Brexit,

Mit Großbritannien verlässt ein notorischer Euroskeptiker die EU. (Bild: Fotolia, Michele Paccione)

Großbritannien hatte in der EU schon immer eine leicht exotische bis exzentrische Stellung. Mit dem „Geeint sein in der Vielfalt“ konnte sich der Inselstaat nie wirklich anfreunden – ein Gemeinschaftssinn, der vielleicht dem europäischen Festland gut zu Gesichte stehen würde, jedoch die Insel im Atlantik nicht unbedingt mit einschließen muss. Das machte bereits Wins­ton Churchill 1946 in einer Rede deutlich, in der er sich zwar für die Schaffung einer „Art Vereinigter Staaten von Europa“ aussprach. Jedoch machte er in eben dieser Rede auch deutlich, dass Großbritannien nicht Bestandteil, sondern lediglich Freund und Förderer eines solchen integrierten Europas sein würde. Damit ist Churchill zwar bei Weitem nicht der Erste, der die Idee eines geeinten Europas ausgesprochen hat – der Historiker Rolf Hellmut Foerster beziffert die Zahl der Einigungspläne zwischen 1306 und 1945 auf knapp 200 – jedoch war es ausgerechnet ein Brite, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg – und damit in der ausschlaggebenden Findungsphase der späteren Europäischen Union – hervorgetan hat.

Und doch konnte es sich Großbritannien nicht entgehen lassen, bereits bei der ersten Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft 1973 zusammen mit Irland und Dänemark in den Staatenverbund einzutreten, trotz der Verpflichtung, den Acquis Communautaire zu übernehmen – sprich alle die Europäische Gemeinschaft betreffenden Rechtsakte. Eine Art mitgefangen, mitgehangen. Aber die Skepsis bleibt: Bereits zwei Jahre nach dem Beitritt findet ein Referendum statt, bei dem die Briten eine ähnliche Frage beantworten mussten wie im Juni 2016: „Glauben Sie, dass das Vereinigte Königreich im Gemeinsamen Markt bleiben soll?“ Das glaubten vor etwas mehr als 40 Jahren noch 67,2 Prozent der 17,4 Millionen abstimmenden Briten. Das ist nun Geschichte. Mehr als vier Jahrzehnte später, am 23. Juni 2016, hat das britische Volk sich per Referendum für einen Austritt aus der Union entschieden – auch, wenn der Ausgang mit 51,9 Leave-Stimmen zu 48,1 Prozent Remain-Stimmen knapp war.

Ist das schlimm?

Der Brexit,
Der Brexit und seine Auswirkungen. (Bild: ke-next.de / jl)

Einer der vielleicht gravierendsten Unterschiede zwischen den beiden Abstimmungen: 2016 ging es nicht mehr vorwiegend um wirtschaftliche Angelegenheiten. Der Europäische Wirtschaftsraum (EWR) der 70er-Jahre hat sich zur Europäischen Union weiterentwickelt und es geht um mehr als den Binnenmarkt. Es geht auch um EU-Regulierungen, die häufig als Bevormundung aufgefasst werden oder den problemlos möglichen Zuzug anderer EU-Bürger oder die Flüchtlinge, deren Verteilung innerhalb der EU die Gemüter erhitzt; der Binnenmarkt ist nur noch ein Teil des Puzzles – und längst nicht so populär wie etwa die Flüchtlingsfrage. Und im Endeffekt sind es doch die wirtschaftlichen Fragen, die nun Sorgen bereiten – die Verflechtungen sind nun einmal tief.

