Baupläne,
Genaues wortgetreues Lesen ist bei Verträgen wichtig. (Bild: © Rawpixel.com - Fotolia.com)

Der Auftrag wurde erhalten. Nun ist es wahrscheinlich, dass während der Vertragsverhandlungen mit dem jetzigen Auftraggeber technische Änderungen im Vertrag festgehalten wurden, die signifikant von dem abweichen, was das eigene Unternehmen dem Auftraggeber angeboten hat. Zwar gehört das Angebot des Auftragnehmers oftmals mit zum Vertragsbestandteil, jedoch meist nur an der unteren Rangfolge der Vertragsdokumente. Das bedeutet, dass alle Vertragsdokumente, die oberhalb der Rangfolge stehen, erneut „von oben nach unten“ vom Konstruktionsingenieur zu prüfen sind.

Genaues wortgetreues Lesen ist hier wichtig. Es kann vorkommen, dass das „Statement of Compliance“ des eigenen Unternehmens zur Ausschreibung des Auftraggebers zwar mit Vertragsbestandteil geworden ist, jedoch nicht alle Informationen übernommen wurden. Häufig ist es so, dass die vom Auftragnehmer vorgenommenen Kommentare im Verhandlungsprozess als „nur zu Informationszwecken“ gültig erklärt werden und das „Statement of Compliance“ ohne diese Kommentare an einen höheren Rang innerhalb der später gültigen Vertragsdokumente rückt. Klar ist dann, dass das Dokument ohne die Kommentare des Auftragnehmers Vorrang hat vor dem ursprünglich vom Auftragnehmer angebotenen Leistungsumfang.

Hier ist Sorgfalt des Konstruktionsingenieurs in der Prüfung der technischen Spezifikationen des Vertrages gefragt. Auf keinen Fall darf das Angebot des eigenen Unternehmens Grundlage der Konstruktionsarbeit für das Projekt sein, sondern nur das gültige Vertragswerk, einschließlich all seiner Anhänge und Zusätze.

General Helmuth von Moltke sagte einmal sinngemäß: „Es gibt keinen Plan, der den Feindkontakt überlebt“. So ist es auch im Alltag der Konstruktion einer Anlage. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses haben sich Auftraggeber und Auftragnehmer wechselseitig Versprechen gegeben. Der Auftragnehmer hat dem Auftraggeber ein Versprechen gegeben, eine bestimmte Anlage zu konstruieren, zu fertigen, zu liefern, zu montieren und in Betrieb zu nehmen. Dafür wurden vertraglich eindeutige Fristen vereinbart.

Werden diese Fristen schuldhaft vom Auftragnehmer überschritten, so ist er meist verpflichtet, eine Vertragsstrafe oder Schadenersatz an den Auftraggeber zu entrichten. Im Gegenzug hat der Auftraggeber dem Auftragnehmer versprochen, ihn schrittweise in Abhängigkeit zum Projektfortschritt zu entlohnen und ihn aktiv in der Projektabwicklung zu unterstützen. Diese Unterstützung kann beinhalten, dass der Auftraggeber zum Beipsiel innerhalb bestimmter Fristen Informationen zur Verfügung stellen muss oder Konstruktionsfreigaben zu erteilen hat.

Ansprüche auf Verlängerung

Stempel und Ordner,
Fristen und Termine müssen eingehalten werden, sonst drohen Vertragsstrafen durch den Auftraggeber. (Bild: © DOC RABE Media - Fotolia.com)

Erfüllt der Auftraggeber diese vertraglichen Versprechen nicht, können Fristen und Termine vom Auftragnehmer nicht mehr gehalten werden – ihm drohen Vertragsstrafen durch den Auftraggeber. Um diese Vertragsstrafen zu umgehen, müssen die Versäumnisse des Auftraggebers dokumentiert und Konsequenzen angezeigt werden. Damit ein Konstruktionsingenieur weiß, welche Mitwirkungspflichten der Auftraggeber im Konstruktionsprozess hat, ist wieder eine Vertragsprüfung notwendig. In der Praxis sind solche Antwortfristen meist in den „Particular Conditions of the Contract“, einem hochrangigen Vertragsdokument, enthalten. Es empfiehlt sich aber, alle Vertragsdokumente zu diesem Sachverhalt zu prüfen, um nicht Gefahr zu laufen, für Konstruktionsfreigaben abweichende vertraglich vereinbarte Fristen zu übersehen.

Kennt der Konstruktionsingenieur diese Fristen, so ist er angehalten, jede Fristversäumnis des Auftraggebers in diesem Zusammenhang detailliert zu dokumentieren. Detailliert bedeutet, dass jedes einzelne den geplanten Konstruktionsprozess störende Ereignis, welches der Auftraggeber zu verantworten hat, der Art und dem Umfang nach – einschließlich seiner Konsequenzen – dokumentiert werden muss. Und das in einem Standard-Formular („NCR – Non-Conformity-Report“). Dieses muss an den für die kaufmännischen Belange oder für das Claim Management im Projekt Verantwortlichen unverzüglich weitergeleitet werden.

Unverzüglich deshalb, weil auch hier meist bindende Fristen für den Auftragnehmer vertraglich vorgeschrieben sind, innerhalb derer er den Auftraggeber über Planabweichungen zu informieren hat. Hält der Auftragnehmer diese Fristen nicht ein, so kann ihm hieraus Anspruchsverlust in Bezug auf die Geltendmachung seiner Ansprüche auf Bauzeitverlängerung oder auf Geltendmachung auf Kompensation von Konstruktionsmehraufwänden drohen.

Fazit

Konstruktionsarbeit setzt umfassende Vertragskenntnis und genauso umfassende Vertragsanwendung voraus. Hier ist Teamarbeit zwischen Ingenieuren, Kaufmännern und Juristen gefragt. hei

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