Umsetzung e-mobiler Antriebstechnik von Wittenstein 1

Was Wittenstein auf der Hannover Messe 2010 gezeigt hat, wird jetzt im Projekt StreetScooter umgesetzt: Ein modulares Antriebskonzept für elektromobile Fahrzeuge, das einen guten Wirkungsgrad für höchstmögliche Reichweiten der Fahrzeuge bietet und auch sicherheitstechnische Aspekte berücksichtigt. Vorgestellt wurde ein sehr kompaktes und robustes Antriebssystem, das Motor, Elektronik und Getriebe integriert sowie Formel 1-verdächtige Beschleunigungswerte erzielt – und das alles immerhin vollkommen emissionsfrei.

Von großer Bedeutung für das Projekt StreetScooter – eine gemeinsame Initiative automobiler Zulieferer und der RWTH Aachen – ist dabei, dass in den kosteneffizient hergestellten Wittenstein-Antriebsmodulen  Motor, Getriebe und Elektronik bestens miteinander harmonieren und so ein höchstmöglicher Wirkungsgrad erreicht wird.

 

Ökologische, ökonomische und individuelle Fortbewegung sind die grundlegenden Gedanken, mit denen das Thema E-Mobilität in Verbindung gebracht wird. Knappe Ressourcen mit steigenden Preisen sind für jeden Einzelnen spürbar ebenso wie die Folgekosten, wenn es nicht gelingt, eine Reduzierung der Umweltbelastung beispielsweise durch Treibhausgase zu erreichen.

Die Mobilität der Zukunft müsse daher „ressourcenunabhängiger, umweltfreundlicher und nachhaltiger“ sein, sagte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel kürzlich vor Fachleuten anlässlich der Etablierung der Nationalen Plattform Elektromobilität. Zudem bieten elektrische Antriebe große Potenziale zur Verringerung der Abhängigkeit von Erdöl als Energieträger sowie zur Reduzierung von CO2- und lokalen Schadstoffemissionen.

Heiko HaagGleichzeitig jedoch nimmt der individuelle Mobilitätsbedarf weiter zu, zum Beispiel in Mega- und Großstädten sowie den sie umgebenden Ballungsgebieten, in denen im Jahr 2015 etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung leben werden. Umweltschonende und gleichzeitig bedarfsgerechte Konzepte wie die Elektromobilität sind daher für die Zukunft von vitaler Bedeutung.

Mehr als nur eine andere Energieversorgung

Elektrische Energie kommt in fast jedem Fahrzeug zum Einsatz, ohne dass es sich hierbei automatisch um ein Elektrofahrzeug handelt. In Anlehnung an den Nationalen Entwicklungsplan 2009 der Bundesregierung, auf dessen Grundlage Wissenschaft, Industrie und Politik eine konzertierte Strategie von der Grundlagenforschung bis hin zur Markteinführung entwickeln und voranbringen sollen, ist für ein Elektrofahrzeug kennzeichnend, dass der Anteil der Nutzung des Stromnetzes für die Batteriespeisung bei 100 Prozent liegt.

Bei anderen Fahrzeugtypen – Elektrofahrzeugen mit Reichweitenverlängerung, Plug-In-Hybridfahrzeugen oder reinen Hybridfahrzeugen – kommt immer ein klassischer Verbrennungsmotor als Hilfssystem zum Einsatz. Und auch das Brennstoffzellenauto, das von einem Elektromotor angetrieben wird, erhält seine Energie nicht über das externe Stromnetz, sondern über die Brennstoffzellen an Bord. Vereinzelt sieht man sie auch schon, solche rein elektrisch betriebenen Autos, mit denen die Ressourcen geschont, die Umwelt entlastet und das individuelle Fortkommen ermöglicht wird.

Anfang 2009 waren in Deutschland insgesamt 1452 Fahrzeuge dieser Art zugelassen – verschwindend wenig bei einem Gesamt-Zulassungsstand von mehr als 41 Millionen Fahrzeugen. Und es ist auch kein Wunder, dass diese Fahrzeuge es bis heute nicht geschafft haben, E-Mobilität zur Volksbewegung zu machen, denn Preis und Leistung stimmen nicht. „Die meisten der heutigen Elektrofahrzeuge sind im Wesentlichen nichts anderes als umgerüstete Autos ohne Verbrennungsmotor“, sagt Dr. Bernd Schimpf, Leiter Generierungsprozess bei Wittenstein.

