Igus-Geschäftsführer Frank Blase mit einem überdimensionierten Recycling-Kunststoff-Fahrrad

Den Traum vom Kunststofffahrrad hegt Igus-Geschäftsführer Frank Blase schon lange. Im Sommer 2023 soll in Kooperation mit der Firma Mtrl das erste Modell auf den Markt kommen. Beim Rahmen haben die Kunden die Wahl: neuer oder recycelter Kunststoff. (Bild: Peter Koller, ke NEXT)

Mit dem Wellgetriebe für Roboter aus Kunststoff hat Igus einen Meilenstein in Sachen Antriebstechnik aus Kunststoff erreicht. Wie weit lässt sich dieses Thema denn noch treiben?

Frank Blase: Wir haben 2022 die Milliardengrenze beim Umsatz geknackt, insofern dürfen wir uns bei den Maschinenbauern schon einmal bedanken für deren Vertrauen in Kunststoff. Wir haben folgenden - zugegeben etwas flapsigen - Satz im Unternehmen: Wenn alle Kunden wüssten, welche Probleme wir für sie lösen könnten, dann wäre unser Umsatz zehnmal so groß.

Das heißt…?

Blase: Wir könnten heute schon sehr viel mehr in den Maschinen schmierfrei machen, Gewicht sparen und die Lebensdauer verlängern, als man uns zutraut. Das ist keine Kritik an den Maschinenbauern. Wir verstehen gut die Sorge, heute ein Teil für 20 Cent einzubauen und morgen eine Reklamation für eine Maschine zu haben, die Millionen Euro kostet. Es ist unsere Aufgabe, die Konstrukteure zu überzeugen, dass das Risiko sehr gering oder gar nicht vorhanden ist.

Aber die Produkte sind zum Teil doch schon seit langem auf dem Markt, warum noch immer diese Ressentiments?

Blase: Das kann man so nicht sagen. Angefangen habe ich 1983 als Verkaufsleiter bei Igus mit umgerechnet 1,4 Millionen Euro Jahresumsatz, jetzt sind wir bei einer Milliarde Euro - da ist schon einiges passiert. Nur: Die Märkte sind noch sehr viel größer und es ist immer noch kein Selbstläufer.

Frank Blase, Geschäftsführer von Igus ruft auf dem Tablet Daten zu Kunststoff-Lagern auf
Frank Blase betont die Vorteile von Kunststoff-Lagern, die ohne Schmierstoffe auskommen. (Bild: Peter Koller, ke NEXT)

Woran liegt das?

Blase: Das Thema, wie man Kunststoffe in der Konstruktion einsetzen kann, wird immer noch recht wenig unterrichtet an den Hochschulen. Das haben wir vor 20 Jahren schon erkannt und - leider viel zu zögerlich - versucht, das zu ändern. Dieses Thema müssen wir dringend angehen. Der Tipping Point ist noch nicht erreicht.

Welches metallische Bauteil würden sie am liebsten ersetzen, wenn sie den perfekten Kunststoff hätten?

Blase: So etwas Banales wie Kugellager, wo wir auch dran sind und in den letzten 12 Monaten durch neue Kunststoffkombinationen enorme Fortschritte gemacht haben - etwa die Verlängerung der Lebensdauer um den Faktor 23 im Trockenlauf. Kugellager sind noch universeller als Gleitlager, wenn es um die Reduzierung der Reibung geht. Man muss sich das einmal vorstellen: Kugellager sind ein globaler Markt von zig Milliarden Euro im Jahr - und fast alles muss geschmiert werden.

Die ersten Kunststoffe der Welt waren ja Biokunststoffe, wie etwa Zelluloid aus Zellulose. Wie hoch ist denn der Anteil von Biokunststoffen in der Igus-Produktion und was ist noch möglich?

Blase: Ich glaube, dass sehr viel in dieser Hinsicht möglich ist. Aber wir haben ja bei Bio-Kraftstoffen heute schon die Diskussion, ob die Ausgangsstoffe nicht besser für die Lebensmittelversorgung eingesetzt werden sollten. Dennoch ist es sehr richtig, die Biokunststoffe voranzutreiben.

Sind Biokunststoffe überhaupt von den Materialeigenschaften tauglich für die Produkte, die Igus herstellt?

Blase: Bisher leider nur in Einzelfällen. Wir haben vor 15 Jahren ein Gleitlager mit dem Namen N54 auf den Markt gebracht. Der Name steht für 54 % natürlichen Anteil - konkret Rapsöl. Das hat damals nur wenige interessiert. Heute ist das Interesse zumindest etwas größer.

Aber um auf die Frage zurückzukommen: Die ganze Bandbreite der Igus-Produkte könnten wir auf gar keinen Fall mit Biokunststoffen abdecken.

