Das heißt, als Ingenieur ohne Erfahrung auf diesem Gebiet wurstel ich mich erst mal durch und habe gute Chancen, dass sich meine Defizite negativ auswirken?

Ja, definitiv. Man orientiert sich oft an dem, womit man sich sicher fühlt. Als Ingenieur kenne ich mich mit den technischen Details aus, also werde ich diese lieber diskutieren als organisatorische Belange, bei denen ich mich unsicher fühle. Das heißt aber auch, ich brauche irgendetwas, das mir ein Stück Sicherheit gibt. Und das kann auch ein Mentor im Unternehmen sein, der mit dem Thema Erfahrung hat und mir zur Seite steht, damit ich mir diese Fähigkeiten aneigne.

Welche Konflikte gibt es beim Projektmanagement oft?

Der häufigste Konflikt entsteht durch unterschiedliche Erwartungshaltungen, wer was tun muss und nicht tun sollte oder wer was entscheiden darf. Damit geht auch ein zweiter Konflikt einher: Wer auf welche Personen in welcher Form zugreifen darf. Bei einem Produktentwicklungsprojekt beispielsweise sind Ingenieure, das Produktmanagement und Werbefachleute beteiligt. Vielleicht möchte auch noch das Controlling mitsprechen.

Dann stellt sich die Frage: Wer darf jetzt wem an welcher Stelle was sagen? Es ist sicherlich eines der wirkungsvollsten Instrumente in der frühen Phase, dass man sich genau diese Frage stellt und mit allen Beteiligten diskutiert.

Der praktische Tipp: dem Vorgesetzten die Entscheidungsgrundlage liefern

Das Problem: Ein Ingenieur soll ein Projekt voran bringen und ist dabei darauf angewiesen, dass ihm ein Mitarbeiter Ergebnisse zuliefert. Leider mauert dieser und gibt Zeitmangel als Grund an. Wie kann der Projektleiter damit am besten umgehen?

Lösung nach Holger Zimmermann: Bei dem Problem handelt es sich um einen Ressourcenkonflikt. Der Projektmanager möchte auf eine Person zugreifen, die noch andere wichtige Aufgaben zu tun hat. Dann müssen die Vorgesetzten der beiden Projektleiter, die auf diese Person gleichzeitig zugreifen wollen, die Entscheidung treffen, wer momentan das Vorrecht bekommt. Ungünstig ist, wenn die beiden Projektleiter diese Entscheidung sofort nach oben delegieren. Besser: Sich mit dem betroffenen anderen Projektleiter zusammensetzen und versuchen, eine für beide Seiten optimale Lösung vorzuschlagen.

Denn die Führungskräfte stecken oft viel zu wenig in den Projekten drin. Deshalb muss deren Lösung nicht zwingend die sein, die sich die beiden Projektleiter in dem Moment wünschen. Und schon eine kurze Abstimmung, wo der Engpass tatsächlich liegt, und was aus beider Sicht die ideale Lösung wäre, hilft dem Vorgesetzten eine schnellere Entscheidung zu treffen. Denn dass die Entscheidungsfindung der Chefs manchmal so lange dauert, liegt leider oft daran, dass die Entscheidungsvorlagen nicht gut genug sind.

Was mache ich denn als frisch gebackener Projektingenieur, wenn ich keinen Sparringspartner habe?

Ich würde auf jeden Fall in einer Startbesprechung versuchen, von allen beteiligten Bereichen wenigstens einen Stellvertreter an den Tisch zu bekommen, und mit diesen gemeinsam die Ausgangslage zu erfassen und zu klären, welcher Nutzen am Ende rauskommen soll und bis wann dieser Nutzen erreicht sein soll. Damit meine ich kein Lastenheft oder Produktbeschreibung, sondern wirklich den Nutzen. Und dann würde ich mir gemeinsam mit den Beteiligten Gedanken machen, um welche Themenbereiche wir uns kümmern müssen und welche Aufgaben darin stecken. Wenn man hier den Überblick über den Aufgabenberg hat, fällt es im nächsten Schritt leicht, sich über die einzelnen Rollen Gedanken zu machen.

Projektmanagementtrainer Holger Zimmermann

„Als Projektleiter muss man ohne Macht führen. Das setzt Akzeptanz voraus“, sagt Projektmanagementtrainer Holger Zimmermann und zeichnet dazu ein Bild an die Tafel. „Wenn irgendjemand nicht will, wird er die Chance haben, mich auflaufen zu lassen.“ Bild: Tina Zimmermann

Die Werbefachleute müssen dann aber auch bereit sein zuzuarbeiten. Man braucht also entweder Weisungsbefugnis oder muss sie von Anfang an ins Boot holen, oder?

Ja. Vor allem dieses Von-vornherein-ins-Boot-holen. Projektmanagement ist eine Methode, die aus meiner Sicht auch dann funktionieren muss, wenn ich mit freien Mitarbeitern arbeite. Auch wenn ich den Marketing- oder Werbefachleuten gegenüber nicht weisungsbefugt bin, kann mit ihnen eine Vereinbarung darüber treffen, was sie zum Projekt beitragen werden und was sie dazu von mir brauchen. Das heißt, der Start ist eine Phase für mich, in der ich mit allen Beteiligten Vereinbarungen treffe. Dabei bin ich mal Zulieferer, mal bin ich Abnehmender. Im Idealfall habe ich solche Abhängigkeiten sichtbar gemacht, beispielsweise in Form eines Projektplans.

Aber dafür braucht man doch sehr gute Kommunikationsfähigkeiten und muss auf den anderen zugehen können?

Projektleiter werden oft aufgrund ihrer technischen Kompetenz ernannt, obwohl man diese für eine Projektleitung nicht zwingend benötigt. Man braucht vielmehr organisatorische und methodische Kompetenz und kommunikative Fähigkeiten. Der Projektleiter ist jemand, der Menschen integriert, der nach Lösungen sucht, und nicht jemand, der die Lösungen selbst entwickelt. Hier sind Unternehmensleitungen gefragt, zu reflektieren, wie Projektleiter ausgewählt werden. Wenn ich den besten Techniker zum Projektleiter ernenne, dann habe ich einen guten Techniker weniger – und vielleicht sogar noch einen schlechten Projektleiter dazu.

 

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