„Diese Fahrzeuge sind hinsichtlich Platzangebot und Reichweite oft nicht alltagstauglich und zudem viel zu teuer, da es sich um Individual- oder Kleinserienumbauten handelt, bei denen die Komponenten wie auch der Umrüstaufwand relativ teuer sind.“

Produktionstechnik in der Entwicklung berücksichtigen

Was also macht ein Elektrofahrzeug der Zukunft aus? Diese Gedanken hat man sich an der RWTH in Aachen gemacht und mit StreetScooter ein Projekt ins Leben gerufen, das Unternehmen der automobilen Zulieferindustrie sowie der elektromobilen Schlüsseltechnologien zusammenbringt.

„Wittenstein und die anderen Partner im StreetScooter-Netzwerk haben sowohl auf der Produktseite wie auch auf der Produktionsseite die Prozesse verstanden, so dass wir Produkt und Prozess integriert entwickeln können“, sagt Prof. Dr.-Ing. Achim Kampker, RWTH Aachen, Werkzeugmaschinenlabor WZL und Lehrstuhl für Produktionsmanagement.

Sie sollen gemeinsam ein kostengünstiges Elektroauto für den urbanen Verkehr entwickeln und gleichzeitig ein Konzept für dessen serien- und kostengerechte Produktion erarbeiten. „Entscheidend ist, dass die Produktionstechnologie bereits in der Entwicklungsphase berücksichtigt wird“, erläutert Prof. Kampker.

„Hier gibt es drei Schwerpunkte: Erstens das Erreichen einer Kostenstruktur, um einen  Verkaufspreis von 5000 Euro ohne Mehrwertsteuer und Batterie-Leasing zu erreichen; zweitens der Aufbau eines Lieferantennetzwerkes und drittens Schaffung einer effizienten Produktionsstruktur durch frühzeitiges Vordenken und Abbilden entsprechender Prozesse und Konzepte.“

Klassische Endmontage passee

Durch eine modulare Baukastenstruktur und eine integrierte Produkt-Prozess-Gestaltung soll der serientaugliche StreetScooter später zu minimalen Herstellkosten produzierbar sein und somit frühzeitig einen breiten Massenmarkt erreichen. „Das Ziel ist eine stringente Wertschöpfungskette für die Mobilität der Zukunft, die sich dann auch in neuen Fahrzeugkonzepten, anderen mobilen Maschinen und intelligenten Produktionstechnologien niederschlagen wird“, sagt Dr. Bernd Schimpf.

Entsprechende Trends und Tendenzen lassen sich bereits jetzt in der Initiative StreetScooter ablesen. So setzen die Wissenschaftler der RWTH, was die Fahrzeugmontage betrifft, beim StreetScooter unter anderem auf ein neues Produktionskonzept.  Das Fahrzeug wird in mehrere Vertikalmodule aufgeteilt, also Vorderwagen, Fahrgastzelle vorne, Fahrgastzelle hinten und Heckmodul.

Die klassische Endmontage im Autobau wird ersetzt durch das Zusammenführen komplett vorgeprüfter Module, die von verschiedenen Lieferanten kommen können. Über die Module wird dann auch die Variantenvielfalt der Fahrzeuge definiert – vom Zweisitzer über das Cabrio bis hin zu einem Pickup.

Es zeigt sich also, was Experten bereits vermutet haben: Die Elektromobilität wird in neuen Produktionstechnologien und neuen Fahrzeugkonzepten ihren Ausdruck finden. Was den StreetScooter betrifft, so stellen die zahlreichen Fahrzeugvarianten aufgrund der unterschiedlichen Einsatzzwecke auch unterschiedliche Anforderungen an die elektrische Antriebstechnik.

Hier kann Wittenstein aus den verschiedenen Baukästen für Motoren, Getriebe und Elektronik Antriebe unterschiedlicher Leistungsklassen herstellen – passend für den jeweiligen StreetScooter. Was so einfach klingt, nämlich ein Elektrofahrzeug segmentweise zu konzipieren und die Fahrzeugvariante durch Zusammenfügen der Module festzulegen, erfordert einen erheblichen Entwicklungs- und Koordinationsaufwand und die richtigen Technologiepartner.

Hierfür wurden im StreetScooter-Projekt insgesamt neun LEGs (Lead-Engineering-Groups) definiert, die für unterschiedlichen Technologiethemen, beispielsweise Karosserie, Sicherheit oder Speichersysteme, zuständig sind. Eine LEG heißt „Elektrischer Antrieb“ und wird von Wittenstein geleitet. „Wie wichtig die Ergebnisse gerade dieser LEG sind, kann man abschätzen, wenn man weiß, dass 30 Prozent der Herstellungskosten eines StreetScooters auf die Antriebstechnik entfallen“, erklärt Dr. Bernd Schimpf.

