In der Praxis hat sich nun herausgestellt, dass die bisher erfassten Daten noch ergänzt werden können, um die digitalen Zwillinge im Simulationsprogramm optimal zu füttern. Vor allem mit Daten aus dem Hauptrotorlager, das ja das komplette Rotorgewicht sowie alle Windlasten aufnehmen muss. Schließlich ist dieses Lager ein Schlüsselbauteil der gesamten Anlage. Doch was sollte man hier noch messen? Dazu hat Schaeffler gemeinsam mit Kunden relevante Schadensmechanismen für Rotorlager ermittelt und die verantwortlichen Einflussgrößen identifiziert.

cloud-basierte Plattform,
Eine gemeinsame, cloud-basierte Plattform von Schaeffler und ZF verbessert die Effizienz von Windkraftgetrieben und -komponenten. Sie senkt die Kosten für Windparkbetreiber und ermöglicht fortschrittliche Funktionen wie Predictive Maintenance. (Bild: Schaeffler/ZF)

Bei Flanschlagern beispielsweise hat die Schraubenvorspannung direkten Einfluss auf die Performance und Gebrauchsdauer des Lagers. Durch das Verschrauben der Innenringe werden diese gegeneinander verspannt, was zu einer Vorspannung im System führt. Die Schraubenvorspannung muss bei der Auslegung des Lagersystems natürlich sehr genau berücksichtigt werden, was über die Finite-Elemente-Methode erfolgt. Zum anderen muss sie bei der Montage möglichst genau eingestellt werden.

Rotorhauptlager,
Das Rotorhauptlager einer Windenergieanlage wird oft als Flanschlager ausgelegt. Um verschleißarm zu arbeiten ist eine definierte und konstante Lagervorspannung wichtig. Diese lässt sich über den Load-Pin messen, wodurch Unregelmäßigkeiten erkannt und ungeplante Lagerausfälle vermieden werden können. (Bild: Schaeffler)

Doch selbst bei optimaler Auslegung und Montage des mit oft über drei Meter Durchmesser sehr großen Lagers kann es im Betrieb der Windenergieanlage zu Setzeffekten kommen. Schwingungen und Vibrationen oder schwankende Belastungen durch Böen können mit der Zeit dafür sorgen, dass die Schraubenspannung und damit die Lagervorspannung im Betrieb nachlässt. Das wiederum kann erhöhten Verschleiß nach sich ziehen. Daher, so die Schaeffler-Experten, wäre es wichtig, diese Größe im Betrieb zu überwachen und gegebenenfalls nachzujustieren.

Der versteckte Sensor im Lager

Für diesen Zweck entwickelt Schaeffler den so genannten Load-Sense-Pin, der das Messverfahren von Dehnungsmessstreifen nutzt. Im Gegensatz zu diesen wird er nicht aufgeklebt, sondern direkt in den Lagerring eingebracht. Dieser neue Sensor basiert auf der Dünnschichtsensorik „Sensotect“. Die Technologie erlaubt bauraumneutral und in Echtzeit die Messung des Belastungszustands an Orten, an denen klassische Sensoren nicht eingesetzt werden können. Die Funktionalität wird durch eine Submikrometer-dünne, dehnungsempfindliche Metallbeschichtung realisiert, die durch Mikrobearbeitung strukturiert wird. Die Sensorschicht wird direkt, ohne Einsatz von Klebstoffen und Transferpolymeren, auf die Substratoberfläche abgeschieden, wodurch Messungen an 2D- und 3D-Geometrien möglich sind.  Sensotect bietet eine hohe Sensitivität bei sehr geringer Hysterese- und Linearitätsabweichung sowie keine Temperaturabweichungen oder Alterungseffekte. Diese Messstruktur ermöglicht eine kontinuierliche Kraft- und Momentmessung während des Betriebs. Durch diese Messtechnik ist es beispielsweise möglich, an Antriebswellen oder in Fahrzeuggetrieben das Drehmoment sehr schnell und genau zu bestimmen.

Beim Load-Sense-Pin ist diese Dünnschichtsensorik vorne und zur Temperaturkompensation auch seitlich an einem kleinen Zylinder aus Stahl aufgebracht. Das Material des Pins wird an das Material des Lagers angepasst, um unterschiedliche Wärmeausdehnungen zu vermeiden, und dann mit leichtem Übermaß in eine Bohrung im Lager eingepresst. Aufgrund der gewählten Position dieser Bohrung im Lagerring kann nun mittels Load-Sense-Pin die Vorspannung der Flanschverschraubung ermittelt werden.  Über einen kleinen, rückseitigen Schlitz werden die elektrischen Signale per Kabel nach außen geführt. Damit kann die Schraubenvorspannung auch während des regulären Betriebs überwacht werden, sodass sie bei Bedarf nachjustiert werden kann, bevor Schäden entstehen und Schwingungssensoren überhaupt Unregelmäßigkeiten im Antriebsstrang aufnehmen – schlicht, weil es noch keine gibt.

Derzeit integriert Schaeffler den Load-Sense-Pin in erste Pilotprojekte im Bereich Wind und arbeitet daran, den Load-Sense-Pin zu industrialiseren, um ihn in Zukunft breiter zur Anwendung zu bringen. Industrie 4.0 macht sich auf den Weg ins Lager!

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