Wenn man an die britische Wirtschaft denkt, kommt einem zunächst der Finanz- beziehungsweise Dienstleistungssektor in den Sinn, der 77 Prozent der britischen Wirtschaftsleistung ausmacht. Jedoch ist der Maschinenbau bei Weitem nicht zu vernachlässigen. Im weltweiten Ranking ist das Land nicht allzu weit von den großen Drei – China, USA und Deutschland – entfernt. Mit einem Umsatz von 44 Milliarden, den die Branche 2015 in Großbritannien generierte, lag das Land auf Platz 8. Innerhalb der EU schafft es Großbritannien mit seinem Maschinenbau sogar auf Platz 4. Daher auch die Einschätzung des Leiters der Abteilung Außenwirtschaft des VDMA, Ulrich Ackermann: „Der Brexit könnte die Grundlagen für den Handel mit Großbritannien – immerhin Exportmarkt Nummer vier und wichtiger Investitionsstandort – spürbar beeinträchtigen.“ Keine positive Einschätzung und vor allem, wenn es zu einem harten Austritt Großbritanniens aus der EU – sprich inklusive Ausschluss aus dem Binnenmarkt – kommen sollte, wären die Folgen spürbar.

Und das nicht nur für die Briten: „Kommt es tatsächlich zu einem Ausscheiden Großbritanniens aus dem Binnenmarkt, so wäre dies mit der Einfuhr von Zöllen und zusätzlichen Abwicklungskosten verbunden. Das Wirtschaftswachstum in Großbritannien würde auf Jahre verlangsamt und damit zu einer verringerten Nachfrage nach Maschinen und Anlagen führen. Zudem würde Großbritannien die Teilhabe an den aktuell bestehenden über 50 EU-Freihandelsabkommen verlieren, was sowohl die Briten als auch die übrigen EU-Länder schwächen dürfte“, so Ackermann. Hinzu käme für ihn, dass die Unternehmen hinsichtlich des konkreten Austrittstermins und der Austrittsmodalitäten verunsichert seien, schlechte Voraussetzung für ein gutes Investitionsklima. „Damit verbunden ist eine Zurückhaltung der Unternehmen im Investitionsbereich festzustellen“, so Ackermann. Für die britische Seite hingegen könnte der Brexit – zumindest kurzfristig – positive Auswirkungen haben. Das erklärt der Analyse-Dienst IHS mit der Schwächung des Britischen Pfund. Eine „günstige“ Währung bedeutet eben günstige Produkte. Hinzu käme, dass das Land nun seine eigenen Handelsabkommen abschließen könne.

Ulrich Ackermann,
Ulrich Ackermann, (Bild: VDMA)

„Der Brexit könnte die Grundlagen für den Handel mit Großbritannien – immerhin Exportmarkt Nummer vier und wichtiger Investitionsstandort – spürbar beeinträchtigen. Die Unternehmen sind zudem hinsichtlich des konkreten Austrittstermins und der Austrittsmodalitäten verunsichert. Damit verbunden ist eine Zurückhaltung der Unternehmen im Investitionsbereich festzustellen“, so Ulrich Ackermann, Leiter Abteilung Außen­wirtschaft des VDMA.

Es kann nur spekuliert werden, wie der Brexit ausgeht. Gift für einen Wirtschaftszweig wie den Maschinenbau, der auf langfristigen Investitionen aufbaut. Und eine Krux wartet in jedem Fall auf alle Beteiligten: Die Sache mit dem Binnenmarkt ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite bedeutet der Wegfall eines Mitgliedstaates wie Großbritannien eine Schwächung seiner Schlagkraft und einen Rückgang seiner Wirtschaftskraft. Erlaubt man den Briten jedoch, weiterhin die Teilnahme am gemeinsamen Markt, könnte das ein starkes Signal für andere Staaten mit Austrittsgedanken sein.

Ab da wäre eine EU „à la carte“ denkbar: jeder sucht sich die Bestandteile der EU aus, die ihm am besten gefallen. Jedoch zeichnet sich ab, dass die Briten endlich bekommen, was Churchill 1946 vorschwebte: Premierministerin Theresa May erklärte im Oktober, man wolle weiterhin ein enges Verhältnis mit Brüssel pflegen und ein „starker verlässlicher Partner“ für die Europäische Union sein, so das Handelsblatt. Wie stark die partnerschaftlichen Gefühle auf Seiten der EU – und vor allem ihres Binnenmarktes – sein werden, wird sich erst noch zeigen müssen.

Der Brexit und seine Risiken.
Der Brexit und seine Risiken. (Bild: ke-next.de / jl)

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