„Als Antriebsspezialist tragen wir somit auch eine große Verantwortung für das Gelingen des StreetScooter-Projektes und bringen daher unsere ganze Erfahrung mit Antriebssystemen aus anderen Branchen wie Luft- und Raumfahrt- oder Medizintechnik ein, in denen es um kompakte, zum Teil miniaturisierte Lösungen mit höchstem Wirkungsgrad und Leistungsgewicht geht.“

Als neu entwickeltes Elektroauto stellt der StreetScooter eine ideale Innovationsplattform dar. Dies gilt besonders für marktnahe Entwicklungen und Technologien. So könnten beispielsweise Elektroantriebe direkt in die Radnaben eingebaut werden, wodurch alle sonst üblichen Komponenten des Antriebsstranges im Fahrzeug entfallen: Antriebswellen, Differenziale und Getriebe werden nicht mehr gebraucht.

Die antriebstechnischen Ergebnisse von Wittenstein für e-mobile Fahrzeugkonzepte sprechen für sich. Leistungsgewicht 2,0 Kilowatt pro Kilogramm, maximales Drehmoment 920 Newtonmeter, von 0 auf 200 Kilometer pro Stunde in sechs Sekunden – auf der letzten Hannover Messe hat Wittenstein ein sehr kompaktes und robustes Antriebssystem vorgestellt, das Motor, Elektronik und Getriebe integriert und vollkommen emissionsfrei höchste Beschleunigungswerte erzielt.

Alle Komponenten bestens aufeinander abgestimmt

Von großer Bedeutung für das StreetScooter-Projekt ist zum einen, dass innerhalb der Antriebsmodule die Komponenten Motor, Getriebe und Elektronik bestens aufeinander abgestimmt sind und dass ein höchstmöglicher Wirkungsgrad für maximale Fahrzeugreichweite erreicht wird.

Zudem erfüllen sie höchste Einsatz- und Zuverlässigkeitsanforderungen. „Alle Komponenten sind made by Wittenstein und optimal aufeinander abgestimmt“, sagt Dr. Schimpf. „Hinzu kommt, dass wir, dem Baukastengedanken folgend, nach und nach verschiedene Systeme verfügbar haben werden.

Dadurch können wir Antriebe unterschiedlicher Leistungsklassen und in unterschiedlichen Stückzahlen konfigurieren und gleichzeitig die Kostenvorteile der Großserienfertigung der einzelnen Komponenten nutzen. Und mit der wirtschaftlichen Produzierbarkeit der Antriebe tragen wir zur Erreichung der 5000 Euro-Zielvorgabe für den StreetScooter einen entscheidenden Anteil bei.“

Einzigartiges Sicherheitskonzept

Die Entwicklung des elektrischen Antriebsstranges aus modularen Baukästen für Motoren, Getriebe und Elektronik ist nicht nur eine Frage der dauernden Optimierung von Wirkungsgraden und Fahrzeugreichweiten, sondern auch ein sicherheitstechnisches Thema von neuer Ausprägung.

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang zum einen die Sicherheit der Antriebe selbst und zum anderen die Erreichung eines sicheren Betriebszustandes in besonderen Betriebssituationen. Hierfür hat Wittenstein ein in seiner Art einzigartiges Sicherheitskonzept entwickelt. „Unsere intelligente Elektronik überwacht unter anderem die Hochvolt-Spannung, die Hilfsspannung und den Überstrom am Motor“, erläutert Dr. Bernd Schimpf.

„Sie erfasst die Daten der Positions- und Motorstrom-Sensorik sowie der Temperaturmsensorik in Motor und Endstufe.“ Wie die sichere Antriebsüberwachung jeweils reagiert, hängt stark vom jeweiligen Antriebsstrang beziehungsweise seiner Module ab und kann im Vorfeld auf die Einsatzbedingungen und die Sicherheitsanforderungen abgestimmt werden.

Wenn Ende 2011 das erste Testfahrzeug unterwegs sein wird, weitere bis Ende 2012 hinzukommen werden und ab 2014 mit der Serienfertigung begonnen wird, hat Wittenstein mit seinem Know-how und der Umsetzung in effiziente, sichere und bezahlbare Antriebstechnik dem StreetScooter erfolgreich den Weg bereitet – und damit auch der Elektromobilität insgesamt.

www.wittenstein.de

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