Aber man muss den Verbrauch an fossilen Rohstoffen für Kunststoffe auch in einen größeren Kontext setzen: Nur etwa vier Prozent der Rohölproduktion gehen in die Herstellung von Kunststoffen. Davon ist der Bereich der technischen Kunststoffe, wo wir uns bewegen, ein sehr kleiner Teil. Wir müssen aber beim Hauptverwendungszweck von Öl und Gas, dem Verfeuern, viel besser und sparsamer werden. Wenn uns das gelingt, bin ich optimistisch, dass uns die Ressource Rohöl noch lange - hunderte Jahre - zur Verfügung stehen werden. In der Zeit gilt es, Alternativen zu entwickeln.

Wie können die aussehen?

Blase: Vielleicht hilft uns in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass Kunststoff sich nicht oder nur extrem langsam zersetzt. Da liegen ja ganze Ölfelder in Form von Plastikmüll auf der Erde herum - wobei auch viel in Müllverbrennungsanlagen verfeuert wird.

Sie machen lieber Fahrräder daraus?

Dieser Traum vom Kunststofffahrrad existiert bei mir schon lange, aber ursprünglich nicht mit dem Recyclingaspekt. Man hat mir vor vielen Jahren bei einer Fahrradvermietung am Strand von Florida erzählt, dass die Komponenten aufgrund von Salz und Feuchtigkeit alle paar Monate ausgetauscht werden müssen. Da kam die Idee von Motion Plastics für ein Fahrrad, das nicht geschmiert werden muss und nicht rostet. Zum Glück habe ich später dieses Start-up MTRL in Holland gefunden, die bei dem Thema einen Recyclingansatz haben. Es gab etliche Rückschläge. Aber ich halte es jetzt für greifbar nahe, dass wir mit den richtigen Kunststoffen, die wir aus dem Plastikmüll heraussortieren auf Bali, in China, Indien oder Kenia lokal die nachhaltige Produktion von Fahrräder ermöglichen.

Sie verfolgen aber auch noch einen ganz anderen Recycling-Ansatz, Stichwort Plastics to Oil...

Blase: Ja, wir haben fünf Millionen Euro in das Unternehmen Mura Technology investiert. Im Verhältnis zu heutigen Anteilseignern wie Dow Chemical mit 100 Millionen ist das natürlich eine vergleichsweise geringe Summe. Aber wir waren das erste Industrieunternehmen, das investierte. Die anderen großen Namen kamen anderthalb Jahre später. Wenn das Konzept Erfolg hat, haben wir mitgeholfen, für die ganze Branche etwas zu tun.

Profitiert davon - neben der Umwelt - auch der Kunde von Igus?

Blase: Wir haben für unsere Recyclinginitiative „Chainge“ eine Online-Plattform entwickelt, die es unseren Kunden wesentlich leichter macht, Polyamide von uns wie auch anderer Herstellern etwa in Form ausgedienter Energieketten für ein Recycling zur Verfügung zu stellen.

So etwas gibt es aber doch schon…

Blase: Viele ähnliche Plattformen scheitern, weil sie sich auf das Matchmaking zwischen Anbieter von Kunststoffresten und Interessenten daran beschränken. Das Problem dabei: man muss als Interessent selbst den Abtransport und das Schreddern organisieren. Wir glauben, dass hier eine Chance besteht für eine Plattform und eine App, die das Thema umfassender angeht und auch Transport und die Aufbereitung einbezieht. In diese Richtung werden wir uns stärker engagieren.

In das Kunststoff-Bike ist die Nachhaltigkeit per Design integriert. Funktioniert das auch bei Maschinenbaukomponenten?

Blase: Bei der Energiekette ist es einfach. Eine Maschine wird verschrottet, die Kette und die Kabel liegen meist offen zugänglich. Ein Gleitlager dagegen hat nur drei oder vier Gramm und sitzt irgendwo tief in der Maschine eingebaut. Darauf haben wir noch keine Antwort.

Und bei komplexeren Kunststoffkonstruktionen wie etwa dem Rebel-Cobot?

Blase: Beim Rebel geht das sehr gut. Alle Teile, die exponiert sind, können recycelt werden.

Zur Person: Frank Blase

Frank Blase, Jahrgang 1959, ist der Sohn der Igus-Gründer Günter und Margret Blase. Nach seinem Abitur 1978 hat er an der Texas Christian University in Fort Worth (US-Bundesstaat Texas) studiert und mit einem Master of Business Administration (MBA) abgeschlossen. Nach einem Traineeprogramm für „Führungskräfte-Nachwuchs“ bei Unilever in Hamburg ist er 1983 als Verkaufsleiter in das Familienunternehmen eingestiegen. Seit 1993 lenkt er als Geschäftsführer die Geschicke von Igus. Als Hobbys betreibt Frank Blase Sport aller Art. Dazu kommen Lesen, Kino, Theater und Kochen. Eine Herzensangelegenheit ist für Blase das Köln-Musical "Himmel & Kölle", das er produziert.

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