Winfried Hils -

„Man muss reale mechatronische Komponenten entwickeln. Da muss alles, was die Komponente kann, integriert sein: Energieversorgung, Kommunikation, Intelligenz, alles.“ Winfried Hils, Zimmer - Winfried Hils leitete 35 Jahre lang die Systemtechnik und Vorentwicklung der Firmengruppe Homag. Seit drei Jahren ist er Leiter der Vorentwicklung bei Zimmer. (Bild: Zimmer)

Sie sind seit etwa drei Jahren Leiter der Vorentwicklung bei Zimmer. Gibt es schon Ergebnisse Ihrer Arbeit?
Wir machen die Vorentwicklung für all unsere Geschäftsgebiete, entsprechend breit sind die Projekte aufgestellt. Die ersten Produkte, die daraus entstanden sind, sind mechatronische Greifer. Im Gegensatz zu dem, was man bisher am Markt bekommt, sind Regler und Intelligenz im Greifer eingebaut, sodass man keine externen Regler braucht. Dann haben wir, Richtung Industrie 4.0 denkend, auch Connectivity hergestellt, und zwar mit IO-Link. Wir halten IO-Link für den USB der Automation. Easy to use und easy to handle, das wollen wir in mechatronische Produkte bringen.

Warum IO-Link?
Weil man dafür keine Elektriker braucht, weil alles im Niederspannungsbereich ist und weil das System feldbusunabhängig ist. IO-Link ist kein Netzwerk. IO-Link ist eine Peer-to-Peer-Verbindung. Zur Vernetzung braucht IO-Link einen Feldbus. Und da IO-Link gar nichts von dem Feldbus weiß, der ihn später mal treibt, kann man bei der Beschreibung einer IO-Link-Komponente auch nichts über den Feldbus aussagen und andersrum, es kann nichts eingefordert werden. Ein IO-Link-Gerät kann nie von sich aus ins Internet gehen. Wir brauchen uns bei diesen Komponenten über Security keine Gedanken zu machen, wir müssen uns keine Gedanken machen, wie die Komponente in Siemens-, Beckhoff-, Rockwell- oder weiß ich was für Systemen funktioniert. Das heißt, man hat die Probleme entkoppelt.

Entwickeln Sie eher auf Kundenwünsche hin oder nach dem technisch Machbaren?
Ich war 35 Jahre lang auf der Kundenseite und habe oft Anforderungen definiert. Sicher, OEMs haben klare Vorstellungen, was sie wollen, die muss man befriedigen. Aber auf der anderen Seite, wenn es neue Technologien mit Vorteilen gibt, kann man sie den Kunden auch schmackhaft machen. Wenn Hersteller, die heute pneumatische Systeme aufbauen, plötzlich elektromechanische Komponenten einsetzen sollen, dann muss man einerseits Vorteile bieten, andererseits ähnliche Schnittstellen zur Verfügung stellen, und ein System, dass sie sich zutrauen.

Nehmen Ihre Kunden solche Vorschläge an?
Manche Kunden muss man erst überzeugen, dass man wirklich mehr mit der Anlage machen kann, wenn man Intelligenz reinpackt. Auf der anderen Seite: Bei vielen OEMs stelle ich fest, dass ein Generationenwechsel da ist und viele junge Ingenieure kommen, die die IT-Technik kennen. Die fordern sogar Dinge, die mit den heutigen Standardsystemen nicht so ohne weiteres umsetzbar sind. Also muss man die Plattformen schaffen, das Know-how schaffen, damit man all die Dinge, von denen man in der Industrie 4.0 träumt, auch umsetzen kann.

Interview mit Winfried Hils, Zimmer -
Winfried Hils präsentiert ke-NEXT-Chefredakteur Wolfgang Kräußlich einen Musteraufbau mit Greifern als realmechatonische Komponente. Plug-and-Play funktioniert! (Bild: Zimmer)

A propos, wo stehen wir denn heute in Bezug auf Industrie 4.0?
Wir haben 1999 eine Anlage aufgebaut, die hat alle zwei Sekunden ein anderes Teil produziert. Im Prinzip war das schon eine Industrie-4.0-Anlage. Heute wiederum könnten wir unsere Greifer auch voll vernetzt mit Internet-Anbindung entwickeln. Technisch ist das kein Problem. Aber ich würde zum jetzigen Zeitpunkt kaum jemanden finden, der bereit wäre, das Werkzeug des Roboters intelligenter zu machen als den Roboter. Wobei ich weiß, dass es sehr wohl Gedanken gibt, dass das Werkzeug dem Roboter erklärt, was er damit machen kann. Industrie 4.0 ist keine Revolution, das ist eine Evolution, das ist eine Weiterführung von bekannten Technologien. Man hat dieses Schlagwort dazu benutzt, die Leute aufzurütteln. Im Grunde ist es aber nur ein Synonym für den Wandel, der ohnehin stetig stattfindet.

