten für eine einzelne Logistik-Dienstleistung zu ermitteln, hilft die Digitalisierung der Abläufe. Als Vorzeigebeispiel nennt sie die Automobilindustrie.

„Den Königsweg in der Intralogistik gehen die Automobilhersteller. Dort werden die Logistikkosten für jedes ans Band gelieferte Teil fakturiert und zu den Daten des jeweiligen Fahrzeugs abgespeichert. Und wenn der Deckungsbeitrag durch zu hohe Lagerkosten von Kotflügeln oder Sitzheizungen zu gering ist, wird die Logistik dieser Teile an kostengünstigere Dienstleister outgesourct oder zu wahren Kosten intern verrechnet.“

Doch nicht nur in der Automobilindustrie wird automatisiert: „Der Druck ist in vielen Betrieben vorhanden, auch weil es immer schwieriger wird, Logistik-Fachkräfte wie Gabelstaplerfahrer zu finden“, sagt Heptner. Ein Heer an arbeitslosen Gabelstaplerfahrer ist demnach nicht zu erwarten. „Es gibt zu wenig oder überaltertes Personal. Gleichzeitig wachsen alle Bereiche innerhalb der Logistik“, sagt Prof. Möhring.

So werden künftig Gabelstaplerfahrer Tätigkeiten in den Bereichen Inventarisierung, Warenannahme oder Ausgabe, Quittierung und an der Schnittstelle zum LKW übernehmen müssen, denn sicher ist: „Die Jobs für Fahrer von Flurförderzeugen werden weniger werden“, sagt Prof Möhring.

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