Dieses Dilemma kann nur durch eine evolutionäre und kontinuierliche Vorgehensweise aufgelöst werden. Um Evolutionsmechanismen erfolgreich wirken zu lassen, empfehlen wir unseren Kunden einen Trick, den wir „Concept Tagging“ nennen: Sobald ein HMI-Konzept auch nur in dem Maße gereift ist, dass es dem Interaktionsdesigner klar ist, welches Nutzerproblem es lösen könnte - ohne dass es dies zu diesem Zeitpunkt bereits zwangsläufig tut -, wird dem HMI-Konzept eine global eindeutige ID (GUID) zugewiesen. Diese GUID taucht ab diesem Zeitpunkt in allen Assets auf, die um das unfertige Konzept herum entwickelt werden – egal ob Gestaltungsregel, Photoshop Screen, Markup oder Produktions- oder Beispielcode.

In einem entsprechenden Asset-Management-System kann dann jederzeit eine einheitliche Sicht auf das Konzept zusammengestellt werden, die dem Entwickler nachvollziehbar klar macht: „Wenn du folgende Nutzeranforderung hast, nutze folgende Assets unter Berücksichtigung folgender Gestaltungsregeln.“

Centigrade XamlBoard,
Centigrade XamlBoard ist ein Asset-Management System mit dem XAML Ressourcen oder Icons mit Metadaten wie zum Beispiel Verwendungshinweisen ausgestattet werden können. (Bild: Centigrade)

Ein GUID-basiertes Asset Management für WPF existiert zum Beispiel mit dem frei verfügbaren XamlBoard von Centigrade. Icons und XAML-Snippets können mit Metadaten versehen werden, um dem Entwickler das Auffinden und die korrekte Verwendung dieser wichtigen Assets später zu erleichtern.

Fertige Gestaltungsregel-Assets existieren ebenfalls bereits in zahlreichen Ausprägungen und können entsprechend ins Gesamtbild integriert werden. So zum Beispiel die iOS Human Interface Guidelines oder Google Material Design Guidelines.

UX-Guidelines,
Die UX-Guidelines von Google (Material Design) und iOS können und sollten ebenfalls für manches Gestaltungsproblem konsultiert werden. (Bild: Apple)

Unfertig ist nicht gleich unantastbar

Beim „Concept Tagging“ ist es nicht tragisch, wenn etwa eine HMI-Kit-Komponente noch nicht fertig oder noch ungetestet ist. Die Anwendungsentwickler kopieren dann den noch unfertigen HMI-Kit-Code inklusive GUID und bauen diesen im eigenen Tempo mit ihren eigenen Lösungsverschlägen in ihrer eigenen Infrastruktur um oder aus.

In regelmäßigen Abständen wird dann durch eine Code-Differenz-Analyse zu Tage gefördert, welche Abteilung welches Konzept wie gelöst hat und durch die bis dahin gegebenenfalls fertiggestellte Lösung des HMI-Kit-Teams ersetzt oder konsolidiert. Umgekehrt können auch die Lösungsansätze des Anwendungsentwickler-Teams in das HMI-Kit einfließen und helfen, dieses so für andere Abteilungen zu verbessern. Um mit der Evolutionstheorie zu sprechen: Die GUID fungiert als gemeinsame DNA für verwandte Assets, die auf Grundlage der gleichen Konzeptzelle reproduziert wurden.

Auflösung des Dilemmas durch „Concept Tagging“ – einzelne Konzepte und deren zugehörige Code
Auflösung des Dilemmas durch „Concept Tagging“ – einzelne Konzepte und deren zugehörige Code Fragmente werden mit GUIDs ausgestattet, so dass eine spätere Rückverfolgung und Konsolidierung möglich ist. (Bild: Centigrade)

Fazit

Der HMI-Styleguide ist nur eine Komponente innerhalb eines größeren Rahmenwerkes, dem Corporate UX Framework, um zu einer konsistenten HMI-Linie zu gelangen. „Top-Down“ kontrolliert und abgenommen, aber „Bottom-Up“ vorangetrieben, werden Nutzeranforderungen kontinuierlich gesammelt und mögliche Lösungskonzepte mit einer eindeutigen ID ausgestattet. Gestaltungsregeln, beispielhafte Code-Schablonen oder sogar gebrauchsfertige HMI-Kit-Komponenten, können dann evolutionär verbessert und über diese ID jederzeit miteinander in Bezug gesetzt und konsolidiert werden. In dieser Kombination erläutern Sie dann dem Entwickler, in welcher Nutzungssituation er welche HMI-Assets wie kombinieren muss, damit in der Folge ein intuitives und konsistent gestaltetes HMI entsteht.

Thomas Immich, Centigrade,
Thomas Immich, CEO Centigrade. (Bild: Centigrade)

Über den Autor

Thomas Immich, Geschäftsführung, Leitung UX Management, Dipl. Informatiker (FH)

Thomas Immich ist Mitbegründer und Geschäftsführer der Centigrade GmbH und leitet den Bereich UX Management. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit nutzer-zentrierten User Interface Design Methoden im Hinblick auf deren technische Umsetzbarkeit und Werkzeugunterstützung. Er betreute zahlreiche Kundenprojekte namhafter Unternehmen und berät in seiner Funktion als Projektleiter und Trainer agile Softwareentwicklungsteams bezüglich der ästhetischen und konzeptionellen Optimierung von User Interfaces im WPF Umfeld. Er spricht außerdem regelmäßig auf einschlägigen Konferenzen wie zum Beispiel der GermanUPA und wurde bereits mit mehreren Auszeichnungen prämiert, darunter der "iF communication design award 2010" sowie der "Best Session Award Usability Professionals 2009".

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