Was bedeutet dieser Wandel für die Bedienung einer Anlage?
Wir sagen zu einem Menschen, der vor einer Maschine sitzt, das ist ein Bediener. Aber das ist heute nicht seine Rolle. Er ist vielmehr der große Meister des Geschehens, er erklärt der Maschine, was sie tun soll. Das ist 3.0. Bei 4.0 ist es so, dass die Maschine alles weiß, aber sich nicht überall selber helfen kann. Zum Beispiel braucht sie Material, Schmiermittel, sie muss geputzt werden. Dann ist das Wort Bediener wörtlich zu nehmen. Idealerweise navigiert sie den Bediener auch gleich an die Stelle, wo sie ihn braucht. Das ist ein Teil von Industrie 4.0 und ich denke, da werden wir ganz andere Szenarien von Bedienung bekommen als wir sie heute gewohnt sind. Die eigentliche Bremse ist der Mensch, der hat Angst vor Veränderung. Das ist mehr eine philosophische Betrachtung, das muss man aber kapieren. Man kann einen Menschen nicht von heute in die Zukunft katapultieren, man muss ihn hinführen. Und am besten klappt das, indem man ihm das daheim gewohnte Umfeld auch im Betrieb gibt. Als der Personal Computer aufkam, mussten sich auch die EDV-Anlagen verhalten wie die PCs. Heute sind Smartphones und Tablets die Vorbilder.

Was muss man also tun, um 4.0-Maschinen zu erhalten?
Einfach jedem Werker ein Tablet in die Hand zu drücken, ist sicher nicht der Weg. Was macht er, wenn er die Maschine im Wortsinn manipulieren will, also seine beiden Hände braucht? Legt er das Tablet in den Dreck? Was, wenn er dicke Handschuhe anhat? Funktioniert dann das Touch-Display? Womöglich wird die Maschine mit dem Menschen sprechen und vielleicht über Google-Glass-ähnliche Schnittstellen Informationen einblenden. Aber am meisten Potenzial sehe ich in der echten Mechatronisierung der Maschinen.

Herstellerinformation Zimmer Group

Die Zimmer Group wurde 1980 durch die Brüder Martin und Günther Zimmer in Rheinau gegründet. Das Unternehmen, das mittlerweile mehr als 780 Mitarbeiter beschäftigt und einen Jahresumsatz von rund 94 Millionen Euro verzeichnen kann, hat seine über Jahrzehnte gewachsenen Kompetenzen in sechs Technologiebereichen gebündelt: Handhabungstechnik, Dämpfungstechnik, Lineartechnik, Verfahrenstechnik, Werkzeugtechnik und Maschinentechnik. In diesen Technologiebereichen entstehen Produkte mit technologischem Führungsanspruch, die weltweit unter den etablierten Markennamen Benz, Zimmer und Sommer-automatic vertrieben werden.

Das heißt?
Jede Maschine ist ein mechatronisches System, aber es ist meist virtuelle Mechatronik. Das heißt, ein abgrenzbares Modul hat ein paar Elemente im Schaltschrank, ein paar Elemente in der eigentlichen Maschine, ein paar Elemente in der Bedienoberfläche. So wird heute typischerweise noch eine Maschine gebaut. Nun stellen Sie sich vor, man würde Maschinen wie ein Auto bauen: Das wird aus lauter realmechatronischen Komponenten zusammengesteckt, es konfiguriert sich, fünf Minuten vor dem Start bekommt es Sprit, Kühlflüssigkeit, Bremsflüssigkeit, Öl, und dann läuft es. So stelle ich mir Maschinen vor: Man muss reale mechatronische Komponenten entwickeln. Da muss alles, was die Komponente kann, integriert sein. Energieversorgung, Kommunikation, Intelligenz, alles. Das Gerät muss sich zu erkennen geben, damit es, wenn man es zusammengesteckt hat, funktioniert. Man muss die Anbauschnittstelle, die energetische Schnittstelle, die Informations-Schnittstelle und die funktionale Schnittstelle definieren und halten. Dann kann sich jeder in seiner Komponente verbessern, und wenn er die Schnittstellen hält, kann er das noch nach Jahren zusammenbauen. So werden heute Computer gebaut, so werden Drucker gebaut, so werden Autos gebaut. Nur in Maschinenbau und Automation macht man noch diskrete Bauteile, also einen Schalter, ein Ventil, einen Zylinder. Warum macht man nicht mechatronisch-pneumatische oder mechatronisch-elektrische Antriebe?

Und, warum nicht?
Eine Idee muss in ihre Zeit passen. Wir haben schon 1987 Maschinen gebaut, die serienmäßig vernetzt waren, damals war die Netzwerktechnik gerade am Kommen. Aber dann durften wir Netzwerke bei unseren Kunden überhaupt nicht einsetzen! Jetzt haben wir die Kampagne Industrie 4.0 und ich würde sagen, die Zeit ist reif. Einfach, weil die Vernetzung von daheim erlebt wird.

Aber gibt es im Maschinenbau nicht viele Einzelanfertigungen?
Ein Unikat wird nie eine hohe Qualität haben. Es gibt eine direkte Proportionalität zwischen Qualität und Stückzahl. Wenn ich in so einem Unikat die Qualität hochziehen will, habe ich nur die Möglichkeit, dass ich die Zahl der darin verwendeten Komponenten so gering wie möglich halte und diese so oft wie möglich wiederverwende. Und auch das geht am besten mit realmechatronischen Komponenten.

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